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México, 16. Januar 1925

Mein lieber Kommerzienrat!

Aus obiger Anrede wirst Du ersehen haben, dass ich Deine Post­karte vom 24. Dezbr. erhalten habe, und ich gratuliere Dir herzlich zu dieser Auszeichnung. Du hast es nicht leicht ge­habt, Dich durchzusetzen, und ich glaube, dass man Dir, auch bei O & C, für das An-die-Spitze-Kommen gar manchen Prü­gel vor die Beine geworfen hat, bis Du das erreicht hattest. Umsomehr freue ich mich für Dich. Hoffentlich kannst Du noch recht lange diese Würde geniessen und bringst es noch einmal zum „Geheimen“.

Es freut mich auch, dass Dir mein kleines Präsent gefallen hat. Es ist eine ganz gut gelungene Zusammenstellung von Sehenswer­tem, und man kann sich eine ungefähre Vorstellung machen, wie es hier aussieht. Was könnte dieses Land sein, wenn die Einwoh­ner auf einer höheren Stufe stünden und nicht immer wieder po­litische Wirren einträten!

Von Deiner Rangerhöhung habe ich auch Bassler sofort in Kennt­nis gesetzt, und er hat sich, gleich mir, sehr darüber gefreut, so, dass er versprach, an Dich zu schreiben.

Mit meinen Reiseplänen kann ich immer noch nicht ins Reine kom­men. Es ist schwer, sich loszureisen, jetzt, wo wir wieder durch Zusammenarbeiten mit der Regierungsbank in der Silber­frage einen kräftigen Schritt nach aufwärts gemacht haben. Ich möchte auch, bevor ich einmal länger abwesend bin, meine Söhne so weit haben, dass sie den anderen Associés etwa als Prokuri­sten an die Hand gehen können, denn sonst wird es die­sen zuviel. Das sehe ich jetzt, wo einer der beiden Herren Bilse drüben zum Einkauf ist und der andere zu seiner Arbeit noch die des Bru­ders am Hals hat. Wird dann einer der beiden krank oder will man ein paar Tage weg, so kommt der verblei­bende kaum mehr durch. Wir erreichen in diesem Bilanzjahr, wenn nichts dazwi­schen kommt, einen Umsatz von 5 Mill. GMk, eine Summe von Ar­beit, wenn man bedenkt, dass fast Alles Kleinigkeiten sind, die nicht sehr ins Geld laufen. Dabei muss ich sagen, dass  ich keine grosse Schneid zur Reise habe, denn trotz meiner vielfa­chen Unterstützungen habe ich, wie Du ja leider an einem Bei­spiel sehen musstest, da sehr schlechte Erfahrungen machen müs­sen. Undank ist der Welt Lohn: wie wahr ist dieses Sprichwort. Und wie soll ich da nun hingehen? Ich habe gar keine Lust dazu und vorerst lasse ich mal den Juli an mich herankommen. Vorher kann ich doch nicht weg, denn ich will bei der Bilanz dabei sein.

Eben habe ich einen interessanten Besuch in Geheimrat Dr. Paa­sche, dem alten Reichtags-Vicepräsidenten, der mir durch Herrn F. Albert empfohlen wurde und der mit seiner Frau auf einer Aufklärungsreise begriffen ist. Es sind sehr nette Leute.

Sonst ist Alles beim Alten. Hoffentlich findest Du bald Zeit, mir mal wieder etwas von Lautern zu erzählen. Inzwischen ver­bleibe ich mit herzlichen Grüssen an Dich und besten Wünschen für Dein und Deiner Familie Wohlbefinden stets

Dein
C. Reichert