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México, 27. August 1924

Mein lieber Adolf!

Ich erhielt Deine Postkarte aus Marienbad und Brief vom 6. ds. und freue mich, daraus zu ersehen, dass Dir die Kur gut getan hat. Aus den mir freundl. übersandten Fotos ersehe ich, dass Du wohl aussiehst, wenngleich man bemerken kann, dass die letzten 18 Jahre, die wir uns nicht gesehen haben, auch nicht spurlos vorübergegangen sind. Es ist eine lange Spanne Zeit, und wir müssen uns mal wieder mündlich aussprechen. Hoffentlich kommt mir im nächsten Jahr nichts dazwischen. Ich möchte mich mal ru­hig in den Schwarzwald setzen und dann bie­tet sich Dir hoffent­lich Gelegenheit, einige Zeit dort zu sein, denn nach der Pfalz zu kommen, glaube ich kaum über mich zu bringen. Gerade dieser Umstand hat meine Sehnsucht nach der alten Heimat mächtig ge­dämpft. Wenn ich mir die far­bigen „Landsleute“ vorstelle, nein, das geht nicht.

Ob bei den Verhandlungen de facto Gutes für uns heraus­springt, bezweifle ich immer noch, wenn auch der Franc sich nicht bes­sert. Das könnte man als Zeichen nehmen, dass es den Franzosen nicht günstig gegangen ist. Aber bisher kam das dicke Ende im­mer noch hinten nach und das macht einen vor­sichtig im Freuen.

Von meinem Filius Franz hörte ich von Berlin, privatim sehr kurz, aber geschäftlich desto mehr. Er scheint sich gleich in die Arbeit gestürzt zu haben, was mir eigentlich die liebste Nachricht ist, denn meine Söhne sollen vor Anderen nur das vor­aushaben, dass sie mehr arbeiten sollen, wie die Anderen. Dafür haben sie auch ein besseres Leben und bessere Aussich­ten. Franz bleibt nur kurz in Berlin, denn ich brauche ihn hier nötiger. Berlin hat Personal genug. Wie Franz mir schreibt, glaubt er im Gegenteil, dass ,man mit wenigen Leuten auch auskommen kann. Da in Berlin kein Socius mehr ist, so machen sich die Herren es sehr bequem. Herr Albert sitzt in Hamburg und kommt nur alle paar Monate nach Berlin, auf ganz knappe Zeit. Viel kann er da nicht sehen. Ich habe nun durch Franz eine schärfere Controlle einrichten lassen, um an Hand der monatlichen Reports etwas klarer sehen zu können. Mein Albert ist in Puebla auf Ge­schäftstour und soll nach dieser Tour hier bleiben. Er hat nun Erfahrungen auf Reisen gemacht, hat sehr gut verkauft und da­durch als Bengel von 21 1/2 Jahren unsere ganzen anderen Rei­senden in den Schatten gestellt. Nun kann er nach und nach die Leitung der Propa­ganda- und Reisenden-Abteilung in die Hand nehmen.

Nachdem wir anfangs des Jahres durch die verfluchte Revoluzze­rei schweren Schaden hatten, strengten wir uns sehr an und es war Ende Juni gelungen, schon wieder einen recht niedlichen Ab­schluss zu machen. Wir haben im laufenden Bi­lanzjahr viel Sorge und Ärger gehabt, aber es hat wenigstens gelohnt. Manchmal ist das Geschäft doch interessant. Wir ha­ben gerade wieder eine heikle Lage wegen der übertriebenen Silberprägung, welche eine Art Panik auslöste und das Agio auf Silber (wir haben Goldwäh­rung) bis auf 8 1/2 % getrieben hatte. Die Regierung weiss na­türlich Alles besser, aber der 2. Direktor der Münzkommission kam in seiner Beklemmung zu mir, und wir verabredeten einen Plan, dass der Handel da zu Hilfe kommen konnte. Es ist gelun­gen, das Agio schon auf 3 1/2 % zu bringen & ich denke, dass wir bald die Sache ge­deichselt haben. Die Intervention hat uns selber einen schönen Verdienst abgeworfen, abgesehen von der Reklame, die wir für uns machen konnten.

