Archiv der Kategorie: Briefe

20

den 30. Dez. 1922

Lieber Freund Karl!

Heute erst komme ich dazu, Dir über die Abwicklung Deines Vertrauensauftrages zu berichten. Die ganze Zeit her ging es so toll bei uns zu, dass ich tatsächlich nicht wusste, wo mir der Kopf stand. Man schuftet von morgens bis spät in die Nacht hinein, alles umsonst, denn die Substanz wird bei der Geldentwertung immer weniger, die Papiermark immer mehr, und ich weiß tatsächlich nicht, wie das noch enden soll. Wir leben in einer ganz miserablen Zeit, und wenn man nur mal einen Hoffnungsschimmer sehen würde, dann wäre schon vieles erreicht. Statt dessen kommen von Paris düstere Nachrichten. Alle Welt schaut nach Amerika und erwartet von da Hilfe, die auch unbedingt kommen muss, sollte nicht ganz Europa zu Grunde gehen. Die Teuerung ist derart, dass selbst der früher aller reichste Mann sie am eigenen Leibe spüren muss. Niemand kann sich mehr luxeriöse Ausgaben gestatten und jedermann nur das Notwendigste kaufen. Ich selbst z.B. brauche notwendig ein Klavier für mein Töchterchen und muss es auch hinausschieben.

Der Umschlag im Geschäft geht sogleich nach Papier-Millionen und die Kolonnen sind jetzt in den Hauptbüchern zu gering; alles Scheingebilde, vielleicht der Anfang vom Ende. Wer weiß es, was das neue Jahr bringt? Da ich gerade von letzterem spreche, erwidere ich Deine Grüße, die mich heute mit der reizenden Photographie Deiner lieben Familie erreichten, aufs herzlichste. Wollte Gott, dass die Wünsche für unser ganzes deutsches armes Volk in Erfüllung gingen. Ich hätte nie in meinem Leben geglaubt, dass wir einmal derartige traurige Zeiten durchmachen müssen. Und nun zur geschäftlichen Sache.

Mit Deinem Brief vom Oktober sandtest Du mir einen Scheck in der Höhe von 100 Dollar. Von Berlin, wo Du mir 1000 Dollar zur Verfügung gestellt hast, ließ ich mir erst vorige Woche, weil ich einige Zeit krank war, 25 Dollar kommen, zusammen also 125 Dollar. Dieselben wurden verkauft zu netto M 7500.- für einen Dollar, dies ergibt einen Markbetrag von M 937.500.-.## Ich habe nun Deinem Auftrage zufolge an Frau Cäcilie Reichert in Frankenhausen Waren im ungefähren Wert von 50 Dollar, an Heinrich Reichert in Ludwigshafen solche im Werte von 25 Dollar gesandt, und da Deine Schwester in Offenburg mir nachträglich noch einen sehr lamentablen Brief schrieb und ich annehmen musste, dass sie in großer Not ist, habe ich auch ihr noch, Dein Einverständnis voraussetzend, für ungefähr 25 Dollar Waren geschickt. Die Zusammenstellung der Waren hat meine Firma so vorgenommen, dass alle Artikel, die heutzutage in der Haushaltung so notwendig gebraucht werden können, nach Möglichkeit vertreten sind. Die Preise haben wir natürlich sehr billig auf Grund des Dollarkurses von M 7500.- errechnet und daran noch einen besonderen Abzug unter der Großhandelsspanne gemacht. Die vier Sendungen sind alle gut angekommen, und die Empfänger haben mir geschrieben, dass sie überaus glücklich sind, die Waren bekommen zu haben. Dieselbe Nachricht wird auch Dir zugegangen sein.

Ich lege Dir nunmehr, damit Du über alles orientiert bist, einliegend vier Rechnungen bei. Deinen Verwandten habe ich Rechnung nicht erteilt, weil es ja eine Geschenksendung war und nur jedem ein genaues Verzeichnis der Waren ohne Preisangabe übermittelt. ö#ber die Abrechnung gebe ich Dir einliegend genau Aufstellung.

