Schlagwort-Archive: Kaiserreich

51

Mexico, 11. März 1927

Lieber Freund Fröhlich!

Wenn ich das Datum 11. März schreibe, muss ich immer daran denken, dass das der Tag ist, an dem ich in unsere Firma ein­trat, heute vor 32 Jahren. Ein Menschenalter fast! Nach einigen Wochen war ich der Idee, dass es ein schweres Stück Ar­beit sein würde, meinen 3-jährigen Contract auszuhalten & wenn man mir damals gesagt hätte, ich würde es 32 fertig be­kommen, so hätte ich ihn wohl ausgelacht.

Nach dieser kleinen Reminiscenz komme ich endlich zur Beant­wortung Deiner freundlichen Zeilen vom 9. Dezbr. Meine Neu­jahrs-Glückwünsche wirst Du wohl erhalten haben? Ich wartete inzwischen auf die mir versprochene Nachricht, wie Du nun mit O & C auseinander gekommen bist. Hoffentlich einigermassen Deinen grossen Verdiensten um die Firma entsprechend. Ich habe immer noch sehr an meiner Lehrfirma gehangen, muss aber nun doch feststellen, dass Du den Bindestrich darstelltest. Nachdem alle Ottmänner, Schneider & Du abgebröckelt sind, hat mein Interesse wenig mehr übrig.

Es würde mich lebhaft freuen, wenn Du die Zeit des Wartens zu einer Amerika-Fahrt benützen würdest & ich kann Dir nur ra­ten, dann mal nach dem Aztekenland zu kommen, wo Du manches Schöne sehen wirst. Ich würde dann Urlaub nehmen, um mich Dir ganz zu widmen. Selbstverständlich würde der Aufenthalt hier Dir keinerlei Spesen verursachen.

Wir haben unser Bilanz-Datum vom 30. Juni auf den 28. Febr. verlegt, um mir Möglichkeit zu einer Sommerreise nach Europa zu geben, aber gleich im ersten Jahr – wir haben am 28. 2. Bi­lanz gemacht – geht es schon nicht, denn die Verhältnisse sind so, dass es schon fast gewissenlos wäre, jetzt das Ge­schäft liegen zu lassen. Nach ein paar guten Jahren geht es jetzt mal wieder normal hier zu & wer weiss, was die nächste Zeit bringt. Man wünschte, es käme einmal zum Arrangement oder zum Krach, aber dieses watchfull waiting ist scheuss­lich.

Du fragst, ob Prinz Heinrich bei mir war. Gewiss, ich war öfters mit ihm zusammen & er verbrachte auch einen Abend in meiner Wohnung. Er war riesig nett & wir haben ihn liebgewon­nen. Nichts von Politik, nur Patriot. Es hat ihm besonders in Cuernavaca gut gefallen, wo er in meinen Räumen wohnte. Er war so entzückt von der herrlichen Gegend, dass sein Reisebe­gleiter, Capitän Götting, hier ein Bild suchen wollte. Ich hatte ein Aquarell-Gemälde, gerade das, was er suchte, in Abendstimmung (die ich Dir hoffentlich mal zeigen kann, in natura), und als ich ihn bat, es von mir anzunehmen, war er ganz „weg“. Consul Rau, der in Veracruz noch mit ihm an Bord war, sagte mir, der Prinz habe das Bild gleich ausgepackt & es in seiner Cabine aufgehängt. Der Chef der Ozean-Linie hat ihm die Reise gestiftet. Die Gespräche mit dem Prinzen haben mir einen tiefen Eindruck gemacht & ich bin mehr als je über­zeugt, dass die Ereignisse vom Nov. 1918 nicht hätten kom­men sollen. Wir waren unter solchen Leuten besser ab, als jetzt mit dem öden Durcheinander & dem Parteiengezänk. Meine eigene Idee, früher auch etwas „rosig“, leicht liberal, haben sich bei dem hier genossenen Anschauungs-„Unterricht“ von de­mokratischen Republiken sehr entfernt. Wir haben hier dieses Jahr auf meine Veranlassung hin auch dem Kaiser zu einem Ge­burts-Tag gratuliert, in Form einer Adresse, die ohne weitere Bemerkungen einfach dem alten Herrn Glück wünschte & ich er­hielt von ihm ein Bild & Brief, sowie seine Bücher.

Ich finde das als ein Gebot der Höflichkeit. Der Mann hatte den besten Willen, war aber schlecht beraten. Und man bedenke die ungeheure Tragik, die in der Sache liegt. Schon jetzt sind alle vernünftigen Menschen einig, dass Deutschland nicht die Schuld hatte. Die Meinungen darüber, was der Kaiser im Nov. 1918 hätte tun müssen, sind sehr geteilt, ob er dann wirklich das Falsche tat, weiss man nicht, denn man weiss nicht, was gekommen wäre, wenn er nicht nach Holland ging. Ich werde jedenfalls mir die Überzeugung, dass er ein viel zu anständiger Mann für die Alliierte-Manager war & dass die Ideen sich noch sehr ändern werden, nicht rauben lassen & sein Bild hat in meinem Haus den Ehrenplatz.

Bassler hat in seinem Geschäft keine Seide gesponnen, denn er war zu gutmütig. Er verpumpte & verlor viel & es scheint, dass er liquidieren will. Ich hätte ihm schon gerne einen guten Posten bei uns gegeben, aber er will lieber frei sein. Wenn er mich braucht, werde ich gerne helfen, denn er ist ein fleissiger Mann.

Ottmann hat sich verheiratet, wie Du wohl weisst & ist noch immer Prokurist in der Firma meines Schwiegersohnes.

Mein Ältester ist wieder nach U.S.A. zurück & sollte nach China oder Nicaragua. Wo er nun hinkommt, weiss ich noch nicht. Er möchte gerne nach China. Meine beiden Anderen sind nach wie vor im Geschäft. Sonst geht es so ziemlich.

Ich erwarte also bald Nachrichten von Dir & sende Dir & den Deinen beste Grüsse, auch von den Meinen, so weit sie Euch kennen.

Stets Dein getreuer
Reichert

Der Brief vom Verschönerungsverein
folgt anbei zurück!