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Mexiko, 5. März 1924

Mein lieber Freund Adolf!

Ich komme heute zur Erledigung Deinen l. Zeilen vom 29. Dez., 28. Jan. und 2./8. Febr. und gebe Dir wunschgemäß den Brief meines Bruders zurück. Meine Ansicht über dessen unglaubliche Briefeschreiberei teilte ich Dir schon mit. Auch ihm schrieb ich klar und deutlich, was ich davon halte, und wenn er die Sa­che mit Dir nicht ordnet und Dir Genugtuung gibt, werden wir mal wieder unsere Beziehungen abgebrochen sehen. Er hat vor langen Jahren, auf Anstiften seiner Frau, schon mal eine Sache gemacht gelegentlich der Hinterlassenschaft meines Va­ters. Jetzt kann die notdürftig zusammengeleimte Geschichte wieder auseinandergehen und wieder wegen meines guten Wil­lens. Nun, der arme Kerl würde sich dabei in sein eigenes Fleisch schnei­den, denn ich habe ihm doch eine Menge zukommen lassen. Wenn er wertbeständige Währung braucht, kann es mit dem Verhungern nicht so nahe sein, wie er mir das schilderte. Dann nimmt man, was man bekommt und kauft sich Lebensmittel. Nochmals bitte ich Dich, die Sache zu entschuldigen.

Anbei sende ich Dir noch eine Ansicht mit der Terrasse meiner Geschäftswohnung, wie schön wäre es, Dich einmal da als lie­ben Besuch zu sehen! Ich fühle Dir nach, welches Verlangen Du hast, mal Deine Brüder wieder zusehen, denn wenn man älter wird, lichten sich die Reihen.

Unserem 76 jährigen Seniorpartner Bilse, der s. Zeit in Lau­tern war und mich von O & C wegfischte, geht es noch schlim­mer. Er kam nach 20 j. Abwesenheit voriges Jahr von Berlin zu Besuch und hat nun keine Lust mehr, nach Berlin zurückzuge­hen, denn die mexik. Sonne hat es ihm angetan. Er hatte einen 80 J. alten Bruder in Kalifornien, den er seit 50 J. nicht gesehen hatte. Er wollte hin, konnte aber Passchwierigkeiten halber nicht und nun erhielt er die Nachricht, dass sein Bru­der gestorben ist.

Der Frank ist in diesen Tagen sehr gewichen, aber hoffent­lich kommt es zu einem Einverständnis, dass auch unser armes Vater­land aufatmen lässt. Frankreich scheint ja angesichts seiner Währungsschwierigkeiten geneigt zu sein, etwas nach­zugeben. Ein starkes Fallen des Franken bringt die Welt immer mehr in Durch­einander und ist daher nicht wünschenswert. Dass Ihr Eure Aus­senstände in Franken habt, würde dann ziemliche Verluste geben, denn für das eingehende Geld könnt Ihr Euch nicht mehr das an Waren kaufen, was Ihr dafür geliefert habt. Solltest Du die Aussenstände nicht schnell genug einziehen können, so würde ich raten, für deren Betrag ein Darlehen in Franc aufzunehmen, um die Dir von den Kunden zurückgezahlten franc später auf jenes Darlehen zu verrechnen. Geht das nicht, so kaufe Grundbesitz oder Sachwerte, wie Uhren, Juwe­len etc., die in ihren Preisen der Frank. Entwertung nicht oder nicht so schnell folgen. Den Kram muß man dann später langsam wieder abstossen. So habe ich es hier gemacht.

Ihr habt also noch mehr gebaut? Das muß ja ein Riesenkasten sein jetzt! Wenn Du einmal eine Ansicht davon übrig hast, würde mich das sehr interessieren. Du weißt, ich erinnere mich oft und gern an meine alte Lehrfirma.

Die Revolution ist im Erlöschen begriffen, obwohl noch ver­schiedene, für uns sehr wichtige Landesteile ganz abgeschlos­sen sind. Von ca 1/3 der ganzen Kunden haben wir seit 3 Monaten keine Silbe gehört. Immerhin stehen wir wieder mit 2/3 in Con­tact. Der Bahnverkehr ist noch sehr gefährdet und alle Sendun­gen müssen mittels hoher Prämien gegen Revolutionsge­fahr extra versichert werden.

In Café arbeiten wir nicht, und ich habe an die uns befreun­dete Café-Export-Firma Guillermo Boesch Sucs, Origaba, ge­schrieben, sie möchten Euch Anstellung machen. Sage mir gele­gentlich, was aus der Sache wird, um Dir dienlich sein zu können. Ananas aus Honolulu zu beziehen, halte ich nicht für praktisch, da der ganze Hawai-Handel über San Francisco geht. Ich schreibe aber meinem Ältesten, der in Pearl Harbour bei Honolulu ist, er solle eine Firma besuchen und Dir Offerte machen lassen.

Hoffentlich ist Dein Söhnchen wieder in Ordnung und der Schen­kelbruch verheilt. Wegen Hans Spener kann ich leider mo­mentan nicht dienen, denn die Revolution hat großen Schaden gebracht und fast alle Firmen haben zu viel Personal. Spener hätte keine Aussicht, eine Stellung zu bekommen, da ohnehin eine große An­zahl Deutscher stellungslos herumläuft. Die Re­gierung müßte auch sparsamer wirtschaften und hat viele Leute entlassen. Spe­ner soll andere Zeiten abwarten und inzwischen Spanisch lernen. Ich werde die Sache im Auge behalten.