Nunmehr schrieb Deine Schwester mir diese Tage, dass sie unbedingt weitere Unterstützung bräuchte. Ich habe ihr mitgeteilt, dass, wenn sie jetzt ein Geschäft anfangen wollte, sie mir dies schreiben möchte. Dann werde ich ihr einige hunderttausend Mark übersenden und mir von Berlin wieder Dollars kommen lassen. Mit dem Bürsten-Geschäft von Alverdes ist es nichts geworden, und ich habe ihn gebeten, sich doch um etwas anderes umzusehen. Auch habe ich ihm verschiedene Häußer, von denen wir ziemlich viel Waren, meistens Markenartikel etc. beziehen, genannt und ihn gebeten, sich mit diesen in Verbindung zu setzen, damit er vielleicht die Vertretung bekommt. Ich nehme an, dass Du damit einverstanden bist, wenn ich in diesem Sinne verfahre. Nachdem Du mir Anfang freies Verfügungsrecht über die 1000 Dollar gegeben hast, habe ich natürlich Deine Interessen in jeder Beziehung gewahrt und wollte nicht auf einmal die Riesen-Papiermarksumme Alverdes zur Verfügung stellen. Ich erwarte nächster Tage Brief von Alverdes und berichte Dir dann weiter.

Augenblicklich wird auch hier für die Armen in der Pfalz gesammelt, und ich selbst bin in dem Komitee der Stadt Kaiserslautern. Unsere Firma hat auch nach Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit bereits gestiftet. Wenn Du mich beauftragst, etwas für Dich zu tun, bitte ich um Mitteilung. Ich habe mich gerne der umfangreichen Mühe unterzogen, alles gewissenhaft und gut zu besorgen und war froh, dass Deinen Angehörigen damit gedient wurde. Selbstverständlich verlange ich für alles dies keine Entschädigung, denn das sind Freund­schaftsdienste, deren man sich gerne unterzieht. Wenn Du mir mal gelegentlich zum persönlichen Gebrauch ein kleines Andenken übermitteln willst, habe ich nichts dagegen. Es muss aber etwas sein, was ich jeden Tag zum Andenken an Dich bei mir tragen kann. Etwas anderes würde ich nicht annehmen.

Ich hoffe, dass dieser Brief Dich und Deine liebe Familie bei voller Gesundheit antrifft und bitte Dich, Herrn Bassler zu grüßen und ihm auch meine Neujahrswünsche zu bestellen. Vielleicht hast Du auch die Güte, ihm zu sagen, dass ich im neuen Jahre seinen letzten Brief beantworten werde. Ich bin bisher tatsächlich noch nicht dazu gekommen. Neben meiner geschäftlichen Tätigkeit nehmen mich noch soviel Ehrenstellen in Anspruch, dass ich wenig mehr in Gesellschaft komme. Ich bin Vorstandsmitglied der pfälzischen und der bayerischen Großhändler und auch Vorstandsmitglied des Reichsbundes Deutscher Kolonialwarengroßhändler und sonst alles mögliche.

Solange ich gesund bin, mache ich es im Interesse der Allgemeinheit und wegen der Wiederaufrichtung Deutschlands recht gerne. Aber manchmal wird es einem doch zuviel.

In alter Freundschaft

Besten Gruß
A. Fröhlich

Die Rechnungen werden insofern für Dich ein großes Interesse haben, als Du auf Grund Deines guten Gedächtnisses sehen kannst, was unsere Waren heute kosten gegenüber derjenigen Zeit, wo Du mit mir zusammen bei O & C arbeitetest. Dies erwähne ich nur wegen Deiner letzten Mitteilung. „Con mucho gusto“. Mein ältester Junge, er ist 9 Jahre alt, bittet Dich um Briefmarken.

19

México, 27. October 1922

Mein lieber Adolf!

Mein letzter Brief vom 20. ds. kreuzte sich mit Deinem vom 3. ds. und unter Rücksendung des Schreibens meines Schwagers bitte ich Dich, ihm die 300.000 Mark zur Etablierung des Bürstengeschäfts zu geben und Dir den Gegenwert von unserem Berliner Haus anweisen zu lassen. Wenn es mehr ist, als genannte Summe, so hat es nichts zu sagen. Du kannst bis zu 1000 Dls gehen, aber ich ziehe vor, wenn Du etwas Billigeres kriegen kannst, dann hat man die Möglichkeit, später mal noch nachzuschiessen, denn ich habe eine ganze Anzahl an Unterstützungen zu geben und da muss man sich doch etwas einrichten. So dick sitzen mir die Dollars auch nicht!

