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Mexico, 5. April 1929

Mein lieber Fröhlich!

Ich schrieb Dir am 24. Dezember und habe inzwischen von Dir eine Neujahrskarte erhalten, für die ich noch bestens danke. Ich vermute, dass Du viel zu tun hast, weil ich noch keine Antwort erhalten habe.

Die Ansicht aus der Eisenbahnstrasse zeigt den Aufschwung, den das alte, liebe K’lautern mitgemacht hat. Da das Fir­menschild Pallmann vorne sichtbar ist, so habe ich (mich) na­türlich schnell ausgekannt, auch daran, dass es sonst wenige krumme Strassen in Lautern gibt, ausser dem unteren Teil der Eisenbahnstrasse.

Von Crusius habe ich nun endlich einige Preislisten erhalten und ich habe bei ihm einige pfälzische Novellen bestellt. Ich bin mit Pfalzliteratur gut versehen, denn ich hatte letzthin Gelegenheit, aus zweiter Hand Einiges zu kaufen. Auch erhielt ich einige Bücher als Geschenk von alten Bekannten.

Deine Karte trägt noch die alte Adresse Rue la Monterilla 1. Die Postadresse ist einfach CR Apartado 146. Apartado heisst Postschliessfach. Unser Strassen-Name ist schon vor 20 Jahren umgeändert worden. Die alte Strasse Monterilla heisst jetzt „Cinco de Febrero“ und unsere Hausnummer ist 3. Der andere Eingang ist 16 de Septembre 83. Beide Strassennamen sind hohe Gedenktage der Mexikaner. Es genügt also in jedem Fall mein Name und Apartado 146.

Anbei sende ich Dir einige Luftpostmarken und eine holländi­sche 2 1/2 Guldemarke, die vielleicht im Album des jungen Fröhlich noch fehlt.

Aus den Zeitungen wirst Du ersehen haben, dass die Zustände hierzulande wieder normal sind. Es sieht nicht so aus, als ob man hier jemals ohne Revolution leben könnte. Früher hatte man wenigstens immer einen Ruf, der als Vorwand diente, um zu räubern. Diese neueste Unternehmung hat nicht einmal das für nötig gehalten. Früher ging es um Demokratie, Nicht-Wieder­wahl des Präsidenten, Wirklichkeit der Volkswahl etc., alles sehr schöne Sachen, wenn man sie nämlich hat. Wir haben sie aber nicht im allerferntesten.  Diese neue Schweinerei wird dem Land eine Menge Geld kosten und sie wird der Steuerschraube, über deren langsame Drehung sich hier nie Jemand beschwert hat, neuen Impuls verleihen. Namentlich die Eisen­bahnen der Nordwest-Staaten haben enorm gelitten und sind vielfach zerstört. Um ihren Rückzug zu decken, haben die Re­bellen viele Brücken zerstört und die Schienen aufgerollt, auch ein Zeichen des Fortschritts. Früher wurden die Schienen abgeschraubt und weggeschleppt, aber man hatte sie bald wie­der und konnte sie benutzen. Jetzt spannt man eine Lokomotive vor und rollt sie so unter Feuer zusammen, dass man nichts mehr damit machen kann. Man sollte diese ganzen Kerle fassen und Jahrelang arbeiten lassen, um wieder einigermassen gutzu­machen. Das wäre eine bessere, gerechtere Reparationsarbeit, wie bei Deutschland.

Nun will ich Dir noch zu Deinem Geburtstag alles Gute wün­schen und hoffe, dass Dich meine Zeilen im Verein mit Deinen Lieben gesund antrafen. Herzliche Grüsse von

Deinem alten Freund
C. Reichert

36

Mexiko, 5. März 1924

Mein lieber Freund Adolf!

Ich komme heute zur Erledigung Deinen l. Zeilen vom 29. Dez., 28. Jan. und 2./8. Febr. und gebe Dir wunschgemäß den Brief meines Bruders zurück. Meine Ansicht über dessen unglaubliche Briefeschreiberei teilte ich Dir schon mit. Auch ihm schrieb ich klar und deutlich, was ich davon halte, und wenn er die Sa­che mit Dir nicht ordnet und Dir Genugtuung gibt, werden wir mal wieder unsere Beziehungen abgebrochen sehen. Er hat vor langen Jahren, auf Anstiften seiner Frau, schon mal eine Sache gemacht gelegentlich der Hinterlassenschaft meines Va­ters. Jetzt kann die notdürftig zusammengeleimte Geschichte wieder auseinandergehen und wieder wegen meines guten Wil­lens. Nun, der arme Kerl würde sich dabei in sein eigenes Fleisch schnei­den, denn ich habe ihm doch eine Menge zukommen lassen. Wenn er wertbeständige Währung braucht, kann es mit dem Verhungern nicht so nahe sein, wie er mir das schilderte. Dann nimmt man, was man bekommt und kauft sich Lebensmittel. Nochmals bitte ich Dich, die Sache zu entschuldigen.

Anbei sende ich Dir noch eine Ansicht mit der Terrasse meiner Geschäftswohnung, wie schön wäre es, Dich einmal da als lie­ben Besuch zu sehen! Ich fühle Dir nach, welches Verlangen Du hast, mal Deine Brüder wieder zusehen, denn wenn man älter wird, lichten sich die Reihen.

