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 o. D. (1927)

Mein lieber Fröhlich!

Endlich komme ich mal dazu, Deine freundlichen Zeilen vom 13. Juni zu beantworten und Dir auch dem Empfang Deiner Karte aus Interlaken anzuzeigen. Hoffentlich hast Du Dich in der Schweiz gut erholt und mit Deinem Filius schöne Tage verlebt. Ich hätte auch nichts dagegen, mal auf einige Zeit vor Anker gelegt zu sein, aber wenn ich mal so weit bin, dass der Kar­ren ziemlich läuft, kommt mir irgend eine Idee und dann gehe ich wieder darauf los und es lässt mich nicht ruhen. Dabei muss ich ehrlich sagen, es ist nicht die Absicht des Gelder­werbs, die mich lockt, es ist direkt ein Sport oder Fimmel, wie Du es nehmen willst. Ich würde mich nicht wohl fühlen, wenn ich dann nicht mit der Idee losgehen könnte.

So war ich vor einem Jahr so weit, dass unsere Finanzen leicht zu „managen“ waren, und ich verlegte das Datum unserer Bilanzen auf den 28. Februar, um im Frühjahr reisen zu kön­nen. Es war meine feste Absicht.

Da traten hier 3 Präsidentschaftskandidaten auf, und das ganze Geschäftsleben fing an zu stagnieren, denn wenn so was kommt, gibt es immer ein Revolutiönchen. (Jetzt ist es ja mal wieder so weit.) Da die meisten Häuser gar nicht darauf vor­bereitet waren und sich zu stark engagiert hatten, kamen Ver­schiedene in böse Schwulitäten, darunter auch 3 grössere deutsche Firmen. Die eine wurde gestürzt, die anderen aber kamen in gerichtliche Liquidation. Eine dieser Firmen aus der Farben, Küchen & Haushaltsartikel etc.-Branche ging sehr gut und nur die Finanzen riess das Haus um. Ich interessierte mich für den Ankauf und bot darauf. Aber man nahm das nicht an, denn der Syndikus glaubte, für die Gläubiger 100 % her­auszubekommen. Das Haus hat ca. 450 000 $. Warenlager, ein Lager an einem Bahnhof und das Geschäftsgebäude in der besten Gegend. Das Objekt ist für die heutige Lage und Geldknappheit so gross, dass schliesslich Niemand darangehen wollte. Ich entschloss mich dann zu einer Offerte, den inzwischen im Wert geminderten Kram zu 1/2 Million Pesos zu nehmen und nach lan­gem Würgen und Drücken, dem ich aber nicht nachgab, hat man uns die Geschichte zugesprochen. Ich bin nun gerade dabei, die Sache neu zu organisieren, denn es ist alles sehr ver­nachlässigt und es bedarf einiger Monate, um einigermassen auf den Punkt zu kommen, wo einem das Geschäft Spass macht. Inzwischen haben wir den Durcheinander politischer Natur, von dem Du sicher durch die Presse gehört hast. Aus begreiflichen Gründen will ich mich darüber nicht auslassen. Die Welt schreitet fort, redet immer mehr von Freiheit und Brüderlich­keit und Demokratie und dabei kommen wir immer weiter weg.

Mein Ältester ist in Nicaragua gewesen, um zu helfen, die Welt in Bezug auf jenen Raubstaat sicherer für die Demokratie und Selbstbestimmung der Völker etc., wie all der Quatsch heisst, zu machen. Nachdem die USA das besorgt haben, nahm die Flotte Richtung nach Guam, Manila und Shanghai, denn die Charlies im Far East wollen auch nicht begreifen, was Demo­kratie ist. Ich will nur hoffen, dass er eines Tages wieder gesund wiederkommt. Er ist sehr unternehmend, schreibt aber in seinem letzten Brief, nun habe er aber bald von der Welt genug gesehen.

Dem jungen Wernz geht es sehr gut. Er besucht mich ab und zu und berichtet mir Gutes über sein Fortkommen. Er ist in einer kanadischen Bank und verdient schon ganz nett.

An den alten Hoffmann erinnere ich mich sehr gut. Er war da­mals Facturist und liess sich da nichts dreinreden. Ich sehe ihn noch vor mir mit seiner Handschrift sogar. Wenn Du ihn siehst, bitte ich ihm einen Gruss auszurichten, ebenso Peter Wolff.