Handle also nach bestem Ermessen. Du brauchst mich nicht zu fragen im Rahmen obigen Limits, denn das verstehst Du doch besser als ich. Wenn die ganzen 1000 Dls nicht benötigt werden, so ziehe bitte nur das, was Du brauchst: Du kannst dann später mehr haben. Es ist auch gut, wenn Alverdes an mich schreiben muss, wenn er mehr braucht, sonst denkt er, der mexikanische Knochen soll blechen. Hier ist der Zinsfuß nämlich 12 %, und da macht man nicht gerne Depots!

Anbei noch Copie meines letzten Briefes.

Nochmals herzlichen Dank für Deine Bemühung, und wenn ich Dir dienlich sein kann, dann – con mucho gusto.

Der junge Hünerfauth war auf der untergegangenen Hammonia [!] und ist jetzt wieder unterwegs. Er kommt ca. 4. November in Veracruz an, und ich werde mich gerne seiner annehmen.

Mit vielen Grüssen

Dein
C. Reichert

18

México, 20. October 1922

Mein lieber Fröhlich!

Vielen Dank für Deine frdl. Zeilen vom 25. pti und Deine Bereitwilligkeit, mir in Sachen Alverdes etc. gefällig zu sein.

Von Offenburg habe ich keine Nachricht erhalten, möchte aber keine Zeit verlieren und habe deshalb unser Berliner Haus angewiesen, Dir oder der Firma O & C den Betrag von 1000 Dollars zur Verfügung zu stellen. Hoffentlich kommt dadurch und Deine freundliche ö#berwachung der liebe Schwager in ein richtiges Geleis. Vielleicht hast Du gelegentlich Zeit, mir einige Worte zu sagen, wie die Sache läuft, denn so wie ich ihn kenne, wird er kaum Zeit finden zum Schreiben. Wenn es ihm einigermassen geht, braucht er mich nicht.

Was die Lebensmittelsendungen angeht, so danke ich Dir sehr für Deine Bereitwilligkeit und mache davon Gebrauch, indem ich Dich bitte, an beiliegende Adressen passende Lebensmittel zu senden, deren Auswahl besser Dir überlassen bleibt. Wenn Du etwas Weihnachtsgewürz, Chokolade, Rosinen und dergl. beifügen kannst, ist das angenehm, ebenso vielleicht Schmalz, Kaffé etc. Nun, Du weisst ja, was man da geben kann.

Für diese Sendungen füge ich einen Check über Dls 100.– hier bei auf die Bank of Montreal, Newyork. Solltest Du den Check nicht selbst gebrauchen können, so kannst Du ihn durch die Deutsch-Südamerikanische Bank, Berlin, einziehen lassen oder durch unser Berliner Haus.

An die 3 Adressen lasse bitte 3 Postkarten schreiben mit Versandanzeige und Angabe, dass die Sendung auf meinen Wunsch erfolgt. Alle Auslagen bitte in Rechnung zu stellen. Für Deine Freundlichkeit sage ich Dir recht vielen Dank.

Der junge Hünerfauth schrieb mir heute. Er war auf dem untergegangenen Dampfer Harmonia und kommt nun mit einem andern anfangs November hier an. Ich werde ihm gerne behilflich sein.

Mein Töchterchen reist auch in diesen Tagen drüben ab, und ich erwarte sie Mitte November.

Zu Deinen Ehrenämtern gratuliere ich Dir herzlich. Wenn man dadurch auch viel zu tun hat, so liegt doch eine Anerkennung Deiner Tätigkeit und Bedeutung darin, die Dir Befriedigung gewähren muss.

Für heute schliesse ich und begrüsse Dich als

Dein alter Freund!
C. Reichert

17

MEXICO, D. F., 5. Septbr. 1922

Mein lieber Freund Fröhlich!

