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10. Juni 1926

Lieber Reichert !

Dein Brief vom 8. Mai kam in meinen Besitz, und ich danke Dir vielmals für Deine Mitteilungen. Zunächst entnahm ich Deinen Ausführungen gerne, dass Deine Tante und Dein Sohn Albert auf der Reise nach der alten Heimat sind und mich besuchen wol­len. Dieser Tage war Herr Ottmann da und bestellte Grüsse von Dir, die ich erwidert habe. Ich muss Mitte nächster Woche auf einige Wochen zu einer Stoffwechselkur nach Badenweiler und habe Deiner Tante nach Frankenhausen geschrieben, dass es mir lieb wäre, wenn der Besuch Ende Juli, Anfang August stattfin­den könnte. Wenn nicht, mögen die beiden Personen, die ich mit Freuden erwarte, mich auf der Reise nach der Schweiz in Badenweiler aufsuchen. Ich hoffe, dass die Sache klappt, und wir ein paar Ständchen von Dir, sowie von Mexiko und Deiner Heimat erzählen können.

Die Verhältnisse bei uns in Deutschland liegen nach wie vor im Argen. Danke Gott, dass Du den besseren Teil erwählt hast und seinerzeit auswandertest. Gewiss hast Du recht, dass man durch Spekulation manches gut machen kann, aber für die deut­schen Firmen heisst es heute, das Wenige, was nach der Infla­tion erhalten blieb, zu wahren und spekulieren soll man erst dann, wenn man eine Reserve hat und nicht alles „die Bach hinunter geht“. Hunderte und tausende Firmen von hundertjäh­rigem Ruf und Ansehen sind verschwunden, ganz abgesehen von den vielen Nachkriegsgründungen, die den Weg alles Fleisches gehen mussten, –

Die Briefmarken, die Du mir für Herrn Klinger geschickt hast, habe ich demselben übergeben und lässt er vielmals dafür dan­ken. Herr Klinger ist nicht verwandt mit der Dame, die mit Dir tanzen lernte. Er hat hier keine Verwandte, weil er von auswärts zugezogen ist. Fräulein Klinger, mit der Du noch in Korrespondenz stehst, wird eine Tochter des Postmeisters Klinger gewesen sein, der in der Nähe des Stadtparks wohnte.

Das Geschäft bei uns ist immer noch sehr ruhig. Die Einkaufsgenossenschaften, Konsumvereine etc. wollen den Grosshandel ausschalten, und vielfach geht der Grosshandel dazu über, ei­gene Verkaufsläden aufzumachen. Wir befassen uns auch mit dem Gedanken und wenn die Verhältnisse nicht besser werden, wer­den wir dazu gezwungen sein.

Ausserordentlich erfreut war ich über die Spende Deines Freundes Brauer. Es rührte mich tief, dass Abkömmlinge von ausgewanderten Deutschen noch so sehr an ihrer Heimat hängen. Ich habe den Betrag wie folgt verwandt:

Säuglingsfürsorge M 200.-, Tuberkulosenfürsorge M 200.-, Pfälzer Waldverein M 100.-. Bezüglich des Pfälzer Waldvereins bist Du ja im Bilde, wie wohltätig derselbe wirkt und bezüg­lich der Tuberkulosen- und Säuglingsfürsorge brauche ich ja nichts zu sagen. Gerade diese Anstalten tun bei der kolossa­len Armut der Bevölkerung nur Gutes. Sodann habe ich dem hie­sigen Oberbürgermeister nach vorheriger Rücksprache mit ihm M 300.- übergeben. Davon will Herr Oberbürgermeister M 200.- für einen Herrn Dr. Barth verwenden, der vollständig verarmt ist und in München sein juristisches Staatsexamen machen möchte, aber kein Geld hat. Es ist dies ein Sohn des früheren Einnehmers und Stadtschreibers Peter Barth, der schon längst gestorben ist und mit dem wir zusammen im Stenographenverein waren. B. war damals Vorsitzender, und ich glaube speziell auch in Deinem Sinne zu handeln, wenn ich, wie geschehen, ihm durch Herrn Oberbürgermeister den Betrag überweisen liess. Der Junge wird Dir ewig dankbar dafür sein. Sodann hat Herr Oberbürgermeister M 100.– einem Fräulein Zenker gegeben, de­ren Vater Du auch gekannt hast. Er war Ingenieur beim Eisenwerk und wurde kurz vor dem Waffenstillstand durch eine Flie­gerbombe getötet. Seine Tochter lebt in den bittersten und ärmsten Verhältnissen und ist krank, sodass auch hier der kleine Betrag gut angebracht ist. Die restlichen M 200.- habe ich der Freiwilligen Sanitätskolonne zugeleitet. Über M 700.- erhälst Du in der Einlage das offizielle Dankschreiben des Herrn Oberbürgermeisters. Die Quittungen des Pfälzer Waldver­eins sowie der Freiw. Sanitätskolonne sende ich Dir nach Emp­fang nach.

Du schreibst von einer Steingutfabrik, bei der Du Vorsitzen­der wärest. Ist dies ein neues Unternehmen von Dir?

Herrn Brauer bitte ich, meine persönlichen Empfehlungen zum Ausdruck zu bringen. Wie gut wäre es, wenn in der dortigen Kolonie es noch mehr solch edeldenkender Menschen gäbe, ein­gedenk des Sprichwortes: „Geben ist seliger wie Nehmen.“

Am letzten Sonntag war hier anlässlich des 650 jährigen Jubi­läums unserer Stadt ein grosses Fest mit Festzug in Erinne­rung an die im Jahre 1276 durch König Rudolf von Habsburg der Stadt Kaiserslautern verliehenen Stadtrechte. Ich sende Dir einliegend das Festprogramm. Es war eine unzählige Menge fremder Leute hier.

Sonst weiss ich heute nichts Neues und grüsse Dich

in alter Freundschaft
Dein
A. Fröhlich