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Mexico, 5. Jan. 1924

Mein lieber Freund Adolf!

Ich komme heute zur Erledigung Deiner freundlichen Zeilen vom 19. Nov. & 6. Dez. In Letzterem sagst Du, dass mein Brief vom 13. Nov. noch nicht eingetroffen war, als der Deinige abging. Ich hoffe, dass der Brief nebst Einlage von 50 Dlr inzwischen noch angekommen ist, sende Dir aber für den Nein-Fall anbei Co­pie meines Briefes, sowie Duplikat des Checks. Meine Neujahrs­grüsse wirst Du wohl in Gestalt der An­sichtskarte meiner Ter­rasse erhalten haben? Ich wünschte, ich könnte ein­mal auf- & abwandeln darauf mit Dir, um alte Erinnerungen aufzufrischen! Die Terrasse befindet sich im 5. Stock des Geschäftshauses & gehört zu meiner Wohnung. Sie ist 20 Meter lang & 6 Meter breit & ich laufe da jeden Morgen auf und ab, rauche meine Ci­garre & lese die Zeitung, oder brüte irgendet­was aus. Schwierige Geschichten überdenke ich da morgens, wo man frisch ist & unge­stört.

Vorgestern sandte ich Dir ein Schreiben des hiesigen Frauenver­eins an Herrn Dr. Haury nebst einem Check von Dls 100.- für bedürftige Schüler des Gymnasiums. Hoffent­lich hat diese Sen­dung etwas Freude gemacht. Die Liste der Verteilun­gen habe ich mit Interesse stu­diert & gar mancher Name kommt mir bekannt vor. Es fiel mir eine Witwe Philipp Hess auf. So viel ich mich erin­nere, war der Mann früher unter meinem Va­ter tätig, sein Sohn ist, glaube ich, Bahnmeister. Der Mann hat sich ge­gen mei­nen Vater sehr schofel benommen, aber ich sehe gern, dass seine Witwe den Sohn des Geschädigten doch brauchen kann.

Von hier kann ich Dir augenblicklich geschäftlich nur Un­günstiges sagen. Wir bekamen mal wieder wie ein Blitz aus hei­terem Himmel eine Revolution, die unseren Engros lahm­gelegt hat, 1 Monat ist schon vorbei & wenn sie auch nur noch 1 Monat andauert, ist die Arbeit eines ganzen Jahres vernich­tet. Das sind die Segnungen der demokratischen Be­strebungen in einem Land, dessen Bevölkerung zu 90 % dafür absolut un­reif ist.

Zu Hause wenigstens geht es Gottlob gut. Mein Töchterchen ist sehr glücklich, wie es aussieht, denn sie kommt immer strah­lend an. Die beiden Zwillinge arbeiten im Geschäft ihren Stiefel weiter & der Älteste, der Hawaianer, schreibt zufrie­den. Er wird Ende des Jahres zurückkommen & ich will dann se­hen, ob ich ihm eine Kuhwirtschaft kaufe. Zum Kaufmann hat er keine Nei­gung.

Wie geht es Herrn Schneider & Heger? Sie sind nun auch die jüngsten nicht mehr. In der nächsten Woche werde ich auch schon – leider – 51 alt. Die Zeit läuft & viel zu schnell, aber man kann’s nicht ändern! Für heute schliesse ich. Viele herzliche Grüsse & gute Wünsche für Dein & Deiner Familie Wohlergehen von

Deinem
C. Reichert

Anbei die Namen der Frisco-Firmen, wie
sie die Auskunfts-Firma Dun aufgibt.