Ich schrieb Dir unterm 10. Mai, erhielt aber inzwischen keine weitere Nachricht von Dir. Möglicherweise ist mein Brief verlo­ren gegangen. Leider habe ich ihn auch nicht kopiert und kann daher keine Copie nachschicken für den gedachten Fall. Der Hauptzweck meines damaligen Schreibens war, bei Dir wegen mei­nes Schwagers Leo Alverdes, Offenburg, Baden, anzufragen & Dei­nen Rat zu erbitten.
Ich bekomme von meiner Schwester immer Jammerbriefe und habe es mir schon einen hübschen Posten Geld kosten lassen, dem guten Mann etwas zu helfen. Aber bis dato scheint der Erfolg ganz mi­nimal zu sein, denn wenn ich einen Betrag sende und sage, fangt damit etwas an, womit Ihr Euer Leben machen könnt, so höre ich nichts mehr, bis nach einigen Monaten ein neuer Klagebrief kommt. Ich habe jetzt so viele Sachen am Bein, dass ich schon fast die Geduld verloren habe. Eine ganze Anzahl von Verwandten erinnert sich meiner jetzt, und wenn ich auch sehr gerne helfe, so muss ich doch etwas ein­teilen und dann kann nicht Jeder Mil­lionen bekommen. Das Ende vom Lied wird sein, dass man mir das als Knickrigkeit auslegt und es mir verübelt. Aber das geht ja gewöhnlich so. Jeder denkt, ich habe mich über 27 Jahre herum­geplagt, um ausge­rechnet IHM zu helfen. Na, das ist so eine Ge­fühlsexplosion, die Dir nur meinen Standpunkt angeben soll.
Also Leo Alverdes betreffend. Er hat seit Monaten nichts von sich hören lassen und wohl das Kapital, das ich ihm sandte, nach & nach aufgefuttert. Hast Du Dich mit ihm in Verbindung gesetzt? Sollte man ihm nicht einen Tabakladen oder einen klei­nen Kolonialwarenladen aufmachen. Eventuell auch Zuckerbäcke­rei? Das ist, was er, bezw. meine Schwester ver­stehen. Ich wäre conform, ihm dazu noch 1000 Dollars zu ge­ben, aber nur, wenn er etwas unter Deiner Kontrolle anfängt, nicht dass er evtl. sich Dampferbillets besorgt und geht nach Südamerika, denn ich hörte was von solchen Plänen. Bei seinem Alter von ca 50 Jahren geht das unbedingt schief.
Sollte also in diesem Sinn was zu machen sein, so wäre es mir sehr lieb, wenn Du ihm behilflich sein könntest. Vielleicht hast Du etwas Passendes an Hand. Also er versteht Tabak etc. und meine Schwester Conditoreikram. Sie war früher beim Hofkon­ditor Koch am Schillerplatz. Ich wäre Dir dankbar, wenn Du da­bei helfen möchtest, ein gutes Werk zu tun.
Dann habe ich noch ein Anliegen. Ich möchte zu Weihnachten an verschiedene Verwandten, die fast alle im unbesetzten Gebiet wohnen, Sendungen von Lebensmitteln machen. Also Zucker, Kaffe, Linsen, etc., etwas Chokolade etc. Je etwa 25 Dollar. Könnt Ihr das im Geschäft besorgen oder ist es besser, wenn ich mich nach Hamburg wende? Es können etwa 200 Dls zusammen werden.
Ich hoffe, bald von Dir wieder mal zu hören, danke Dir im Vor­aus für Alles und bin mit vielen Grüssen stets

Dein alter Freund & Kampfgenosse
C. Reichert

16

MEXICO, 4. März 1922

Mein lieber Freund Fröhlich!

Ich erhielt heute Deine l. Zeilen vom 13. Februar und es freut mich, aus den darin enthaltenen Angaben zu ersehen, dass es der alten Firma O & C doch nicht ganz so schlecht gehen kann, wenn sie ein Personal von 70 Personen beschäftigen muss und der Monatsumsatz so in die Millionen geht. Drüben ist das Geld immerhin noch etwas wert und nur die aus dem Ausland zu beziehenden Waren erscheinen sehr teuer. In Wirklichkeit ist das auch nur eine Illusion. Wenn man hier allerdings in Mark zum jetzigen Kurs umrechnet, so ist man gerade kein armer Mann, aber das ist auch nur eine Illusion! Wenn die Dinge so weiter gehen, so können wir bald von lauter Illusionen leben.

Ich beglückwünsche Dich auch zur Ernennung als Vorstandsmitglied der Handelskammer recht herzlich. Es freut mich, dass man Deine Tüchtigkeit und Fleiss anerkennt. Du hast es nicht gerade leicht gehabt, in Deiner Lage Dich in die Höhe zu arbeiten und umso befriedigter kannst Du sein, dass Du das aus eigener Kraft geschafft hast. Das hätte man sich früher bei O & C nicht träumen lassen.

