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[Briefkopf  der Deutschen Schule]1

MEXICO, D.F.2 8. Febr. 1915

Mein lieber Fröhlich!

Da Veracruz von der Hauptstadt fast 3 Monate abgeschnitten war, lag die ganze Post unten an der Küste. Jetzt, nachdem Carranza wieder einmal von México City Besitz ergriffen, kam 14 Wagen Post herauf, auch Dein l. Schreiben vom 19. October, das ich sogleich beantworten will: lange genug war es unterwegs.

Deine Schilderungen sind interessant, finde ich doch schon bestätigt, was uns nur in den ersten Wochen verschleiert war. Nachdem die ersten drahtlosen Meldungen über New York/Sayville kamen, lebten wir von dem Entsetzen wieder auf, das uns angesichts der ersten Kriegsnachrichten ergriffen hatte. Danach war unser Vaterland schon verloren im Hinblick auf die Macht der Feinde. Ost- & Westpreußen & die Reichslande schon besetzt, die Flotte kalt gestellt etc.! Du kannst Dir denken, wie wir darunter litten, denn wir haben hier noch apart unsere großen Sorgen zu tragen. Groß war daher unsere Freude, als die Siegesnachrichten anläßlich der Operationen Hindenburg & der belgisch/franz. Armeen kamen. Leider währte die allzu große Freude nicht lange & wir sind nun wegen der Langsamkeit der Kämpfe enttäuscht – eben, weil wir zu viel erwartet hatten. Man wird die Angst nicht los, daß wir gegen die Übermacht der Feinde auf die Dauer nicht aufkommen. Diese Bedenken finden ihre Nahrung darin, daß fast Alles gegen uns ist & nur die direkten Briefnachrichten, die Alle enthusiastisch & zuversichtlich klingen, geben uns wieder Mut.

Schade, daß man nicht recht warm wird dabei, denn Ihr drüben sprecht z.B. im September zuversichtlich von dem Fall von Verdun, der vor der Tür stehe & bis heute warten wir mit Schmerzen auf dies Ereignis. Trotz alledem haben wir aber das bestimmte Vertrauen in unser Heer & unsere Marine, daß wir den Riesenkampf mit Ehren bestehen werden, nachdem unsere Diplomatie leider Gottes sich gegenüber der unserer Feinde als unterwertig erwiesen hat. Das ist meine feste Meinung: nachdem seit 10 Jahren gegen uns gehetzt wird, mußten wir auch auf dem Plan sein. Die Zerstückelung der Türkei, die wir als natürliche Bundesgenossen zugaben & der Jammerbundesgenosse Italien, der jeden Tag über Österreich herfallen kann, sind Armutszeugnisse für die Herren Diplomaten! Es wird ja Manches nach dem Krieg an den Tag kommen & ich würde mich freuen, wenn sich herausstellte, daß ich im Irrtum bin.

Wir haben hier bei Kriegsausbruch sofort eine eigene Zeitung gegründet, um gegen die unverschämten Lügereien der Engländer anzugehen: unsere besten Argumente werden aber die Hiebe sein, welche unsere braven Soldaten austeilen! Das ist Realpolitik, die unsere Diplomatie noch nicht richtig gelernt hat. Die veranstaltete Sammlung hat unter den Deutschen ca. 180.000 $ ergeben, ferner ca. 12.000 $ für Tabaksendungen, ebensoviel für einen Bazar, abgesehen von vielen kleinen Konzerten etc., die zusammen auch einige tausend $ ergaben. Unsere jungen Leute haben leider nicht nach drüben kommen können & wurden von New Orleans zurückgeschickt. Ottmann soll in Brest sitzen: hast Du nichts von ihm gehört?

Hier ist ein anarchisches Chaos eingerissen, an dessen Entwicklung resp. Entwirrung man verzweifeln könnte. Der Kurs ist von M 2.08 bis auf ca. 60 Pfg gesunken, wodurch natürlich meine (& vieler Anderer) Hoffnungen auf eine baldige, angenehme Stellung als Rentier ins Wasser gefallen sind. Den Rest gab uns der europ. Krieg, der einen energischen Druck auf die USA ausschließt & es uns nicht ermöglicht, nennenswerte Importe zu machen. Wenn es noch einige Monate so fortgeht, müssen wir wohl zeitweilig schließen, da es sich nicht rentiert, die Gehälter weiter zu zahlen. Es ist ein elendes Gefühl, zu solchen Zeiten an der Spitze eines Hauses zu stehen, wo man mit dem besten Willen gegen die Macht der Verhältnisse nicht ankommt.

Hier in der Stadt herrscht momentan schon fast Hungersnot & die Zapatistas aus den Gebirgen südlich der Hauptstadt haben die Wasserleitung abgeschnitten, sodaß großer Wassermangel herrscht. Alle Lebensmittel sind infolge mangelnder Zufuhr auf das 3–4 fache gestiegen & da hunderttausende sengend herumziehen, statt zu arbeiten im Feld, so werden die Ernten immer weiter zurückgehen. Die USA schüren fleißig weiter, bis Mexico ihnen wie eine reife Frucht in den Schoß fällt. Da keine Aussicht ist, daß die streitenden Parteien gewissenloser Hallunken sich einigen, so ist es vielleicht die einzige Rettung, unter die Fuchtel der U.S. zu kommen. Ich sage Dir, es herrschen Zustände hier, die Ihr in Euerer Ordnung & bei der grundanständigen Verwaltung für Lügen halten würdet, wenn man sie Euch erzählte. Am Besten wäre es, wenn ein Mann wie Carranza über die Anderen Übermacht erhielte, aber das ist der Jammer, daß Alles aufeinander einhaut & keiner ist stark genug, mit den Andern fertig zu werden.

Die Lieferung nach Germersheim muß sehr interessant gewesen sein & Du hast da eine ordentliche Arbeit auf Dir gehabt. Ich erinnere mich noch recht gut an einige Details, wie vor über 20 Jahren die Verhandlungen bei O & Co stattfanden.

Wie geht es Dir und Deiner Familie? Bitte, schreibe mir bald ausführlich! Bei uns geht es wenigstens gesundheitlich gut.

Grüße mir bitte die Herren J.O., C.O. & L.O. sowie die alten Kollegen & sei Du selbst mit Familie bestens gegrüßt von

Deinem alten Freund!

C. Reichert

 

[i] [Schule der Deutschen Kolonie/(Colegio de la colonia alemana S. A.)/Direccion del consejo administracion:/Apartado 146./Direccion del director:/Calzada de la piedad, 81.] [2] Ab hier handschriftlich.