Unserem 76 jährigen Seniorpartner Bilse, der s. Zeit in Lau­tern war und mich von O & C wegfischte, geht es noch schlim­mer. Er kam nach 20 j. Abwesenheit voriges Jahr von Berlin zu Besuch und hat nun keine Lust mehr, nach Berlin zurückzuge­hen, denn die mexik. Sonne hat es ihm angetan. Er hatte einen 80 J. alten Bruder in Kalifornien, den er seit 50 J. nicht gesehen hatte. Er wollte hin, konnte aber Passchwierigkeiten halber nicht und nun erhielt er die Nachricht, dass sein Bru­der gestorben ist.

Der Frank ist in diesen Tagen sehr gewichen, aber hoffent­lich kommt es zu einem Einverständnis, dass auch unser armes Vater­land aufatmen lässt. Frankreich scheint ja angesichts seiner Währungsschwierigkeiten geneigt zu sein, etwas nach­zugeben. Ein starkes Fallen des Franken bringt die Welt immer mehr in Durch­einander und ist daher nicht wünschenswert. Dass Ihr Eure Aus­senstände in Franken habt, würde dann ziemliche Verluste geben, denn für das eingehende Geld könnt Ihr Euch nicht mehr das an Waren kaufen, was Ihr dafür geliefert habt. Solltest Du die Aussenstände nicht schnell genug einziehen können, so würde ich raten, für deren Betrag ein Darlehen in Franc aufzunehmen, um die Dir von den Kunden zurückgezahlten franc später auf jenes Darlehen zu verrechnen. Geht das nicht, so kaufe Grundbesitz oder Sachwerte, wie Uhren, Juwe­len etc., die in ihren Preisen der Frank. Entwertung nicht oder nicht so schnell folgen. Den Kram muß man dann später langsam wieder abstossen. So habe ich es hier gemacht.

Ihr habt also noch mehr gebaut? Das muß ja ein Riesenkasten sein jetzt! Wenn Du einmal eine Ansicht davon übrig hast, würde mich das sehr interessieren. Du weißt, ich erinnere mich oft und gern an meine alte Lehrfirma.

Die Revolution ist im Erlöschen begriffen, obwohl noch ver­schiedene, für uns sehr wichtige Landesteile ganz abgeschlos­sen sind. Von ca 1/3 der ganzen Kunden haben wir seit 3 Monaten keine Silbe gehört. Immerhin stehen wir wieder mit 2/3 in Con­tact. Der Bahnverkehr ist noch sehr gefährdet und alle Sendun­gen müssen mittels hoher Prämien gegen Revolutionsge­fahr extra versichert werden.

In Café arbeiten wir nicht, und ich habe an die uns befreun­dete Café-Export-Firma Guillermo Boesch Sucs, Origaba, ge­schrieben, sie möchten Euch Anstellung machen. Sage mir gele­gentlich, was aus der Sache wird, um Dir dienlich sein zu können. Ananas aus Honolulu zu beziehen, halte ich nicht für praktisch, da der ganze Hawai-Handel über San Francisco geht. Ich schreibe aber meinem Ältesten, der in Pearl Harbour bei Honolulu ist, er solle eine Firma besuchen und Dir Offerte machen lassen.

Hoffentlich ist Dein Söhnchen wieder in Ordnung und der Schen­kelbruch verheilt. Wegen Hans Spener kann ich leider mo­mentan nicht dienen, denn die Revolution hat großen Schaden gebracht und fast alle Firmen haben zu viel Personal. Spener hätte keine Aussicht, eine Stellung zu bekommen, da ohnehin eine große An­zahl Deutscher stellungslos herumläuft. Die Re­gierung müßte auch sparsamer wirtschaften und hat viele Leute entlassen. Spe­ner soll andere Zeiten abwarten und inzwischen Spanisch lernen. Ich werde die Sache im Auge behalten.

Für heute schließe ich mit herzlichen Grüßen und in alter Freundschaft

Dein
C. Reichert

34

Mexiko, 18. Januar 1924

Mein lieber Fröhlich!

Ich empfing Deine l. Zeilen vom 22. und 27. Dezember und bin über die Briefschreiberei meines Bruders nicht allein sehr er­staunt, sondern peinlich berührt. Du bist so freundlich, Deine Zeit dafür zur Verfügung zu stellen und das wird von dem guten Mann mit dummen Schreibereien beantwortet.

Du hast sicher recht, wenn Du da jemand anders vermutest der hinter der Sache steckt, denn mein Bruder ist ein guter Kerl, der nur den Brief unterschrieben hat, denn er ist nicht fähig, so was zu verfassen. Jedenfalls hat er sich bei mir ge­waltig geschadet, denn er hatte mir einen verzweifelten Brief geschrie­ben, so als ob er dicht vor dem Selbstmord stünde. Er wollte auswandern und so was. Und nun scheint er nur darauf aus gewe­sen zu sein, sich Geld zu verschaffen. Wenn er Le­bensmittel nö­tig gehabt hätte, so brauchte er keine wertbeständige Währung, wie er da quatscht! Und Franken sind bei allen Schwankungen doch eine Währung, die auf die Dauer wohl sicherer ist, wie Rentenmark. Ob für alle Zeiten, das kann Niemand sagen, aber sicher für die kurze Zeit, wo mein Bruder das Geld nötig hatte, wenn anders es wahr war, dass er so schlecht ab war. Aber mit 60–70 Franken die Woche braucht man wohl noch immer nicht zu verhungern und zu verzweifeln.