Die Nachrichten von drüben lauten ja sehr wenig anmutend, aber der leidige Socialismus ist eine Weltkrankheit geworden und muss sich halt austoben. Auch hier werden die blödesten Sächelchen geleistet, denn sogar die Regierung ist teilweise direct kommunistisch angehaucht. Eine Garantie ist die Nähe der Vereinigten Staaten, die sicher eingreifen, wenn es gar zu toll wird. Wir haben es nicht gerade schön heutzutage, und die mageren Jahre halten sehr lange an. Aber man muss sich damit abfinden und noch zufrieden sein, denn Anderen geht es noch schlechter.

In diesem Gedanken möchte ich Deiner Anregung entsprechen und sende Dir anbei Check über M 10000.– a/ Deutsch-Südamerikanische Bank, Berlin, als Spende für die Oberreal­schule, die Du nach Deinem Gutdünken verwenden kannst. Es soll mich freuen, wenn ich einigen Leutchen etwas helfen konnte.

Oscar Ottmann habe ich in die Agentur der Musikwarenfabrik M. Hohner, Trossingen, hier, lanciert, wo er eine ganz passable Stellung hat. Hoffentlich hält er da aus. Er ist ein braver Kerl, aber etwas unbeständig.

Sonst für heute nichts Neues. Sei vielmals gegrüsst von

Deinem alten Freund!
C. Reichert

15

MEXICO, 22. Jan. 1922

Mein lieber Freund Fröhlich!

Ich empfing s. Zt. Deine l. Zeilen vom 12. November und danke Dir für Deine freundliche Bemühungen, meiner Tante und der guten Frau Mangold die beiden Schecks zu wechseln. Beide waren sehr erfreut über den Haufen Papiergeld, die sie für die Dollars erhielten. Ich hatte an verschiedene Verwandte und alte bedürftige Bekannte kleine Rimessen gemacht, aber die durch Dich gewechselten hatten am meisten Glück. Du bist halt ein tüchtiger Financier!

Meine Tochter Blanca hatte sich auf der Universität einschreiben lassen, aber der Arzt sagte ihr, dass seiner Meinung nach dieses Studium doch zu schwer wäre, da sei sie doch gesundheitlich nicht stark genug. Mein Socius hat ihr, meine diesbezügl. Wünsche sehr gut kennend, auch abgeraten und so hat sie sich entschlossen, für einige Monate in eine Pension zu gehen, um bessere Hausführung zu lernen und wird dann zurückkommen, was mich sehr freut, denn sie fehlt mir sehr. Ich war nie dafür, dass sie studiert, aber sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, und ich bin nun ein sehr nachgiebiger Vater, speciell, wo sie das einzige Mädel ist. Sie wartet darauf, dass ich sie abhole, aber da wird wohl kaum etwas daraus. Die Verhältnisse hier sehen mal wieder recht brenzlich aus , und ich wage es nicht, weg zu gehen. Wenn inzwischen was passierte, würde ich mir das nie verzeihen. Ob es im Spätjahr geht, wissen die Götter. Ich mache schon gar keine Pläne mehr, denn für gewöhnlich geht doch alles schief. Die Adresse ist: Blanca Reichert, Adr. Kommerzienrat Albert, Fährstrasse 2, Hamburg. Vielleicht geht sie demnächst nach Stuttgart, aber das weiss ich noch nicht.

Deine Mitteilungen über Wolff, Korn etc. waren mir sehr interessant, und wenn Du mir gelegentlich solche Neuigkeiten schreibst, bin ich Dir dankbar. Ich bin oft im Geist bei Euch in Lautringen! Das kannst Du an einliegendem Check von Mk 15000,– auf Deutsch-Südamerikanische Bank, Berlin, ersehen, den ich Dich bitte, im Namen unserer Firma dem dortigen Gymnasium zu schenken, um damit arme Beamtensöhne nach Gutdünken zu unterstützen. Sei so gut und entledige Dich dieser Aufgabe und nehme meinen besten Dank im Voraus für diese neue Belästigung.

Für heute verbleibe ich mit herzlichen Grüssen an die Herren Schneider, Heger und besonders an Dich und Deine l. Familie von uns Allen

Dein alter Freund!
C. Reichert

14

México, 16. Mai 1921

Mein lieber Fröhlich!

Ich komme heute zur Beantwortung Deiner l. Zeilen vom 27. Januar und danke Dir zuerst bestens für die freundliche Besorgung der Sache mit dem Check für das Gymnasium. Es hat mich gefreut, wenn der Betrag, wenn auch klein, zu etwas dienen konnte. Aber unsere Mittel sind auch gering, und wir haben die gesammelten Beträge in recht viele Teile gehen lassen müssen, damit möglichst Viele etwas bekommen.

