MEXICO, 18. Aug. 1920
Mein lieber Fröhlich!
Ich erhielt Deine l. Zeilen vom 26. Juli, für heutige Verhältnisse also fabelhaft schnell und will sie gleich beantworten, indem ich Dir vorerst für Deine Freundlichkeit danke, meiner Tante Marie Ott Deinen Rat zur Verfügung gestellt zu haben. Sie hat mir durch meine 2. Mutter sagen lassen, dass sie ihr kleines Kapital auf der Sparkasse lassen will, da sie kein Haus bekommen konnte.
Meine Mutter ist vor wenigen Tagen hier eingetroffen, nach einer langwierigen Reise über Amsterdam, Spanien und Cuba. Es ist Alles heutzutage sehr umständlich und 4 mal so teuer, als in Friedenszeiten. Natürlich in Gold gerechnet, denn Mark ist ja keine Währung mehr, sondern ein Begriff. So nach und nach begreift man das drüben auch. –
Mein Socius, der Herr Kommerzienrat, kam auch mit merkwürdigen Ideen an. Nachdem wir uns schon mit einem schlimmen Briefwechsel ziemlich ans Visier geraten waren, entschloss er sich, hierherzureisen. Nach 24 Stunden Hiersein war er ein ganz anderer Mensch. Es ist für uns eine böse Sache geworden. Zuerst hier Papierwährung, dann legten wir einen grossen Teil unserer flüssigen Mittel nach Berlin & haben nun die verdammte Papiergeschichte dorten. Glücklicherweise konnte ich trotz schwarzer Listen und aller sonstigen Plackereien die Verluste schon wett machen. Beide Dinge zusammen haben uns nämlich rund 1 Million Pesos gekostet. Also ein ganz respektabler Aderlass. Als er sah, dass wir unser Kapital nicht allein gehalten, sondern noch eine anständige Dividende herausgewirtschaftet hatten, reiste er zufrieden wieder nach Haus. Was ich aber in alle den Jahren leisten musste, das kann er kaum begreifen, das muss man mitgemacht haben.
Mit Bedauern las ich, dass der arme Ruppel gestorben ist. Deine alten Kollegen Sch. und H. werden nun Deine Prokuristen! Wie merkwürdig es doch manchmal zugeht im Leben! Ich bemerkte mir, dass die neue Firma nun in Ordnung ist und wünsche Dir besten Erfolg. Du hast für das Haus viel getan und verdienst es, an der Spitze zu stehen.
Du siehst es als Rätsel an, was ich Dir wegen einer Heirat sagte. Solange meine gewesene Frau noch lebt, kann ich mich nach den hiesigen Gesetzen nicht wieder verheiraten, denn eine mex. Scheidung lässt keine solche Wiederverheiratung zu. Erst das neue Gesetz der Revolutionäre sieht das vor, bringt aber keine Bestimmung wegen der nach dem alten Gesetz Geschiedenen. Man könnte nun ausser Landes heiraten, aber die geschiedene Frau kann dann Durcheinander machen und das würde die Meinige sehr gerne tun, um Geld herauszuquetschen. Auch wird die 2. Frau dann hier nicht für voll angesehen, denn Jedermann weiss, dass die Ehe vor dem mex. Gesetz nicht gilt. Denke an Erbschaftskram etc. Nein, ich habe davon genug. Ich bin alt genug, um auf gewisse Dinge verzichten resp. sie anderweitig haben zu können. Ich verzichte recht gern auf den Ehemann.
Was das Depot angeht bei der Rh. K. Bk., so möchte ich Dich bitten, veranlassen zu wollen, mir gelegentlich einen Auszug zu senden. Es ist zwar nur eine kleine Summe, ich habe aber seit Jahren nichts mehr darüber gehört.
Anbei einige Marken, willst Du noch Revolutionsmarken?
Mit herzlichen Grüssen von Haus zu Haus bin ich Dein
C. Reichert