Ich glaube, die allermeisten Leute drüben sind nicht allein hochgradig nervös und unzurechnungsfähig geworden, sondern sie haben auch die Ansicht, dass die Welt und speciell die Freunde und Verwandten im Ausland direkt die Verpflichtung haben, für sie einzuspringen. selber haben sie aber nie etwas getan, um ihren Verwandten zu helfen, wenn diese es nötig ha­ben. Du darfst es meinem Bruder deshalb nicht so sehr ver­übeln, wenn er in seiner Dummheit danebengehauen hat, und ich werde Dich be­stimmt in Zukunft verschonen mit derartigem Kram, der mit mei­nen lieben Verwandten zusammenhängt. Ich sagte Dir schon ein­mal, es ist scheusslich, was man da Alles erleben muss. Betteln tun sie permanent an Einem herum, aber dann tun sie sich auch noch dicke und spielen den stolzen Mann.

Mein Bruder, hinter dem seine mir wenig sympathische Frau steckt und ihn treibt, hat sich mit dieser Geschichte einen sehr schlechten Dienst getan, und wenn er das gewusst hätte, hätte er es wohl gelassen. Jedenfalls bin ich mit Deinen Mass­nahmen absolut einverstanden & es bleibt mir nur übrig, Dir nochmals zu danken und um Entschuldigung dafür zu bitten, was Andere verbockt haben.

Was die fragliche Lebensmittelsendung betrifft, so hatte ich Dich nicht aufgefordert, solche zu machen, von „Aufforderung“ kann doch Dir gegenüber nie die Rede sein, sondern höchstens von einer Bitte. Ich frug damals bei Dir an, ob die Verhält­nisse es erlaubten, Sendungen nach dem unbesetzten Gebiet zu machen. Da ich keine Antwort erhielt und nach inzwischen hier eingetroffenen Nachrichten annehmen musste, dass solche Sendun­gen sehr erschwert oder direkt unmöglich seien, machte ich Be­stellungen bei Harder & de Voss, Hamburg. Der betr. Brief ist wohl verloren gegangen, und ich sende Dir keine Co­pie, weil er sonst nichts Wesentliches enthält.

Ich habe die Firma R.G. Dun & Co (Auskunftsfirma ersten Ran­ges in Newyork) und auch die British-America Bank in San Francisco gebeten, gute Dry-Fruit Exporthäuser an Deine Firma zu verwei­sen und denke, dass Du schon bald Nachricht erhalten wirst. Wir selber haben ja mit dem Artikel nichts zu tun und für uns ist auch Frisco von gar keiner Bedeutung, sodass wir nur oberfläch­liche Beziehungen da haben. Wir hatten früher da eine Firma für die ostasiatischen Seiden etc. Verschiffungen, seit aber die Toyo Kisen Kaisha und sonstige Far East Linien den mexik. Hafen Manzanillo anlaufen, verladen wir billiger direkt nach hier via Manzanillo oder Salina Cruz.

Hier sieht es mal wieder sehr bös aus und die letzten Wochen waren die schwersten, die ich hier seit fast 29 Jahren mitge­macht habe. Vor 10 Jahren hatten wir gefährlichere Zustände, aber geschäftlich wirkte sich das nicht so sehr (aus), weil man damals seine ganzen Unkosten in Papier bezahlen konnte, was eine sehr geringe Abnahme an Goldwerten bedeutete. Man hatte des Krieges wegen keine Waren unterwegs, wenigstens was von Be­deutung gewesen wäre, infolgedessen keine Passiva und nichts zu zahlen. Heute ist es ganz anders: die Unkosten in Gold, hoher Bankdiskont, kein Geld, grosse Warenmengen unterwegs, die nun sehr exponiert in den Häfen lagern, ohne die hierherbringen zu können, abgeschnitten von allen Distrikten, wo wir verkaufen können und grosse Aussenstände haben, von denen (wir) absolut nichts hereinbekommen. Unsere Kontrakte mit den Fabriken drüben müssen wir einhalten und die Facturen gleich in Berlin zahlen und hier geht nichts ein.