Seit Monaten haben wir grossen Zuzug von deutschen Auswanderern, denen man drüben goldene Berge versprach, ihnen ihr Letztes aus der Tasche zog und die dann mit leeren Händen in Veracruz landeten, um hier zu „siedeln“. Es sind Leute dabei, wie Bibliothekar, Pfarrer, Bauzeichner etc., die alle der Meinung waren, hier sei es ein Kleines, sofort eine Farm geschenkt zu bekommen, die sich ohne Kenntnisse bewirtschaften lässt. Wir verhältnismässig wenige Deutschen haben uns dann organisiert, um den Leuten zu Stellungen zu verhelfen, denn in der Hochebene, die ziemlich gesund ist, wo sie also leben könnten, ist es unmöglich, mit dem Indianer zu konkurrieren, die fast nichts gebrauchen. Wo Landwirtschaft Rechnung lässt, ist an den Küsten für Kakao, Gummi, Kaffee, aber da halten die armen Leute das Klima nicht aus. Es war unverantwortlich, wie man solche Leute hierherkommen lassen konnte. Wenn es junge Bauern wären oder Leute mit grossem Vermögen, aber um eine Familie einigermassen anzusiedeln, müssen in Land und Geräte wenigstens 30000 $ gesteckt werden, also damals fast eine Million Mark!! Ich habe auch eine Familie aufgenommen, die zu 6 hier ankamen und von der wir 5 anstellen konnten, sodass diese Leute wieder ihr Auskommen haben. Unsere Deutsche Oberrealschule hat auch unter der Not der Umstände zu leiden, und ich musste mich entschliessen, die Leitung wieder zu übernehmen, indem ich den mir angetragenen Vorsitz im Verwaltungsrat der Schule wieder übernahm. Eines der Ehrenämtchen, die viel Arbeit machen und einem dazu noch Geld kosten. Aber wir Deutschen müssen schwer arbeiten, um wieder aus dem Schlamassel herauszukommen.

Rheinberger hat mir neulich auch eine Postkarte geschickt, wo­nach es ihm gut zu gehen scheint. Dass Huber vorwärts kommt, freut mich zu hören. Die Amerikaner lernen absolut keine andere Sprache und wenn einer hinkommt, der in Latein-Amerika war und ein paar Worte Spanisch kann, ist es ihm leicht, einen besseren Posten zu kriegen.

Bassler geht es gut. Ich habe ihm gleich reklamiert, dass er Dir mal schreiben soll und er hat es mir versprochen. Hoffentlich hat er auch sein Versprechen gehalten. Er hat ein Herrenartikelgeschäft, d.h. eine Niederlage ohne offenen Laden und da er sehr geringe Unkosten hat und eine Menge Leute kennt, so verkauft er ganz nett.

Durch Eure beiden Circulare sehe ich, welche Veränderungen eingetreten sind. Ich wünsche Dir und der alten Firma von Herzen alles Gute: speciell Du hast schwer schuften müssen in Jahrzehnte langer Arbeit und es möge Dir auch vergönnt sein, nun die Früchte zu sehen. Grüsse mir bitte die alten Kollegen vielmals und übermittelt ihnen bitte meine besten Wünsche.

Anbei sende ich Dir wunschgemäß eine Partie México-Marken, die hoffentlich Anklang finden.

Zu Hause geht es, Gott sei Dank, gut, nur meine Mutter kann immer noch nicht ganz auf den Damm kommen: Die langen Jahre in 2brücken haben ihr sehr geschadet und es bedarf langer Zeit und Geduld, damit es wieder einigermassen gut wird.

Nun bin ich schon wenigstens 20 Mal unterbrochen worden und muss schliessen, da wir sehr zu tun haben. Es fehlen 2 Prokuristen, den einen musste ich nach Berlin schicken, weil wir das Berliner Haus nun auch übernommen haben, denn der bisherige Leiter Carl Albert hat sich in Mecklenburg ein Gut gekauft und will nun privatisieren und die anderen beiden Soci in Berlin wollen auch nicht mehr. Der andere Prokurist war drüben zum Einkauf und wird in 8 Tagen wieder hier sein.

Also viele herzliche Grüsse an die ganze Firma, soweit sie mir bekannt ist, speciell an Dich von meiner Familie und

Deinem alten Freund!

C. Reichert