Archiv für den Monat: Juli 1926

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Mexiko, 28. Juli 1926

Mein lieber Fröhlich!

Ich erhielt Deine frdl. Zeilen vom 10. Juni nebst den Beila­gen wegen der verschiedenen Zahlungen, die ich Herrn Brauer gezeigt habe & anbei zurücksende. Hier wird immer so viel ge­sammelt, daß die meisten Leute recht dickfällig geworden sind. Die Ansprüche sind enorm. Wir haben hier für alle mög­lichen Dinge, die die Deutschen angehen, wie Schule, Hilfs­verein, Krankenkasse, Handelskammer, Reichsverband etc., per­manent zu blechen. Dann ist hier im Land immer etwas los, wo eingegriffen werden muss. Religiöse Schulen haben wir ca. 50 Stück auf unserer Liste. Und dann hat fast jeder Verwandte drüben, die Hilfe haben wollen, wenn sie auch im umgekehrten Fall sich kaum mehr an einen erinnern könnten. Wo aber die Möglichkeit ist, denke ich gerne an meine alte, liebe Heimat.

Aus Deiner Postkarte aus Badenweiler ersehe ich, dass meine Leute bei Dir waren & Dir ein wenig von uns erzählen konnten. Ich hoffe nach ihrer Rückkehr auch über Dich etwas erzählt zu bekommen. Auch das Heft über den Nahrungsmittel-Grosshandel habe ich erhalten mit Deinem Bild als Vorstandsmitglied. Du kannst stolz auf Deine Leistungen & Dein Aufwärtskommen sein, denn Du hast das allen Quertreiberreien zum Trotz geschaffen. Ich wünsche Dir herzlich, dass Du gesund im Kreise der Deinen die Früchte Deiner Anstrengungen bis in ein hohes Alter ge­niessen kannst. Da ich nicht weiß, ob Du die Zeitschrift noch benötigst, habe ich sie Dir lieber zurückgeschickt.

Frl. Klinger ist die Tochter des verstorbenen Postmeisters, der in der Pirmasenser Strasse wohnte. Ich kenne sie von den Tanzstunden her & war mit ihr beim Tanzstundenball Vortänzer. Alte, längst verklungene, aber schöne Zeiten!

Du schreibst mir leider immer so knapp über geschäftliche Dinge, die mich, was O & C betrifft, immer sehr interessie­ren. Was Detailverkauf betrifft, so sind wir hier längst dazu gezwungen worden, ohne jedoch den Engros aufzugeben. Unser Detailgeschäft hält die Sache aufrecht & deckt die Unkosten, wenn mal der Engros durch die ewigen politischen Geschichten von Zeit zu Zeit versagt. Im Innern des Landes machten wir vor 1919 an größeren Plätzen, wo wir nichts mehr am Kunden verkaufen konnten, selber grosse Filialen auf & setzten un­sere besseren Leute hinein, um uns so den Umsatz zu erhalten. Die Revolutionen mit ihren Inflationen zwangen uns schon 1915/16, nach und nach damit abzubauen, weil wir wegen des Krieges nicht mehr nachsortieren konnten. Und jetzt sind die Dinge so, dass mangelndes Vertrauen es uns möglich macht, das Engroß-Geschäft recht gut zu forcieren. Im letzten Jahr haben wir fast 6 Millionen Mark umgesetzt, in unserem Krims-Krams schon allerhand. Unsere Konkurrenz ist ziemlich kalt ge­stellt, nachdem sie im Krieg unter Hilfe der Schwarzen Liste fast alles an sich gerissen hatte.

An Peter Barth, den Stenographie-Lehrer, erinnere ich mich sehr gut, dagegen weiss ich nicht, wo ich Zenker unterbringen soll.

Die Steingutfabrik ist ein deutsches Unternehmen, an dem wir mit Kapital beteiligt sind. Auch bearbeiten unsere 12 Reisen­den im Innern den Verkauf der Fabrik mit. Wir haben also In­teresse an dem Gang der Sache & deshalb liess ich mich breit­schlagen, den Vorsitz zu übernehmen. Daß ich den gleichen Po­sten in der hiesigen Deutschen Handelskammer übernommen habe, schrieb ich Dir, glaube ich, schon. Das mir ebenfalls angebo­tene Konsulat musste ich aber abweisen, denn ich kann nicht so vielerlei besorgen, man fühlt es doch, daß man über die 50 hinaus ist. Ich möchte mich nicht noch mehr binden, als das schon der Fall ist, sonst macht man mich „hin“. In meiner Freizeit zerstreue ich mich mit meinen Briefmarken, die mir viel Spass machen. Von ganz Alt-Deutschland fehlen mir nur noch 2 Braunschweiger, es ist also schon eine Sammlung, die sich sehen lassen kann. Im Ganzen habe ich 32000 verschie­dene, darunter ganz nette Seltenheiten.

