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México, 13. November 1923

Lieber Adolf!

Ich erhielt Deine lieben Zeilen vom 29. Aug. und hoffe, dass Dir Dein Aufenthalt in Freudenstadt gut getan hat. Herr Krell schrieb mir vor wenigen Tagen, Du habest ihm aufgetragen, mir zu sagen, dass Du mir nächstens schrei­ben würdest. Hoffent­lich lässt Dich das Geschäft bald dazu kommen.

Nun erhalte ich heute einen Brandbrief von meinem Bruder Hein­rich, Schillerstr. 27, Ludwigshafen, dem wohl schleu­nigst ge­holfen werden muss, denn es muss ihm recht schlecht gehen. Ver­stehen kann ich es nicht ganz, denn sein Sohn, der jetzt hier ein Speditionsgeschäft hat, sagt mir oft, dass er seine Eltern unterstütze. Mein Bru­der meint, er wolle mit seiner Frau und Tochter hierher­kommen, was aber in seinem Alter eine gewagte Sache ist. Ich bin sehr gegen solche Versuche, die mehr Verzweif­lungsanfälle sind. Ich habe es hin und her über­legt, aber es geht nicht. Gewöhnlich stellen es sich die Leute auch anders vor, als es hier de facto ist und dann kommt die Enttäu­schung.

Ich erlaube mir nun, Dich wieder zu piesacken, indem ich Dir anbei einen Check über 50 Dlr sende, mit der Bitte, Dir mei­nen Bruder kommen zu lassen (ich schrieb ihm, er solle zu Dir fah­ren) und ihm Geld und/oder Lebensmittel dafür zu geben. Viel­leicht kannst Du ihm mal einen Rat geben, was er in sei­ner Lage tun soll, denn ich kann das leider von hier aus nicht. Sei so gut und sehe mal zu, ob nichts für ihn zu ma­chen ist.

Nach Erhalt Deines Briefes mehr, da ich Heutiges noch mit der Post weg haben möchte und damit keine Zeit verloren wird.

Am 24. heiratet mein Töchterchen. Weiteres im nächsten Brief. Inzwischen vielen Dank im Voraus und beste Grüsse,

auch an Deine Frau und die alten Kollegen von O & C.

Dein
C. Reichert