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Mexico, 25. Juni 1924

Mein lieber Fröhlich!

Ich erhielt s. Zt. Deine frdl. Zeilen vom 28. April, die mir leider wenig Erfreuliches berichten. Hoffentlich sind Deine beiden Kranken wieder ganz auf dem Damm. Gesundheit ist das grösste Gut, das man erst schätzen lernt, wenn es mal damit ha­pert. Wir Arbeitstiere wissen davon ein Liedchen zu singen, und ich bin nur froh, dass ich mich seit einiger Zeit dazu gezwun­gen habe, regelmässig auszuspannen, bevor es zu spät ist. Ich kann ja leider immer nur auf ganz kurze Zeit weg, denn mein Po­sten ist so beschaffen, dass die Hauptsache dabei ist, ganz auf dem Laufenden zu sein, um disponieren zu kön­nen. Geht man län­ger weg, so tritt eine recht peinliche Un­sicherheit ein und man braucht lange, bis man wieder Alles nachgelernt hat. Des­halb sträube ich mich auch so sehr dage­gen, lange auszuspannen. Meine letzte grössere Reise liegt schon 18 Jahre zurück. Davon kam ich die Hälfte aus der Stadt nicht hinaus wegen der absolu­ten Unsicherheit, denn man konnte leicht abgeschnitten werden und, was noch schlimmer ist, man wird abgefangen und nur gegen Lösegeld freigegeben. Es ist das eine der Haupteinnahmen der mex. Rebellen. In den letzten Jahren ging ich daher immer auf 8 Tage nach dem ziem­lich nahen Cuernavaca, von wo man leicht zu­rückkommen kann und das ein herrliches, subtropisches Klima hat. Ich gehe jetzt ungefähr alle 2 Monate weg und Sonntags ma­che ich immer grössere Ausflüge in die Umgebung Mexicos, die sehr viel bie­tet. Leider wenig Wald, der nur an einer Seite in grösserer Ausdehnung existiert. Da ist es allerdings wunderbar, und man kann sich ganz in deutsche Wälder versetzt fühlen. Er liegt von ca. 3000 Meter an und hat ganz deutschen Charakter. Na­delhölzer mit Eichen etc. Ich denke aber nächstes Jahr, wo ich meine 30 Jahre im Hause bin, einmal tüchtig auszuspannen, wenn nicht wieder etwas dazwischen kommt.

Vorerst geht mal mein Sohn Franz auf einige Monate auf unser Berliner Contor, um da etwas in die Buchführung einzusprin­gen, denn da klappt nicht Alles so, wie es sollte. Vielleicht müssen wir da Änderungen treffen. Wenn Du zufällig einen jun­gen Men­schen empfehlen kannst, so ähnlich, wie Du es gewesen bist, also jung und strebsam, könnte er vielleicht in Berlin ankom­men. Franz wird Mitte August in Berlin sein, und Du könntest ihm evtl. kurz schreiben, wenn Du etwas Passendes hast. Sicher ist es allerdings noch nicht, ob einer benötigt wird. Die Adresse ist: Potsdamerstr. 13, Berlin W.

Mein anderer Zwilling, Albert, ist „Warenmann“ und reist seit einigen Monaten im Innern. Da mein Töchterchen verheiratet und mein Ältester noch in Hawai ist, ist mein Haus sehr leer gewor­den. Es musste aber einmal sein und diese unangenehme Zeit muss überstanden werden. Der Hawaianer kommt Ende des Jahres zurück, und wenn ich dann meine Reise gemacht habe, werden wir wieder hoffentlich Alle beisammen sein können. Dann sind die beiden Jungens alt genug, um in Stellungen auf­rücken zu können, wo ich es mir dann etwas leichter machen kann. Solange muss ich noch durchhalten.

Von Bassler hörte ich, dass er nach drüben will. Er hat wohl eines kleines Kapital gemacht und will wohl dorten etwas anfan­gen damit. Ich glaube aber nicht, dass es ihm dorten ge­fallen wird: Leute, die einmal im Ausland waren, fühlen sich dorten auf die Dauer nicht mehr wohl.

Wegen Ananas hörte ich nochmal von Bubi, dass die Firma Libby, Mc Nail & Libby, Merchants Ex Bldg, San Francisco, Cal. USA, fast Alles in Hawai aufkäuft, und dass man besser mit deren Firma arbeitet. Sonst käuft man teurer als in Hawai direkt.

Anbei einige der neuen 3 cts Marken, die Dir wohl noch feh­len.

