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México, 16. Mai 1921

Mein lieber Fröhlich!

Ich komme heute zur Beantwortung Deiner l. Zeilen vom 27. Januar und danke Dir zuerst bestens für die freundliche Besorgung der Sache mit dem Check für das Gymnasium. Es hat mich gefreut, wenn der Betrag, wenn auch klein, zu etwas dienen konnte. Aber unsere Mittel sind auch gering, und wir haben die gesammelten Beträge in recht viele Teile gehen lassen müssen, damit möglichst Viele etwas bekommen.

Seit Monaten haben wir grossen Zuzug von deutschen Auswanderern, denen man drüben goldene Berge versprach, ihnen ihr Letztes aus der Tasche zog und die dann mit leeren Händen in Veracruz landeten, um hier zu „siedeln“. Es sind Leute dabei, wie Bibliothekar, Pfarrer, Bauzeichner etc., die alle der Meinung waren, hier sei es ein Kleines, sofort eine Farm geschenkt zu bekommen, die sich ohne Kenntnisse bewirtschaften lässt. Wir verhältnismässig wenige Deutschen haben uns dann organisiert, um den Leuten zu Stellungen zu verhelfen, denn in der Hochebene, die ziemlich gesund ist, wo sie also leben könnten, ist es unmöglich, mit dem Indianer zu konkurrieren, die fast nichts gebrauchen. Wo Landwirtschaft Rechnung lässt, ist an den Küsten für Kakao, Gummi, Kaffee, aber da halten die armen Leute das Klima nicht aus. Es war unverantwortlich, wie man solche Leute hierherkommen lassen konnte. Wenn es junge Bauern wären oder Leute mit grossem Vermögen, aber um eine Familie einigermassen anzusiedeln, müssen in Land und Geräte wenigstens 30000 $ gesteckt werden, also damals fast eine Million Mark!! Ich habe auch eine Familie aufgenommen, die zu 6 hier ankamen und von der wir 5 anstellen konnten, sodass diese Leute wieder ihr Auskommen haben. Unsere Deutsche Oberrealschule hat auch unter der Not der Umstände zu leiden, und ich musste mich entschliessen, die Leitung wieder zu übernehmen, indem ich den mir angetragenen Vorsitz im Verwaltungsrat der Schule wieder übernahm. Eines der Ehrenämtchen, die viel Arbeit machen und einem dazu noch Geld kosten. Aber wir Deutschen müssen schwer arbeiten, um wieder aus dem Schlamassel herauszukommen.

Rheinberger hat mir neulich auch eine Postkarte geschickt, wo­nach es ihm gut zu gehen scheint. Dass Huber vorwärts kommt, freut mich zu hören. Die Amerikaner lernen absolut keine andere Sprache und wenn einer hinkommt, der in Latein-Amerika war und ein paar Worte Spanisch kann, ist es ihm leicht, einen besseren Posten zu kriegen.

Bassler geht es gut. Ich habe ihm gleich reklamiert, dass er Dir mal schreiben soll und er hat es mir versprochen. Hoffentlich hat er auch sein Versprechen gehalten. Er hat ein Herrenartikelgeschäft, d.h. eine Niederlage ohne offenen Laden und da er sehr geringe Unkosten hat und eine Menge Leute kennt, so verkauft er ganz nett.

Durch Eure beiden Circulare sehe ich, welche Veränderungen eingetreten sind. Ich wünsche Dir und der alten Firma von Herzen alles Gute: speciell Du hast schwer schuften müssen in Jahrzehnte langer Arbeit und es möge Dir auch vergönnt sein, nun die Früchte zu sehen. Grüsse mir bitte die alten Kollegen vielmals und übermittelt ihnen bitte meine besten Wünsche.

Anbei sende ich Dir wunschgemäß eine Partie México-Marken, die hoffentlich Anklang finden.

Zu Hause geht es, Gott sei Dank, gut, nur meine Mutter kann immer noch nicht ganz auf den Damm kommen: Die langen Jahre in 2brücken haben ihr sehr geschadet und es bedarf langer Zeit und Geduld, damit es wieder einigermassen gut wird.

Nun bin ich schon wenigstens 20 Mal unterbrochen worden und muss schliessen, da wir sehr zu tun haben. Es fehlen 2 Prokuristen, den einen musste ich nach Berlin schicken, weil wir das Berliner Haus nun auch übernommen haben, denn der bisherige Leiter Carl Albert hat sich in Mecklenburg ein Gut gekauft und will nun privatisieren und die anderen beiden Soci in Berlin wollen auch nicht mehr. Der andere Prokurist war drüben zum Einkauf und wird in 8 Tagen wieder hier sein.

Also viele herzliche Grüsse an die ganze Firma, soweit sie mir bekannt ist, speciell an Dich von meiner Familie und

Deinem alten Freund!

C. Reichert