Es ist eine scheussliche Lage und selbst wenn die Sache, wie es jedoch nicht den Anschein hat, bald zu Ende geht, und selbst wenn  wir keine Verluste an Sendungen erleiden, wird dieses Bi­lanzjahr wieder einmal keinen Gewinn geben. Wir müs­sen da um­sonst arbeiten, weil 2 Kerle, die absolut auf den Präsidenten­sessel wollen, nicht warten wollen, bis die Zeit der Wahlen kommt, sondern schon vorher das ganze Land wieder in Durchein­ander bringen. Die Menschen sind so dumm, dass man anfängt, Ekel vor dem ganzen Geschlecht zu bekommen. So was Verlogenes und Scheinheiliges, Grausames, findet man bei kaum einem Tier. Am liebsten sässe ich auf einer kleinen Insel und sähe nichts mehr von Politik, Demokratie und sonstigen Weltbeglückungs­ideen, die alle auf Betrug hinausgehen. Jener schwedische Ge­sandte hatte ganz Recht, der seinem Sohn sagte: Du ahnst nicht, mit wie wenig Verstand die Welt regiert wird. Jedes kaufmänni­sche Geschäft, das mit so wenig Sachkenntnis geleitet wird, wie die meisten Länder, müsste sofort bankrott machen. Die ganze Welt scheint an einer Epidemie zu kranken, denn gesunde Men­schen können doch nicht so viel Blödsinn ma­chen, wie das heut­zutage fast überall geschieht.

Doch was nützt es? Die Welt geht ihren Lauf und man möchte manchmal an unseren Herrgott verzweifeln, der so unglaubliche Geschichten zugibt. Ich betrachte die heutigen Zustände di­rekt als einen Beweis des vollständigen Versagens des christ­lichen Gedankens, der doch wirklich einen guten Fond hat, aber es ge­hören wohl bessere Menschen dazu. Und wo sind die?

Na, für heute habe ich genug philosophiert und geklagt, aber wenn man getreten wird, so muss man einmal schreien gegen so viel Ungerechtigkeit, wie (sie) heute auf der Welt herrscht.

Hoffentlich bricht der Gedanke, dass es so nicht weitergehen kann, und der schon hie und da schüchtern sich vorwagt, sich bald Bahn, denn dieses Leben ist eine Schweinerei und nicht alle der Sorgen wert.

Ich verbleibe mit vielen herzlichen Grüssen an Dich und Deine werte Familie, sowie die Herren Schneider und Heger stets

Dein alter Freund!
C. Reichert

33

Mexico, 5. Jan. 1924

Mein lieber Freund Adolf!

Ich komme heute zur Erledigung Deiner freundlichen Zeilen vom 19. Nov. & 6. Dez. In Letzterem sagst Du, dass mein Brief vom 13. Nov. noch nicht eingetroffen war, als der Deinige abging. Ich hoffe, dass der Brief nebst Einlage von 50 Dlr inzwischen noch angekommen ist, sende Dir aber für den Nein-Fall anbei Co­pie meines Briefes, sowie Duplikat des Checks. Meine Neujahrs­grüsse wirst Du wohl in Gestalt der An­sichtskarte meiner Ter­rasse erhalten haben? Ich wünschte, ich könnte ein­mal auf- & abwandeln darauf mit Dir, um alte Erinnerungen aufzufrischen! Die Terrasse befindet sich im 5. Stock des Geschäftshauses & gehört zu meiner Wohnung. Sie ist 20 Meter lang & 6 Meter breit & ich laufe da jeden Morgen auf und ab, rauche meine Ci­garre & lese die Zeitung, oder brüte irgendet­was aus. Schwierige Geschichten überdenke ich da morgens, wo man frisch ist & unge­stört.

Vorgestern sandte ich Dir ein Schreiben des hiesigen Frauenver­eins an Herrn Dr. Haury nebst einem Check von Dls 100.- für bedürftige Schüler des Gymnasiums. Hoffent­lich hat diese Sen­dung etwas Freude gemacht. Die Liste der Verteilun­gen habe ich mit Interesse stu­diert & gar mancher Name kommt mir bekannt vor. Es fiel mir eine Witwe Philipp Hess auf. So viel ich mich erin­nere, war der Mann früher unter meinem Va­ter tätig, sein Sohn ist, glaube ich, Bahnmeister. Der Mann hat sich ge­gen mei­nen Vater sehr schofel benommen, aber ich sehe gern, dass seine Witwe den Sohn des Geschädigten doch brauchen kann.

Von hier kann ich Dir augenblicklich geschäftlich nur Un­günstiges sagen. Wir bekamen mal wieder wie ein Blitz aus hei­terem Himmel eine Revolution, die unseren Engros lahm­gelegt hat, 1 Monat ist schon vorbei & wenn sie auch nur noch 1 Monat andauert, ist die Arbeit eines ganzen Jahres vernich­tet. Das sind die Segnungen der demokratischen Be­strebungen in einem Land, dessen Bevölkerung zu 90 % dafür absolut un­reif ist.

Zu Hause wenigstens geht es Gottlob gut. Mein Töchterchen ist sehr glücklich, wie es aussieht, denn sie kommt immer strah­lend an. Die beiden Zwillinge arbeiten im Geschäft ihren Stiefel weiter & der Älteste, der Hawaianer, schreibt zufrie­den. Er wird Ende des Jahres zurückkommen & ich will dann se­hen, ob ich ihm eine Kuhwirtschaft kaufe. Zum Kaufmann hat er keine Nei­gung.

Wie geht es Herrn Schneider & Heger? Sie sind nun auch die jüngsten nicht mehr. In der nächsten Woche werde ich auch schon – leider – 51 alt. Die Zeit läuft & viel zu schnell, aber man kann’s nicht ändern! Für heute schliesse ich. Viele herzliche Grüsse & gute Wünsche für Dein & Deiner Familie Wohlergehen von

Deinem
C. Reichert

Anbei die Namen der Frisco-Firmen, wie
sie die Auskunfts-Firma Dun aufgibt.