Interessant war mir das Festprogramm der 650 Jahr-Feier von unserem alten Lautringen. Da ist doch schon manches Tröpfchen die Lauter hinuntergeflossen. Hoffentlich haben meine Leute in der Pfalz gutes Wetter, damit mein Albert die Vaterstadt seines Alten geniessen kann. Er versprach mir schöne fotogr. Aufnahmen zu machen; mal sehen, ob was daraus wird.

Und nun wünsche ich Dir, dass Dir die Kur gut bekommen ist & Du mit neuer Wut wieder ins Geschäft gestürzt bist & bin mit herzlichen Grüssen stets

Dein alter Freund
Reichert

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Kaiserslautern, den 27.7.1926

Lieber Freund Karl !

Es war für mich eine ausserordentlich grosse Freude, Deine Tante Alverdes u. Deinen Sohn Albert während meiner Kur in der Villa Hedwig in Badenweiler i/Schwarzwald begrüssen zu dürfen, und wir haben Dir ja von unserem gemeinsamen kleinen Nachmittagsausflug von Schloss Hausbaden eine Ansichtskarte mit Grüssen geschickt. Es tat mir nur sehr leid, dass die lieben Leute mich in Badenweiler nicht gleich auffanden, in­dem sie zu dem dirigierenden Doktor Heinecke gingen, der von der Kuranstalt entfernt wohnt und mir über Mittag nicht tele­fonieren konnte, weil an dem grossen „Seeplatz“ das Telefon von 11–5 Uhr mittags geschlossen ist (an Sonntagen). Da in der Kuranstalt für jeden einzelnen Patienten diätisch gekocht wird und an diesem Tage noch 6 Gäste anwesend waren, war es mit dem besten Willen nicht möglich, die Mexikaner bei mir zu Tisch zu haben.

Wir haben nachmittags beim Kaffee uns über Angenehmes und Schönes aus der Vergangenheit, über gemeinsame Freunde und über Mexiko und last not least über Dich selbst angenehm un­terhalten können. – Der Besuch in Kaiserslautern brachte als­dann meiner Frau und meinen Kindern lebhafte Freude und Frl. Alverdes und Albert werden Dir alles erzählen.

Dieselben sagten mir in Badenweiler, dass man Dich von der Regierung in Berlin als deutschen Konsul ausersehen habe. Du hättest aber vor Annahme dieser hohen Ehrenstellung die Be­dingung daran geknüpft, auf Deinem Heim die alte schwarz-weiss-rote Flagge hissen zu dürfen. Nach den Kämpfen im Reichstag und im Deutschen Blätterwalde wird dies wohl augen­blicklich noch nicht möglich sein, aber die Flaggenfrage selbst soll ja auf die eine oder andere Art und Weise in nächster Zeit gelöst werden, und ich hoffe zuversichtlich, dass Du in der Zwischenzeit Deine Bedenken zurückgestellt und das Amt angenommen hast.

Wie ich von Frl. Alverdes hörte, soll der alte Paasche, der Dich voriges Jahr besuchte, in Amerika gestorben sein. Er hat sich früher im Reichstag sehr verdient gemacht.

Bei uns ist die politische Lage etwas besser geworden. Aber die wirtschaftliche lässt noch viel zu wünschen übrig. Die Zahl der Arbeits- und Erwerbslosen hat noch nicht viel abge­nommen, weil die Industrie- und die Bautätigkeit nicht rich­tig in Schwung kommen will.

Infolge des Dumpings der französisch-spanisch-italienisch-etc. Valuten befindet sich der deutsche Export in grossen Schwierigkeiten. Hoffentlich wird bald überall stabilisiert. Ebenso wären jetzt Handelsverträge allerseits notwendig. Man sieht mit Besorgnis dem Winter entgegen!

Heute las ich in der Zeitung von dem mexikanischen Religions­streit, der jedenfalls für die mexikanischen Verhältnisse nicht angenehm ist.

Die wichtigste Nachricht, die ich Dir heute zukommen lassen will, ist die Tatsache, dass ich durch Mehrheitsbeschluss der Firma Ottmann & Co. G.m.b.H. als Geschäftsführer dieser Firma abberufen bin, unbeschadet aller meiner Rechte aus meinen Verträgen, die noch drei bis vier Jahre laufen. Ich habe da­gegen Protest erhoben und (es) wird in einigen Wochen zunächst ein Schiedsgericht darüber beschliessen. Alsdann wirst Du Weiteres von mir hören. Solange mein Vertrag läuft, muss ich noch Teilhaber der Firma bleiben. Ich sende Dir einliegend noch für Herrn Louis Brauer die Quittung der Sani­tätskolonne sowie ein Schreiben des Pfälzer Waldvereins nebst Mitgliedskarte und Satzungen, wonach Herr Brauer als Mitglied des Pfälzer Waldvereins geführt wird.

Ohne mehr für heute begrüsse ich Dich

in alter Freundschaft
Dein treuer
A. Fröhlich