Für heute schließe ich mit herzlichen Grüßen und in alter Freundschaft

Dein
C. Reichert

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den 8. 2. 1924

Lieber Freund Karl!

Dein Brief vom 18. Januar, es ist der Tag der Reichsgründung, erreichte mich gestern Abend, und da ich gerade ein Viertel­stündchen Zeit habe und in den nächsten Tagen doch nicht dazu komme, möchte ich ihn gleich beantworten. Die Angelegenheit mit Deinem Bruder betrachte ich als erledigt und bitte, Dich dar­über nicht weiter aufzuregen, denn ich bin ja nicht weiter al­teriert und wollte mich nur Dir gegenüber rechtfertigen. Die Hauptsache ist ja mein gutes Gewissen und meine Bereitwillig­keit, Dir gegenüber jederzeit gefällig zu sein, und wenn Du mich für die Folge statt zu „bitten“ zu irgend etwas „aufforderst“, geschieht es jedesmal mit Vergnügen, denn es ist doch selbstverständlich, dass man sich gegensei­tig gefällig ist, wo man nur kann.

Für Deine Bemühungen betreff St. Francisco-Adressen danke ich Dir verbindlichst. Antworten der betreffenden Firmen sind bis jetzt noch nicht da.

Sehr leid tut es mir, aus Deinem Brief zu ersehen, dass Ihr jetzt auch schlechte Zeiten durchmachen müsst. Aber ich hoffe gerne mit Dir, dass die Revolution nach Ankunft dieses Brie­fes beendet ist, denn die Zeitungsnachrichten lassen erken­nen, dass durch das Eingreifen Amerikas die Ruhe doch wieder hergestellt werden wird. Im übrigen ist es ja leider Tatsa­che, dass die ganze Welt in politischer und zum Teil auch wirtschaftlicher Beziehung auf den Kopf gestellt ist. Was wir hier augenblick­lich erleben, schreit zum Himmel und es ist nur sehr gefähr­lich, alles brieflich so zu schildern, wie man es auf dem Her­zen hat. Eine unbefugte Zensur kann grosse Un­annehmlichkeiten bringen (Gefängnis und Ausweisung).

Erfreut war ich gestern ausserordentlich, in den „Hamburger Nachrichten“ zu lesen, dass sich die Deutschen, speziell die Rheinländer und Pfälzer, in Mexiko in einer Eingabe an den amerikanischen Präsidenten gewendet haben, um bezüglich des Rhein­landes und der Pfalz Hilfe von Amerika zu erflehen. Es freut mich dies umsomehr, als ich wohl vermuten darf, dass Du an der Sache nicht ganz unbeteiligt bist. Nach den neuesten Nachrich­ten, die heute die Zeitungen bringen, scheint England doch stark zu bleiben, nachdem der engl. Generalkonsul Clive sein Material in der Pfalz selbst gesammelt hat. Unser Volk ist augenblicklich in tiefster Not und an der ganzen Tragödie ist das Traurigste, dass die Mehrzahl der Deutschen, die in ihrem Un­tertanenverstand kein politisches Verständnis haben, die Motive dieser Tragödie nicht erkennen wollen, weil sie tatsächlich zu feige dazu sind. So wird weiter gewurstelt und alle Arbeit hilft nichts, solange die Parteien und Parteien­grüppchen wie Kegel- und Kartengesellschaften für sich egoistische Politik treiben. Es ist notwendig, dass die ganze Welt etwas ethischer denken lernt im Sinne jenes Christentums, das Jesus gelehrt hat und nicht derjenigen Religion, die in diesem Weltkriege so furchtbar Fiasko gemacht hat. Der liebe alte Gott war bei jedem unserer Feinde sowohl wie bei uns selbst der erste Bundes- und Kampfgenosse. Er sollte Eng­land strafen, Frankreich vernichten und uns den Frieden brin­gen und alles ist umgekehrt gegangen. Man hat sogar von Sei­ten christlicher Pfarrer den Krieg und den Mord verherrlicht, und der Krieg ist doch nichts weiter wie ein grosses Morden, ein Morden, wie es die grössten Bestien nicht besser voll­bringen können. Ich habe für mich, der ich immer ge­recht und wahrlich christlich trotz meiner jüdischen Abstammung dachte und handelte, das Gefühl, dass es mit unserer Jugend, soweit sie nicht in das nationalsozialistische Fahrwasser kommt, doch besser wird.

Es gibt natürlich in dieser Beziehung sehr viel Arbeit. Nament­lich in der Schule. Dort muss angefangen werden, wenn nicht die ganze Kultur Europas zu Grunde gehen soll. Ich kann Dir nach­fühlen, wenn Du angesichts all dieser Verhältnisse auf einer entlegenen Insel als Einsiedler leben möchtest. Aber das geht einmal nicht. Der einzelne Mensch muss in sich selbst die ver­dammte Pflicht fühlen, mitzuhelfen, das wieder auszu­bauen, was Unglaube, Sittenlosigkeit, Raub- und Geldgier ver­nichtet haben. Im Grossen und Ganzen genommen, war der Welt­krieg weiter nichts als ein Geschäftskrieg für Grossindu­strie und Hochfinanz. Es wurde überall gesündigt. Deutschland wollte allerdings den Krieg im August 1914 nicht, hat aber doch an der Nichtverhinderung desselben ein gerüttelt Maß von Schuld, al­lerdings das Volk nicht, sondern nur der wahnsin­nige Kaiser Wilhelm II. –

Und nun Schluss für heute. Mit den besten Grüssen, auch von meiner Familie, an Dich und die Deinen, verbleibe ich

Dein alter Freund
A. Fröhlich