MEXICO, 15. Novbr. 1923
Mein lieber Freund Fröhlich!
Kaum war mir mein Letztes vom 13. ds. (wovon anbei ein Durchschlag) weg, als Dein lieber Brief vom 24. October eintraf.
Du schreibst mir darin über die Verteilung der kleinen Stiftungen, und ich muss Dir vor Allem mein Kompliment machen über die Art und Weise, wie Du den Kram angepackt hast. Da liegt doch noch Sinn und Verstand drin und man kriegt wieder etwas Vertrauen, denn was man sonst von drüben in die Finger bekommt, grenzt gewöhnlich an geistige Dekadenz. Jedenfalls freue ich mich, eine so brillante Vermittlung in Dir gefunden zu haben, der nicht einfach das Geld hinauswirft, was ja ziemlich einfach ist, sondern sich liebenswürdigerweise einer grossen Arbeit unterzieht. Habe vielen Dank dafür.
So ganz schwach kann ich mich noch an die von Dir erwähnten Persönlichkeiten erinnern und es ist mir lieb, wenn durch diese Sache der Name meines von mir verehrten Vaters wieder einmal genannt wird und man durch ihn, sozusagen aus dem Grab heraus, nochmals etwas Gutes erhält.
Der Techn. Staatslehranstalt hatte ich zur Studentenspeisung am 31. 3. den Betrag von 1 Mill. überwiesen, wie ich Dir glaube, geschrieben zu haben. Ich fürchte, dass man das Geld nicht in Werten angewandt hat, sondern liegen liess, bis es fast nichts mehr wert war. Das ist schade, denn damals kostete eine Million Mark immer noch einiges in Gold. Es ist mir leider mit diversen solchen Rimessen so gegangen, denn die Betreffenden legten das Geld auf die Bank, statt sich gleich was zu kaufen. Aber da kann ich nichts dafür.
Was den Bahnmeisterverein betrifft, so bin ich, wie Du, auch kein grosser Freund von Vereinsmeierei, es sei denn, dass der Verein auch wohltätige Zwecke verfolgt. Trifft das bei dem B.V. zu, so kannst Du gerne etwas tun, und ich überlasse es Herrn Walther, mir mal zu schreiben, denn ich würde dann noch direkt etwas unternehmen.
Es wäre mir lieb, wenn Du der alten Frau Mangold auch etwas an Lebensmitteln übersenden könntest, vielleicht zu Weihnachten. Sei so gut und denke auch daran.
Also wiederholt meinen herzlichsten Dank, lieber Freund, für Deine Unterstützung, die Dir an dem Liebeswerk einen sehr wesentlichen Anteil sichert, sodass wir Beide uns nichts wegen der verursachten Arbeit vorzuwerfen brauchen. Es wäre mir peinlich, Dich Deiner intensiven Beschäftigung durch diese Geschichten entziehen zu müssen, wenn ich nicht wüsste, dass Du es gerne tust.
Ich benütze noch die Gelegenheit, um Dir und Deiner lieben Familie und der Firma O & C für das Neue Jahr gute Gesundheit zu wünschen und der Hoffnung Ausdruck zu geben, dass das neue Jahr eine Besserung der traurigen Verhältnisse bringen möge.
Viele Grüsse von Deinem alten Freund
C. Reichert