9

México, 26. November 1915

Mein lieber Fröhlich!

Ich empfing jetzt mit der kleinen Verspätung Deine l. Zeilen vom 9. Juni (5 Monate spielen bei uns hier jetzt gar keine Rolle) und brachten mir dieselben des Interessanten vieles. Hu­ber scheint nach drüben allen möglichen Quatsch geschrieben zu haben. Bei der Contributionsgeschichte war die Sache so, dass man allen Geschäften eine Extracontribution zur Linde­rung der Not aufbrummen wollte. Diese Not kommt daher, dass wir hier Mo­nate lang ohne Eisenbahnverbindung waren und keine Lebensmittel hereinkommen konnten. Nachher, als einige kurze Strecken aufge­macht wurden, haben die Offiziere das Geschäft an sich genommen und sonstige Waren nicht befördern lassen. Mais kostete z.B. in Queréatro 18 $ der Sack und hier ca 100 km entfernt, war unter 200 $ Sack nichts zu bekommen. Ferner will das edle niedrige Volk dank der demagogischen Umtriebe nichts mehr tun. Seine Miete zu zahlen, wird glatt als Verrat an der Volkssache er­klärt. Und nun sollen wir noch ungeheure Steuern zahlen, damit der Krapuelei noch mehr geschmeichelt wird und sie gar nichts mehr zu tun brauchen? Trotz alledem haben wir Ausländer hier grosse Beträge gezeichnet, dummer­weise, denn es hat nur den Zweck, den Pöbel noch fauler zu machen. Alles schreit nach Un­terstützung, aber wenn man ihnen was zu arbeiten geben will, dann gehen sie weg. Wir fremden Kolonien sind damals zusammen­getreten und haben beschlossen, Front gegen diese Übergriffe zu machen und durch 3wöchentliches Schliessen haben wir es er­reicht, dass die fa­mose Steuer abgeschafft wurde. Das war al­lerdings schon nach 3 Tagen erreicht gewesen, aber da wir gar kein Interesse am öffnen hatten, so wollte die Mehrzahl noch andere Dinge durchdrücken, die mit der Steuer gar nichts zu tun hatten. Ich persönlich war dagegen, denn nachdem wir die Haupt­sache erreicht hatten, sollte man dem damaligen Machthaber nicht so vor den Kopf stossen, ich wurde aber überstimmt.

Glücklicherweise wurde der Mann abberufen, sonst glaube ich, dass wir in anderer Weise hätten doch daran glauben müssen. Die Verhältnisse heute haben sich etwas gebessert, und ich habe die Meinung, dass der Chef Carranza wohl der Mann ist, der uns wenigstens einigermassen wieder eine gewisse Ordnung geben kann, vorausge­setzt, dass der scheinheilige Professor in Washingtonii nicht wieder seine alte Politik anfängt, immer wieder neue Aufwieg­ler gegen die Regierungspartei zu unter­stützen. Das arme Land, dem infolge meines langen Aufenthalts hier meine ganze Sympathie gehört, kommt sonst ganz auf den Hund. Leider hat die Mo­ral der Revolutionäre schon sehr ge­litten, aber wenn eine starke Hand wieder ans Ruder kommt – und Carranza hat diese Hand – dann ist zu hoffen, dass es einmal wieder besser wird.

Seit März haben wir nur bei den Tagen der verschiedenen Regie­rungswechsel, so weit dabei in den Strassen geschossen wurde, geschlossen gehabt. Seit 1 Jahr haben wir 8 mal ge­wechselt, wo­bei die einrückende Partei das Papiergeld, womit die vorige die Stadt überschwemmt hatte, anullierte. Du kannst Dir einen Be­griff machen, was das für ein angenehmes Arbeiten ist. Wir ha­ben ein Sammelsurium von Papiergeld, das eine Wissenschaft für sich vorstellt. Lese mal über die franz. Assignaten der Revolu­tion von 1789 nach und dann nehme als Vergleich die Fortschritte, welche auf allen Gebieten menschlichen Wissens ge­macht wurden. Mit dem gleichen Masstab vergrössere die Assigna­tenwirtschaft und dann hast Du noch lange keinen Begriff von dem unglaublichen Kuddelmuddel.

Durch den Kursrückgang von 2.08 auf ca 0,30 per Peso sind wir in unseren Interessen natürlich schwer geschädigt und meine Zu­kunftspläne sind ins Wasser gefallen. An ein Sichzurückzie­hen ist vorerst nicht mehr zu denken. Was will man aber ma­chen? Auch „Durchhalten“, wie drüben. Nur seid Ihr besser dran, denn Ihr wisst dorten, für was Ihr Euch in geringem Grad quält, wäh­rend wir hier machtlos und wehrlos zusehen müssen, wie nach und nach alles zu Grunde gerichtet wird.

