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1. November 1919

Lieber Carl!

Dein Brief vom 18. September an Herrn Jakob Ottmann gerichtet, wurde mir von Frau Ludwig Ottmann zur Beantwortung übergeben, weil Herr Jakob Ottmann seit einiger Zeit wegen einer Nervenkrankheit sich in einer Heilanstalt befindet und augenblicklich nicht in der Lage ist, Dir zu schreiben.

Es ist richtig, das Unglück, das über die Firma Ottmann gekommen ist, ist zu gross. Es scheint aus Deinem Brief hervorzugehen, dass Du glaubst, dass Frau Jakob Ottmann noch am Leben sei. Aber auch diese ist schon vor 2 Jahren gestorben, vor Ludwig. Ludwig hatte sein## weitläufige Cousine, Marie Lingenfelder, vor 2 Jahren geheiratet und der liebe Gott hat der kurzen Ehe ein nettes Bürschchen geschenkt, das wohlauf ist. Die Frau von Ludwig lässt Dir für Deine Teilnahme an all der Trauer, die über die Firma und die Familie gekommen ist, unbekannterweise besten Dank sagen.

Die Firma Ottmann wird jetzt in eine G.m.b.H. umgewandelt und als Teilhaber, rückwirkend ab 1. Januar 1919, ist die Witwe von Ludwig und ich selbst bestimmt.

Nachdem für Deutschland der Krieg verloren und die Monarchie gestürzt wurde, kannst Du Dir denken, in welch schrecklichen Zuständen wir in Deutschland leben. Ich hätte Dir schon längst geschrieben, aber bis vor kurzem waren sämtliche Korrespondenzen der französischen Zensur unterworfen, denn wir haben ja für 15 Jahre französische Besatzung und auch jetzt noch muss man mit seinen Ansichten in politischer Beziehung schriftlich und auch mündlich sehr zurückhaltend sein, denn ab und zu werden immer noch Briefe zensiert und man könnte leicht in Unannehmlichkeiten kommen.

Wir haben während der Kriegszeit hauptsächlich Kommunalverbandsgeschäfte gemacht, d.h. wir haben für 4 Bezirksämter die Verteilung der Lebensmittel übernommen, was uns viel Arbeit brachte. Seit einigen Monaten herrscht hier, im Gegensatz zu dem rechtsrheinischen Gebiet wieder freier Handel, der aber soviele Nachteile hat und so grosse Risiken in sich schliesst, dass es tatsächlich keine Freude ist, ein Engrosgeschäft zu führen. Es hängt an mir persönlich ausserordentlich viel. Heger und der alte Schneider sollen demnächst Kollektivprokura bekommen, aber in der Leitung und im Einkauf können mich die beiden Herren doch wenig unterstützen, und ich muss mir eben nach und nach tüchtige Hilfe zu diesem Zweck heranziehen.

Dass Du in Eurem Geschäft finanziell durch die politischen Verhältnisse und die schlechte Valuta auch schwer zu leiden hast, vernehme ich mit Bedauern. Ich habe die Jahre über oft an Dich gedacht und innerlich den Wunsch gehabt, Dich nach dem Kriege hier zu sehen. Nunmehr erscheint dies unmöglich zu sein, wenn Du aber nach New York zur Leitung Eures dortigen Geschäftes gehst, dann hoffe ich doch, dass Du einmal einen Sprung nach Deutschland machen kannst. Dass Du Dein Generalkonsulat und Dein Amt als Vorsitzender der Oberrealschule aufgegeben hast, damit hast Du recht getan, denn was hilft die Ehre, wenn die Gesundheit darunter leidet.

Deine Kinder sind jetzt gross, im Gegensatz zu den meinigen, denn am Sonntag vor 8 Tagen brachte uns der Storch noch einen Buben, der jetzt auch noch gross gezogen werden muss. Ich habe jetzt zwei Pärchen, zwei Mädchen und zwei Buben, liebe Kinder. Meiner Frau geht es verhältnismäßig gut. Aber im Laufe der langen Kriegsjahre ist die Menschheit zu nervös geworden und muss sich Entbehrungen auferlegen, die jedermann, ob reich oder arm, noch lange spüren wird. Auch die fortgesetzten Fliegerangriffe während der Kriegszeit hat uns auf den Hund gebracht. Und so müssen wir alle mehr oder weniger ein neues Leben beginnen, was um so schwieriger sein wird, als durch den Umsturz in Deutschland alle Verhältnisse sozusagen auf den Kopf gestellt sind.

Mit Interesse hörte ich auch, dass der Sohn von Mathias Reichert zu Dir kommen will und ich wäre Dir dankbar, wenn Du mir mitteilen wolltest, was aus Bassler geworden ist.

Von meinen Brüdern aus Amerika haben wir seit einiger Zeit regelmässig Nachrichten. Von den alten Herren bei O & C ist ausser Schneider und Heger noch Ruppel tätig, dessen Gesundheit aber in der letzten Zeit ausserordentlich gelitten hat.

Augenblicklich leiden wir in der Pfalz, überhaupt in ganz Deutschland, ausserordentlich unter der Kohlennot. Viele Betriebe stehen still, Licht und Wasser sind knapp und (es) ist tatsächlich keine Lust mehr zu leben. – Denkst Du noch daran, als wir bei Deinem letzten Hiersein mit Ludwig am Hohenecker Weiher abends gemütlich bei einer Flasche Wein sassen und Pläne für die Zukunft schmiedeten! Alles ist ins Wasser gefallen, aber trotzdem heisst es: Kopf hoch im Interesse unseres Vaterlandes und unserer Familien.

Dein alter Freund Peter Wolf bei Nic. Eckel hat sich mit seinen 51–52 Jahren mit der Tochter des früheren Weinwirtes Spatz vor kurzem verlobt. Der Krieg hat in hiesiger Stadt unendlich viele Opfer gefordert und mancher alte Freund musste sein Leben lassen.

Ich hoffe, dass Dich dieser Brief bei bester Gesundheit antrifft und bitte Deine Tante herzlichst zu grüssen. Speziell sei Du und Bassler von mir bestens gegrüsst mit der Bitte, bald Ausführliches von Dir hören zu lassen.

A. Fröhlich