Die Verhältnisse drüben scheinen sich ja wieder sehr zu ver­schlechtern. Ich bin durch alle möglichen Zeitungen und Be­richte im Bild, will mich aber aus leicht begreiflichen Grün­den nicht darüber aussprechen. Es ist grässlich, wie wir herunter­gekommen.

Ich möchte noch bei Dir anfragen, ob Ihr nun wieder nach dem unbesetzten Gebiet liefern könnt. Vorige Weihnachten bin ich schwer hineingefallen, denn die Hamburger Firma, die hier Weih­nachtspackete und Liebessendungen anbot und die einen sehr guten Ruf genoss, hat sehr versagt. Auch das ist ein Zeichen unseres Niedergangs: unsere kaufmännische Reellität, die früher sprichwörtlich war, hat sehr gelitten. Solltest Du nicht in der Lage sein, solche Sendungen zu machen, resp. solltet Ihr solch kleine Geschichten nicht machen können, so möchte ich um Auf­gabe einer Firma bitten, an die ich mich wenden kann. Meine zu Beliefernden sitzen in Weiden, Mann­heim, Württemberg, Baden (Offenburg) und Frankenhausen.

Meinem Bruder in Ludwigshafen habe ich sehr klar meine Mei­nung über sein unqualifizierbares Benehmen gesagt und das hat ihn wohl verschnupft, sodass er ausser Betracht bleibt. Wir hatten früher schon wegen der kleinen Erbschaft meines lieben Vaters Schwierigkeiten, die von seiner Frau besorgt wurden. Du kannst Dir denken, was ein Bahnmeister mit 240 M Gehalt und 5 Kindern hinterlassen kann. Trotzdem glaubte „man“, es sei ein grosses Vermögen da und machte an meine Stiefmutter Ansprüche. Ich hatte natürlich verzichtet & schrieb meinem Bruder, wenn die Sache nicht schlank in Ordnung käme, brauche er auf mich nicht mehr zu zählen. Ich glaubte, dadurch einen kräftigen Druck aus­üben zu können, denn ich hatte allerhand für ihn und alle Ver­wandten getan. Aber da täuschte ich mich sehr und consequenter Weise waren wir vier Jahre auseinander, bis sie mich wieder brauchen konnten, um seinen Sohn hier un­terzubringen. Mit die­sem Herrn habe ich jammervolle Erfahrun­gen gemacht. Er verlobte sich mit der Tochter meines verstorbenen Geschäftskollegen Reith, der ein bescheidenes Kapital hinterliess. Dann liess er sie für eine laufende Bankrechnung gut sagen, was mir die Frau leider verschwieg. Und nun hat er in weniger als 1 Jahr in dem von ihm etablierten Transportge­schäft diesen ganzen Betrag ver­buttert, und die arme Frau ist ihr Geld los. Einige hundert Pesos bin ich auch losgeworden, ich hatte mich glückli­cherweise nicht geschäftlich mit ihm eingelassen, und der kleine Pump hat mich vor einem grösseren Verlust bewahrt. Nun kann er sich wie­der eine Stellung su­chen. Für mich ist er erle­digt, und ich müsste mich sehr ir­ren, wenn seinen Eltern die Sache bekannt wird, dass ich nicht die Schuld an der Sache be­komme. Ja, mit Verwandten er­lebt man wenig Gutes.

Für heute schliesse ich meine Epistel und sende Dir herzliche Grüsse und meine besten Wünsche für Deine und Deiner Familie Gesundheit. Grüsse auch bitte Herrn Schneider und Heger von mir.

Stets Dein alter Freund
C. Reichert

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Mexiko, 5. März 1924

Mein lieber Freund Adolf!

Ich komme heute zur Erledigung Deinen l. Zeilen vom 29. Dez., 28. Jan. und 2./8. Febr. und gebe Dir wunschgemäß den Brief meines Bruders zurück. Meine Ansicht über dessen unglaubliche Briefeschreiberei teilte ich Dir schon mit. Auch ihm schrieb ich klar und deutlich, was ich davon halte, und wenn er die Sa­che mit Dir nicht ordnet und Dir Genugtuung gibt, werden wir mal wieder unsere Beziehungen abgebrochen sehen. Er hat vor langen Jahren, auf Anstiften seiner Frau, schon mal eine Sache gemacht gelegentlich der Hinterlassenschaft meines Va­ters. Jetzt kann die notdürftig zusammengeleimte Geschichte wieder auseinandergehen und wieder wegen meines guten Wil­lens. Nun, der arme Kerl würde sich dabei in sein eigenes Fleisch schnei­den, denn ich habe ihm doch eine Menge zukommen lassen. Wenn er wertbeständige Währung braucht, kann es mit dem Verhungern nicht so nahe sein, wie er mir das schilderte. Dann nimmt man, was man bekommt und kauft sich Lebensmittel. Nochmals bitte ich Dich, die Sache zu entschuldigen.