Huber ist seit einem Monat nach New York abgereist und schrieb mir, dass er Stellung in einer Versicherungsgesell­schaft gefun­den habe. Er hatte México satt. Bassler geht es fortgesetzt gut. Er war so vorsichtig, Junggeselle zu bleiben und verdient gut, sodass ich denke, dass er sich schon ein nettes Kapitäl­chen gemacht hat. Gesundheitlich geht es mir und meiner Familie sonst erträglich, nur ich muss daran den­ken, mal wieder auszu­spannen, denn ich kam seit März 1914 nicht aus der Stadt her­aus. Man kann aber ohne Lebensgefahr kaum raus und da mein So­cius Graue ausgetreten ist, um sich der Verwaltung seines Land­besitzes zu widmen, so darf ich nicht weg. Wir sind eben daran, einen neuen Contract zu ma­chen, wonach einer der Prokuristen als Socius eintritt. Dann wäre ich etwas freier, aber man hat wenig Neigung, irgendwo­hin zu reisen, ohne dass man weiss, ob nicht mittlerweile die Bahn in die Luft gesprengt wird, was ei­nem selber auch pas­sieren kann.

Mein Schulfreund Korn hat es schon weit gebracht, er war aber auch ein hochintelligenter Mensch.

Der mir mitgeteilte Witz über die Deutschen Diplomaten hat hier circuliert und Anklang gefunden. Mittlerweile haben sie sich etwas durch die bulgarische Sache rehabilitiert. Hof­fentlich wird da später eine Besserung eintreten, wir müssen auch darun­ter Leute haben, die gerissen genug sind, sich nicht die besten Bissen vor der Nase wegfischen zu lassen. Dafür schlagen sich aber unsere Jungens (und auch die Alten) grossartig. Es ist enorm, was da geleistet wird. Wir sind ganz stolz geworden, ob­wohl Du Dir gar nicht vorstellen kannst, wie unglaublich in den Zeitungen gelogen wird. Das ist auch ein Feld, wo wir in der Welt mehr Einfluss haben müssen. Wir sind da viel zu zurückhal­tend und scrupelös.

Was macht O & C? Wie geht es Euch Allen?

Lass bald mal wieder von Dir hören und sei herzlichst ge­grüsst von

Deinem alten Freund!
Dir Bekannt.

Viele Grüsse an die Herren Ottmann. Meine Neujahrswünsche, welche inzwischen abgegangen sind, sind hoffentlich angekom­men.

[i] Krapule (franz. crapule): ,Gesindel’ [ii] Woodrow Wilson, 28. Präsident der USA (1913–1921), zuvor, seit 1890, Professor an der Princeton University.

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[Briefkopf  der Deutschen Schule]1

MEXICO, D.F.2 8. Febr. 1915

Mein lieber Fröhlich!

Da Veracruz von der Hauptstadt fast 3 Monate abgeschnitten war, lag die ganze Post unten an der Küste. Jetzt, nachdem Carranza wieder einmal von México City Besitz ergriffen, kam 14 Wagen Post herauf, auch Dein l. Schreiben vom 19. October, das ich sogleich beantworten will: lange genug war es unterwegs.

Deine Schilderungen sind interessant, finde ich doch schon bestätigt, was uns nur in den ersten Wochen verschleiert war. Nachdem die ersten drahtlosen Meldungen über New York/Sayville kamen, lebten wir von dem Entsetzen wieder auf, das uns angesichts der ersten Kriegsnachrichten ergriffen hatte. Danach war unser Vaterland schon verloren im Hinblick auf die Macht der Feinde. Ost- & Westpreußen & die Reichslande schon besetzt, die Flotte kalt gestellt etc.! Du kannst Dir denken, wie wir darunter litten, denn wir haben hier noch apart unsere großen Sorgen zu tragen. Groß war daher unsere Freude, als die Siegesnachrichten anläßlich der Operationen Hindenburg & der belgisch/franz. Armeen kamen. Leider währte die allzu große Freude nicht lange & wir sind nun wegen der Langsamkeit der Kämpfe enttäuscht – eben, weil wir zu viel erwartet hatten. Man wird die Angst nicht los, daß wir gegen die Übermacht der Feinde auf die Dauer nicht aufkommen. Diese Bedenken finden ihre Nahrung darin, daß fast Alles gegen uns ist & nur die direkten Briefnachrichten, die Alle enthusiastisch & zuversichtlich klingen, geben uns wieder Mut.

Schade, daß man nicht recht warm wird dabei, denn Ihr drüben sprecht z.B. im September zuversichtlich von dem Fall von Verdun, der vor der Tür stehe & bis heute warten wir mit Schmerzen auf dies Ereignis. Trotz alledem haben wir aber das bestimmte Vertrauen in unser Heer & unsere Marine, daß wir den Riesenkampf mit Ehren bestehen werden, nachdem unsere Diplomatie leider Gottes sich gegenüber der unserer Feinde als unterwertig erwiesen hat. Das ist meine feste Meinung: nachdem seit 10 Jahren gegen uns gehetzt wird, mußten wir auch auf dem Plan sein. Die Zerstückelung der Türkei, die wir als natürliche Bundesgenossen zugaben & der Jammerbundesgenosse Italien, der jeden Tag über Österreich herfallen kann, sind Armutszeugnisse für die Herren Diplomaten! Es wird ja Manches nach dem Krieg an den Tag kommen & ich würde mich freuen, wenn sich herausstellte, daß ich im Irrtum bin.

