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Kaiserslautern, 20. Februar 1920

Lieber Carl!

Ich hätte Deinen lieben Brief vom 4. Dezember, der bereits vor einigen Wochen hier ankam, gerne schon früher beantwortet, aber es war mir dies ganz unmöglich. Am 1. Januar hatten wir Bücherabschluss, sodann die Vorarbeiten für die neue Firma, die immer noch nicht eingetragen ist, was jetzt in 8 oder 14 Tagen erfolgen soll.

Ludwig Ottmann war ungefähr ein halbes Jahr krank und sein Leiden war Herz- und Nierenleiden, beginnend mit Abgang von Eiweisstoffen. Eine ärztliche Rettung war leider nicht mehr möglich, es sei denn, er wäre ein Jahr zuvor nach Ägypten gegangen in ein heisses Klima. Aber die Ausreise war ja infolge des Krieges ganz unmöglich, und nachdem die Franzosen ins Land gekommen, waren wir sozusagen in Kaiserslautern im Gefängnis. Wenn man nur nach Morlautern oder Trippstadt wollte, musste man einen Ausweis haben. Über die Rheinbrücke zu kommen, war im Anfang Glückssache. Jetzt ist es ja seit der Ratifizierung des Friedens etwas besser geworden.

Arthur ist noch in Hamburg, und Paula Ottmann lebt in Landau. Ihr Gemahl, früher aktiver Hauptmann im 23. Inf. Regt. war in französischer Gefangenschaft. Er wurde seinerzeit an Weihnachten 17 bei Verdun gefangen und ist vor 14 Tagen aus der Gefangenschaft zurückgekehrt. In den nächsten Tagen will er uns hier besuchen.

Ich will gerne Deinem Wunsch bezüglich einer Photographie meiner Familie willfahren, aber Du musst Dich noch einige Monate bis zum Frühjahr gedulden. In der Zwischenzeit hoffe ich ein Bild Deiner Familie zu bekommen. Das letzte Bild, das Du mir geschickt hast, hängt eingerahmt in meiner Wohnung. Dein Wintergarten ist herrlich und wenn man ihn so betrachtet, glaubt man an der Riviera zu sein. Bassler schreibe ich heute auch und ich habe ihn gebeten, für meine Kinder und den kleinen Karl-Heinz – das Söhnchen von Ludwig O. – demnächst Briefmarken zu schicken. Die gleiche Bitte möchte ich auch an Dich richten.

Deine Neujahrskarte habe ich erhalten. Dass ich Dir auch gratuliert habe, darfst Du mir nicht verübeln, denn in dieser aufgeregten Zeit vergisst man dieses leicht. Du hast keine Ahnung, was wir seelisch unter der Besatzung zu leiden haben, ganz abgesehen von den schlimmen Nahrungssorgen, die Jeder ohne Unterschied augenblicklich durchmachen muss. Die Ver­hältnisse stinken zum Himmel und wenn nicht bald Hilfe vom Ausland kommt, werden noch Millionen armer Leute verhungern müssen. Daran ist natürlich der verlorene Krieg und dann unsere Regierung schuld. Es wird jetzt nur in Sozialisierung gearbeitet und bei all diesen Sachen vergisst man, dass der Mensch davon nicht leben kann. Wie sich die Verhältnisse in diesem Jahre in Deutschland gestalten, kann niemand sagen. Man befürchtet Schlimmes, wenn die Leute nicht zur Vernunft kommen. Ich hoffe und wünsche, dass sich im Laufe der Jahre – wenn auch langsam – Deutschland wieder erheben wird, und wir wenigstens erträgliche Zustände bekommen. Weniger wegen den alten Leuten, als wegen der Kinder, denn, der Fall gesetzt die Verhältnisse würden so bleiben, wie sie augenblicklich sind, dann würde ich tatsächlich in meinen alten Tagen auch lieber das Ränzel schnüren und lieber nach Amerika gehen. Es ist keine Lust mehr in Deutschland zu leben. An einen Revanchegedanken können wir natürlich augenblicklich bei unserer vollständigen Machtlosigkeit gar nicht denken und nur die deutsche Arbeit und der deutsche Geist können uns Besserung bringen. Anzeichen dafür sind ja da, aber im Grossen und Ganzen hängst## unsere Zukunft doch davon ab, in welcher Art und Weise uns das Ausland hinsichtlich Geld und Nahrungsmittel unterstützt. Die meisten Fabriken stehen augenblicklich wegen Kohlemangel still und die Bergleute, welche bisher nur 7 Stunden gearbeitet haben, sind mit dem Gedanken umgegangen, die Arbeitszeit auf 6 Stunden zu verkürzen. Davon ist man allerdings jetzt abgekommen und seit einigen Tagen ist eine Bestrebung im Gange, die hoffentlich Erfolg hat, wonach die Bergleute wieder 7, 8 und 9 Stunden schaffen sollen, damit wir die Kohleproduktion bedeutend erhöhen können.

Dein Freund Korn, der nebenbei bemerkt vom Protestantismus zum Katholizismus übergetreten ist, hat es weit gebracht. Er ist jetzt Ministerialrat und es war vorauszusehen, dass er – der jederzeit ein Streber, allerdings auch ein sehr geistreicher Mensch war – es zu etwas bringen würde. Frau Ottmann lässt für Deine Anteilnahme herzlich danken, und Schneider, Hegel und Ruppel erwidern Deine Grüsse aufs Herzlichste. Als ich in Deinen Brief las, dass Du auf Deinem Wintergarten die echte Mexico rauchst, verspürte ich etwas Neid, denn hier raucht man zu teurem Geld die Stinkadora. Die Zigarren sind so wahnsinnig teuer geworden, dass man für eine, die man früher im Laden zu 6 Pfennig kaufen konnte, heute mindestens M:1,- bezahlen muss. Ein viertel Liter Wein, den man früher in jeder Wirtschaft zu 20 Pfennig trank, kostet heute mindestens M:5, – und so ist alles wahnsinnig teuer geworden. Es wird gewuchert, geschoben, geprasst und geschlemmt trotz der unglücklichen Zeit, und ich betrachte die Sache vom physiologischen Standpunkt aus als Massenwahn. Die Leute haben durch den Krieg zuviel Unangenehmes erfahren, sodass die Nerven vollständig ruiniert sind. Ich war auch wieder einige Tage krank und werde im Frühjahr, sobald die Kurzeit beginnt, nach Kissingen müssen.

Hoffentlich höre ich bald wieder von Dir. In der Zwischenzeit sei Du und Deine Angehörigen herzlich gegrüsst von

Deinem alten Freund!
A. Fröhlich

Eine vertrauliche Frage möchte ich mir noch erlauben. Bist Du nun mit Frl. Alverdes verheiratet oder nicht. Nehme mir meine Frage nicht übel. Ich halte es für das Beste, wenn Du es tun würdest, wenn es nicht schon geschehen ist. – Grüsse sie herzlich. –