Anbei sende ich Dir noch eine Ansicht mit der Terrasse meiner Geschäftswohnung, wie schön wäre es, Dich einmal da als lie­ben Besuch zu sehen! Ich fühle Dir nach, welches Verlangen Du hast, mal Deine Brüder wieder zusehen, denn wenn man älter wird, lichten sich die Reihen.

Unserem 76 jährigen Seniorpartner Bilse, der s. Zeit in Lau­tern war und mich von O & C wegfischte, geht es noch schlim­mer. Er kam nach 20 j. Abwesenheit voriges Jahr von Berlin zu Besuch und hat nun keine Lust mehr, nach Berlin zurückzuge­hen, denn die mexik. Sonne hat es ihm angetan. Er hatte einen 80 J. alten Bruder in Kalifornien, den er seit 50 J. nicht gesehen hatte. Er wollte hin, konnte aber Passchwierigkeiten halber nicht und nun erhielt er die Nachricht, dass sein Bru­der gestorben ist.

Der Frank ist in diesen Tagen sehr gewichen, aber hoffent­lich kommt es zu einem Einverständnis, dass auch unser armes Vater­land aufatmen lässt. Frankreich scheint ja angesichts seiner Währungsschwierigkeiten geneigt zu sein, etwas nach­zugeben. Ein starkes Fallen des Franken bringt die Welt immer mehr in Durch­einander und ist daher nicht wünschenswert. Dass Ihr Eure Aus­senstände in Franken habt, würde dann ziemliche Verluste geben, denn für das eingehende Geld könnt Ihr Euch nicht mehr das an Waren kaufen, was Ihr dafür geliefert habt. Solltest Du die Aussenstände nicht schnell genug einziehen können, so würde ich raten, für deren Betrag ein Darlehen in Franc aufzunehmen, um die Dir von den Kunden zurückgezahlten franc später auf jenes Darlehen zu verrechnen. Geht das nicht, so kaufe Grundbesitz oder Sachwerte, wie Uhren, Juwe­len etc., die in ihren Preisen der Frank. Entwertung nicht oder nicht so schnell folgen. Den Kram muß man dann später langsam wieder abstossen. So habe ich es hier gemacht.

Ihr habt also noch mehr gebaut? Das muß ja ein Riesenkasten sein jetzt! Wenn Du einmal eine Ansicht davon übrig hast, würde mich das sehr interessieren. Du weißt, ich erinnere mich oft und gern an meine alte Lehrfirma.

Die Revolution ist im Erlöschen begriffen, obwohl noch ver­schiedene, für uns sehr wichtige Landesteile ganz abgeschlos­sen sind. Von ca 1/3 der ganzen Kunden haben wir seit 3 Monaten keine Silbe gehört. Immerhin stehen wir wieder mit 2/3 in Con­tact. Der Bahnverkehr ist noch sehr gefährdet und alle Sendun­gen müssen mittels hoher Prämien gegen Revolutionsge­fahr extra versichert werden.

In Café arbeiten wir nicht, und ich habe an die uns befreun­dete Café-Export-Firma Guillermo Boesch Sucs, Origaba, ge­schrieben, sie möchten Euch Anstellung machen. Sage mir gele­gentlich, was aus der Sache wird, um Dir dienlich sein zu können. Ananas aus Honolulu zu beziehen, halte ich nicht für praktisch, da der ganze Hawai-Handel über San Francisco geht. Ich schreibe aber meinem Ältesten, der in Pearl Harbour bei Honolulu ist, er solle eine Firma besuchen und Dir Offerte machen lassen.

Hoffentlich ist Dein Söhnchen wieder in Ordnung und der Schen­kelbruch verheilt. Wegen Hans Spener kann ich leider mo­mentan nicht dienen, denn die Revolution hat großen Schaden gebracht und fast alle Firmen haben zu viel Personal. Spener hätte keine Aussicht, eine Stellung zu bekommen, da ohnehin eine große An­zahl Deutscher stellungslos herumläuft. Die Re­gierung müßte auch sparsamer wirtschaften und hat viele Leute entlassen. Spe­ner soll andere Zeiten abwarten und inzwischen Spanisch lernen. Ich werde die Sache im Auge behalten.

Für heute schließe ich mit herzlichen Grüßen und in alter Freundschaft

Dein
C. Reichert