Wegen der Weihnachtssendungen möchte ich Dich bitten, Dir auf Deinem Kalender vorzumerken, wenn Du im October liefern kannst. Sonst ist es wohl am einfachsten, ich sende Checks: dann kann sich Jeder kaufen, was er will. Mit meinem Bruder habe ich Pech gehabt. Ich schrieb ihm klipp und klar, er müsse sich bei Dir entschuldigen, was er in seiner Dickköp­figkeit natürlich nicht tat. Nun lasse ich aber meine Finger davon. Ich kann es nicht ändern. Die verzweifelte Notlage, die er mir schilderte, stimmte jedenfalls nicht, denn wenn einer nichts zu essen hat, braucht er kein „wertbeständiges“ Geld. Sein Sohn Adolf, der 2 Jahre bei uns war und sich dann etablierte, hat mir auch viel Durcheinander gemacht. Er verlobte sich mit der Tochter meines verstorbenen Socius Reith und liess die Wittwe ohne mein Wissen für einen Bankkredit gutsagen. In 1 Jahr waren 17000 $ verputzt und er trieb sich eine Zeit lang herum, um mich schliesslich um ein Billet nach Venezuela anzugehen, wo er angeblich eine Stel­lung habe. Er reiste ab, hat aber scheinbar seine Absicht in Kuba geändert und will nun nach der Pfalz. Behalte die Sache für Dich: Du weisst, was Du zu tun hast, wenn er zu Dir kommen sollte. Für mich ist er „erledigt“. Mir tut die arme Frau Reith leid. Ihre Tochter muss nun wieder eine Stellung bei uns antre­ten, denn ausser den 3 Häusern, die Frau R. hat, hat sie keine Einnahmen, nachdem sie den Bankkredit aus ihrem Baargeld zah­len musste. Adolf weiss zwar alle möglichen Erklärungen vorzubrin­gen, aber darin war er immer gross: immer waren die Anderen schuld.

Für heute schliesse ich. Richte bitte den Herren Heger und Schneider viele Grüsse von mir aus und sei selbst herzlich ge­grüsst von

Deinem alten Freund
C. Reichert

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Mexico, 25. Juni 1924

Mein lieber Fröhlich!

Ich erhielt s. Zt. Deine frdl. Zeilen vom 28. April, die mir leider wenig Erfreuliches berichten. Hoffentlich sind Deine beiden Kranken wieder ganz auf dem Damm. Gesundheit ist das grösste Gut, das man erst schätzen lernt, wenn es mal damit ha­pert. Wir Arbeitstiere wissen davon ein Liedchen zu singen, und ich bin nur froh, dass ich mich seit einiger Zeit dazu gezwun­gen habe, regelmässig auszuspannen, bevor es zu spät ist. Ich kann ja leider immer nur auf ganz kurze Zeit weg, denn mein Po­sten ist so beschaffen, dass die Hauptsache dabei ist, ganz auf dem Laufenden zu sein, um disponieren zu kön­nen. Geht man län­ger weg, so tritt eine recht peinliche Un­sicherheit ein und man braucht lange, bis man wieder Alles nachgelernt hat. Des­halb sträube ich mich auch so sehr dage­gen, lange auszuspannen. Meine letzte grössere Reise liegt schon 18 Jahre zurück. Davon kam ich die Hälfte aus der Stadt nicht hinaus wegen der absolu­ten Unsicherheit, denn man konnte leicht abgeschnitten werden und, was noch schlimmer ist, man wird abgefangen und nur gegen Lösegeld freigegeben. Es ist das eine der Haupteinnahmen der mex. Rebellen. In den letzten Jahren ging ich daher immer auf 8 Tage nach dem ziem­lich nahen Cuernavaca, von wo man leicht zu­rückkommen kann und das ein herrliches, subtropisches Klima hat. Ich gehe jetzt ungefähr alle 2 Monate weg und Sonntags ma­che ich immer grössere Ausflüge in die Umgebung Mexicos, die sehr viel bie­tet. Leider wenig Wald, der nur an einer Seite in grösserer Ausdehnung existiert. Da ist es allerdings wunderbar, und man kann sich ganz in deutsche Wälder versetzt fühlen. Er liegt von ca. 3000 Meter an und hat ganz deutschen Charakter. Na­delhölzer mit Eichen etc. Ich denke aber nächstes Jahr, wo ich meine 30 Jahre im Hause bin, einmal tüchtig auszuspannen, wenn nicht wieder etwas dazwischen kommt.

Vorerst geht mal mein Sohn Franz auf einige Monate auf unser Berliner Contor, um da etwas in die Buchführung einzusprin­gen, denn da klappt nicht Alles so, wie es sollte. Vielleicht müssen wir da Änderungen treffen. Wenn Du zufällig einen jun­gen Men­schen empfehlen kannst, so ähnlich, wie Du es gewesen bist, also jung und strebsam, könnte er vielleicht in Berlin ankom­men. Franz wird Mitte August in Berlin sein, und Du könntest ihm evtl. kurz schreiben, wenn Du etwas Passendes hast. Sicher ist es allerdings noch nicht, ob einer benötigt wird. Die Adresse ist: Potsdamerstr. 13, Berlin W.