Wir haben hier bei Kriegsausbruch sofort eine eigene Zeitung gegründet, um gegen die unverschämten Lügereien der Engländer anzugehen: unsere besten Argumente werden aber die Hiebe sein, welche unsere braven Soldaten austeilen! Das ist Realpolitik, die unsere Diplomatie noch nicht richtig gelernt hat. Die veranstaltete Sammlung hat unter den Deutschen ca. 180.000 $ ergeben, ferner ca. 12.000 $ für Tabaksendungen, ebensoviel für einen Bazar, abgesehen von vielen kleinen Konzerten etc., die zusammen auch einige tausend $ ergaben. Unsere jungen Leute haben leider nicht nach drüben kommen können & wurden von New Orleans zurückgeschickt. Ottmann soll in Brest sitzen: hast Du nichts von ihm gehört?

Hier ist ein anarchisches Chaos eingerissen, an dessen Entwicklung resp. Entwirrung man verzweifeln könnte. Der Kurs ist von M 2.08 bis auf ca. 60 Pfg gesunken, wodurch natürlich meine (& vieler Anderer) Hoffnungen auf eine baldige, angenehme Stellung als Rentier ins Wasser gefallen sind. Den Rest gab uns der europ. Krieg, der einen energischen Druck auf die USA ausschließt & es uns nicht ermöglicht, nennenswerte Importe zu machen. Wenn es noch einige Monate so fortgeht, müssen wir wohl zeitweilig schließen, da es sich nicht rentiert, die Gehälter weiter zu zahlen. Es ist ein elendes Gefühl, zu solchen Zeiten an der Spitze eines Hauses zu stehen, wo man mit dem besten Willen gegen die Macht der Verhältnisse nicht ankommt.

Hier in der Stadt herrscht momentan schon fast Hungersnot & die Zapatistas aus den Gebirgen südlich der Hauptstadt haben die Wasserleitung abgeschnitten, sodaß großer Wassermangel herrscht. Alle Lebensmittel sind infolge mangelnder Zufuhr auf das 3–4 fache gestiegen & da hunderttausende sengend herumziehen, statt zu arbeiten im Feld, so werden die Ernten immer weiter zurückgehen. Die USA schüren fleißig weiter, bis Mexico ihnen wie eine reife Frucht in den Schoß fällt. Da keine Aussicht ist, daß die streitenden Parteien gewissenloser Hallunken sich einigen, so ist es vielleicht die einzige Rettung, unter die Fuchtel der U.S. zu kommen. Ich sage Dir, es herrschen Zustände hier, die Ihr in Euerer Ordnung & bei der grundanständigen Verwaltung für Lügen halten würdet, wenn man sie Euch erzählte. Am Besten wäre es, wenn ein Mann wie Carranza über die Anderen Übermacht erhielte, aber das ist der Jammer, daß Alles aufeinander einhaut & keiner ist stark genug, mit den Andern fertig zu werden.

Die Lieferung nach Germersheim muß sehr interessant gewesen sein & Du hast da eine ordentliche Arbeit auf Dir gehabt. Ich erinnere mich noch recht gut an einige Details, wie vor über 20 Jahren die Verhandlungen bei O & Co stattfanden.

Wie geht es Dir und Deiner Familie? Bitte, schreibe mir bald ausführlich! Bei uns geht es wenigstens gesundheitlich gut.

Grüße mir bitte die Herren J.O., C.O. & L.O. sowie die alten Kollegen & sei Du selbst mit Familie bestens gegrüßt von

Deinem alten Freund!

C. Reichert

 

[i] [Schule der Deutschen Kolonie/(Colegio de la colonia alemana S. A.)/Direccion del consejo administracion:/Apartado 146./Direccion del director:/Calzada de la piedad, 81.] [2] Ab hier handschriftlich.

7

2. Juni 1914

Mein lieber Fröhlich!

Ich komme erst heute zur Beantwortung Deiner l. Zeilen vom 16. Dezember und zwar, wie Du nachher sehen wirst, aus einem sehr egoistischen Grunde. Ich hätte Dir gerne schon früher geschrieben, aber die Zustände sind so deprimierend hier, dass ich abwarten wollte, bis ich bessere Nachrichten geben könnte. Die Geschichte hat sich aber immer mehr zugespitzt und wer weiss, was aus dem Zauber noch wird. Die USA verfolgen da eine grosszügige Politik und werden nicht locker lassen. Ich sehe für die Staaten eine absolute Notwendigkeit darin, die Länder zwischen ihrem Territorium und dem Panamakanal unter ihre Fuchtel zu bringen und das werden sie auch früher oder später erreichen. Für diese Länder, denen man eine scheinbare Unabhängigkeit lässt, ist der Zustand auch tatsächlich der beste, denn diese Leute sind nicht fähig, sich selbst zu regieren. Der weitaus grösste Teil der Bevölkerung sind Indianer, welche weder lesen, noch schreiben können und diese Leute stehen auf der niedersten Stufe der Civilisation, wofür der Beweis die unerhörten Greueltaten sind, welche wir nun schon seit über 3 Jahren mitansehen müssen. Du machst Dir keinen Begriff, was diese traurige Bande Alles sich leistet und wenn es noch lange so weiter geht, so ist das halbe Land eine Ruine. Der geringe Prozentsatz besserer Elemente kümmert sich nur um sich und Alles andere ist ihm egal. Man redet furchtbar viel und schön, begeistert sich für das Vaterland, aber wenn es sich darum handelt, einmal Gewehrgriffe zu üben, dann zieht sich alles gleich zurück. Ich kann Dir sagen, dass ich es sehr bedauert habe, nicht vor einigen Jahren nach drüben gegangen zu sein. Statt schön zu verdienen, sitzt man nun hier und hat mehr Sorgen wie sonst was. Man kann noch froh sein, wenn nicht eines „schönen“ Tages der ganze Kramladen ausgeplündert wird und womöglich das Haus angezündet wird, wie diese edlen Patrioten das an so und so vielen Plätzen getan haben zur grösseren Ehre des Vaterlands. Uns hat die Gesandtschaft schon vor Wochen geraten, nach drüben zu gehen, aber das ist ausgeschlossen. Ich wollte die Familie und die jungen Leute wegschicken, aber sie haben opponiert und wollen aushalten. In dieser Lage sind wir und unsere einzige Hoffnung ist, dass die USA endlich Ernst machen und richtig zu kommandieren anfangen. Sympathisch sind mir die Herrschaften auch nicht, aber ich ziehe sie den hiesigen Ehrenmännern doch 1000 Mal vor.

An  H U B E R  ist nicht viel. Du beurteilst ihn richtig als „fackelig“ und das ist er auch. Er gibt sich viel Mühe, aber ist sehr nervös & zerfahren.

An der Schutzorganisation habe ich mich nur durch eine Geldspende beteiligt, denn ich wohne nicht in jener Zone, unser Geschäft zu verteidigen, ist mir wichtiger, aber wenn die Andern Spass daran haben, so mögen sie es tun. Ottmann hat sich mit einem unserer Prokuristen gezankt und ist einmal wieder ausgetreten. Er ist jetzt bei einem Agenten für amk. Artikel und ganz zufrieden. Bassler geht es sehr gut.

Meiner Familie gleichfalls und ich selbst kann gesundheitlich nicht klagen und mit dem geschäftlichen Kram habe ich mich abgefunden. Es werden auch mal wieder bessere Zeiten kommen. Ende dieses Monats tritt mein Kollege Graue von der Leitung, die er mit mir zusammen ausübte, zurück, bleibt für den Rest seines Contracts (1 Jahr) „zur Disposition“ und wird dann wohl stiller Teilhaber werden. Ich kriege dann etwas mehr Arbeit, aber es ist jetzt so wenig los, dass ich froh bin, noch Einiges dazuzunehmen [sic] zu können. Wie es mit dem nächsten Contract wird, wissen die Götter. Die Herren drüben wünschen, dass ich eine kurze Reise mache, um mit ihnen zu conferieren, aber unter den jetzigen Verhältnissen kann ich meinen Posten nicht verlassen. Dazu ist der Kurs so gefallen, dass ich meine Familie nicht mitnehmen möchte, denn das würde zu teuer kommen und allein gehen und sie jetzt hierlassen, mag ich auch nicht. Ich hätte es  allerdings nötig, auszuspannen, denn ich war seit 8 Jahren nicht mehr drüben, aber was nicht geht, geht nicht.

Wie geht es Dir, Deiner l. Frau und der Kronprinzessin? Schreibe mir auch in dem nächsten Brief etwas über dortiges Wissenswerte. Du weisst, Lautern interessiert mich immer.

Nun komme ich zu meinem Anliegen. Ich möchte gerne für meine Kinder eine Art Sparkasse machen, bezw. das was sie schon haben, in deutschen Papieren ablegen und dann immer weiter dazu kaufen. Ich sende Dir anbei einen Check über M 700,-, den ich der Einfachheit halber an die Order Deiner Firma stellte und bitte Dich, dafür durch ein dortiges Bankhaus, das auch Depositen verwaltet, 4%ige Papiere, Deutsche Reichsanleihe oder Bayr. Anleihe kaufen und diese in einer 1a Bank als Depot zu hinterlegen. Die Zinsen können immer gutgeschrieben werden und werden mit den neuen Rimessen (150–200 M pr. Mt) zum Ankauf weiterer Papiere verwandt. Ich denke, dass die Rhein. Kreditbank solche Geschäfte besorgt, bin aber mit allem einverstanden, was Du darin machst. Damit ich Dich nicht permanent zu piesacken brauche, bitte ich Dich, mich der Bank zu empfehlen und sie anzu­weisen, mir direct Anzeige zu machen. Im Voraus herzlichen Dank für Deine Bemühungen.

Ich bitte Dich, die Herren Jacob, Karl und Ludwig Ottmann herzlichst zu grüssen, ebenso die anderen mir bekannten Herren der Firma und sei selbst mit Deiner l. Frau bestens gegrüsst von

Deinem alten Freund!
C. Reichert