Mein anderer Zwilling, Albert, ist „Warenmann“ und reist seit einigen Monaten im Innern. Da mein Töchterchen verheiratet und mein Ältester noch in Hawai ist, ist mein Haus sehr leer gewor­den. Es musste aber einmal sein und diese unangenehme Zeit muss überstanden werden. Der Hawaianer kommt Ende des Jahres zurück, und wenn ich dann meine Reise gemacht habe, werden wir wieder hoffentlich Alle beisammen sein können. Dann sind die beiden Jungens alt genug, um in Stellungen auf­rücken zu können, wo ich es mir dann etwas leichter machen kann. Solange muss ich noch durchhalten.

Von Bassler hörte ich, dass er nach drüben will. Er hat wohl eines kleines Kapital gemacht und will wohl dorten etwas anfan­gen damit. Ich glaube aber nicht, dass es ihm dorten ge­fallen wird: Leute, die einmal im Ausland waren, fühlen sich dorten auf die Dauer nicht mehr wohl.

Wegen Ananas hörte ich nochmal von Bubi, dass die Firma Libby, Mc Nail & Libby, Merchants Ex Bldg, San Francisco, Cal. USA, fast Alles in Hawai aufkäuft, und dass man besser mit deren Firma arbeitet. Sonst käuft man teurer als in Hawai direkt.

Anbei einige der neuen 3 cts Marken, die Dir wohl noch feh­len.

Die Verhältnisse drüben scheinen sich ja wieder sehr zu ver­schlechtern. Ich bin durch alle möglichen Zeitungen und Be­richte im Bild, will mich aber aus leicht begreiflichen Grün­den nicht darüber aussprechen. Es ist grässlich, wie wir herunter­gekommen.

Ich möchte noch bei Dir anfragen, ob Ihr nun wieder nach dem unbesetzten Gebiet liefern könnt. Vorige Weihnachten bin ich schwer hineingefallen, denn die Hamburger Firma, die hier Weih­nachtspackete und Liebessendungen anbot und die einen sehr guten Ruf genoss, hat sehr versagt. Auch das ist ein Zeichen unseres Niedergangs: unsere kaufmännische Reellität, die früher sprichwörtlich war, hat sehr gelitten. Solltest Du nicht in der Lage sein, solche Sendungen zu machen, resp. solltet Ihr solch kleine Geschichten nicht machen können, so möchte ich um Auf­gabe einer Firma bitten, an die ich mich wenden kann. Meine zu Beliefernden sitzen in Weiden, Mann­heim, Württemberg, Baden (Offenburg) und Frankenhausen.

Meinem Bruder in Ludwigshafen habe ich sehr klar meine Mei­nung über sein unqualifizierbares Benehmen gesagt und das hat ihn wohl verschnupft, sodass er ausser Betracht bleibt. Wir hatten früher schon wegen der kleinen Erbschaft meines lieben Vaters Schwierigkeiten, die von seiner Frau besorgt wurden. Du kannst Dir denken, was ein Bahnmeister mit 240 M Gehalt und 5 Kindern hinterlassen kann. Trotzdem glaubte „man“, es sei ein grosses Vermögen da und machte an meine Stiefmutter Ansprüche. Ich hatte natürlich verzichtet & schrieb meinem Bruder, wenn die Sache nicht schlank in Ordnung käme, brauche er auf mich nicht mehr zu zählen. Ich glaubte, dadurch einen kräftigen Druck aus­üben zu können, denn ich hatte allerhand für ihn und alle Ver­wandten getan. Aber da täuschte ich mich sehr und consequenter Weise waren wir vier Jahre auseinander, bis sie mich wieder brauchen konnten, um seinen Sohn hier un­terzubringen. Mit die­sem Herrn habe ich jammervolle Erfahrun­gen gemacht. Er verlobte sich mit der Tochter meines verstorbenen Geschäftskollegen Reith, der ein bescheidenes Kapital hinterliess. Dann liess er sie für eine laufende Bankrechnung gut sagen, was mir die Frau leider verschwieg. Und nun hat er in weniger als 1 Jahr in dem von ihm etablierten Transportge­schäft diesen ganzen Betrag ver­buttert, und die arme Frau ist ihr Geld los. Einige hundert Pesos bin ich auch losgeworden, ich hatte mich glückli­cherweise nicht geschäftlich mit ihm eingelassen, und der kleine Pump hat mich vor einem grösseren Verlust bewahrt. Nun kann er sich wie­der eine Stellung su­chen. Für mich ist er erle­digt, und ich müsste mich sehr ir­ren, wenn seinen Eltern die Sache bekannt wird, dass ich nicht die Schuld an der Sache be­komme. Ja, mit Verwandten er­lebt man wenig Gutes.

Für heute schliesse ich meine Epistel und sende Dir herzliche Grüsse und meine besten Wünsche für Deine und Deiner Familie Gesundheit. Grüsse auch bitte Herrn Schneider und Heger von mir.

Stets Dein alter Freund
C. Reichert