Durch den Besuch eines Vertreters der Pfaffschen Fabrik, Zahn mit Namen, kam ich wieder in Contact mit meinem Vetter Loeh­mer, der Prokurist von Pfaff ist, sich aber bald zurückziehen will. Ich kenne ihn persönlich leider nicht, wohl aber hörte ich viel über ihn. Er war früher immer auf Reisen und muss wohl ein tüchtiger Mann sein.

Dass Oberbahnmeister Walter starb, ist mir schmerzlich. Er war meinem Vater immer ein guter Kollege gewesen. So nach und nach merkt man, dass man alt wird, denn um einen herum bröc­kelt doch manches schon ab.

Sonst geht es uns gut. Mein kleiner Enkel macht jetzt schon viele Sonntagsausflüge mit und läuft ganz niedlich seine 2 Stunden. Dann muss er fahren oder auf seinem Vater reiten.

Für heute muss ich schliessen, wünsche Dir und Deinen Lieben alles Gute und verbleibe mit herzlichen Grüssen stets

Dein alter Freund
C. Reichert

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Mexico, 4. Mai 1927

Mein lieber Fröhlich!

Ich erhielt Deine l. Zeilen vom 4. und 12. April und las mit grossem Interesse von der Abwicklung mit der Firma Ottmann. Zuerst sprichst Du von 140ooo Mk und dann nur von 80ooo Mk: ich hoffe, dass man Dir nicht noch Abzüge gemacht hat, was man allerdings nach Allem, was Du mir über die Affaire sagst, erwarten konnte, denn Dankbarkeit findet man bei der nächsten Generation nicht. Das haben schon grosse Leute mitmachen müs­sen. Ich lese gerade den Roman von Strobl über Bismarck, die Trilogie „Runen Gottes“. Da kann man auch so Einiges von men­schlicher Dankbarkeit lesen. Geleistete Dienste werden selten oder nie anerkannt. Ich erinnere mich da an eine Anekdote von dem mexik. Präsidenten Juarez. Der hatte einen Freund, dem er viele Gefälligkeiten getan hatte. Der Kern wandte sich dann gegen ihn. Da meinte er: Es genügt meistens, jemanden einen Dienst erwiesen zu haben, um einen Feind mehr zu haben. Ganz so niederdrückend sind nun meine eigenen Erfahrungen nicht, aber einiges Üble habe ich doch erlebt.

Es ist übrigens eine grosse Anerkennung für Dich, dass Du die Ehrenämter beibehalten hast und das gibt Dir Gelegenheit, Dich gelegentlich mal an einer Sache zu beteiligen, die Dei­ner Begabung entspricht, ohne allzuviel schuften zu müssen. Ich meine, Du solltest da mal an eine Bankstellung denken, um nicht den ganzen Tag angespannt zu sein. Es ist sehr schwierig, sich seinem Alter entsprechend einzustellen. Ich bemühe mich auch innerhalb unseres Betriebs, aber da kommen Zeiten, wie jetzt gerade, wo man mehr arbeiten muss als je. Die Lage ist hier recht brenzlich und ich fürchte, sie wird sich so schnell nicht zum Guten und zur Ordnung wenden. Die Zeitungen haben Censur und als Ausländer tut man besser, seinen Schna­bel zu halten und nichts zu sagen.

Dass unter diesen Umständen an die so lange ersehnte Reise nicht zu denken ist, wirst Du begreifen. Meine Verantwortung ist zu gross & es heisst, das Steuer in der Hand behalten.

Das erwähnte Buch von Ludwig kenne ich und besitze es schon, denn ich liebe es, auch andere Meinungen zu hören. Waldersee und Zedlitz, die hohe Ehren eingeheimst haben und sich dann hinsetzten, um Dinge niederzuschreiben, die man nur im Zusam­menhang verstehen kann, sind in meinen Augen Lumpen. Und Lud­wig macht ein Geschäft daraus, einen Mann mit Dreck zu bewer­fen, dem er sicher hinten hineinkriechen würde, wenn der Krieg anders ausgegangen wäre. Sei die Sache, wie sie wolle, ein anständig denkender Mensch sollte ruhig sein, denn wenn man jetzt über den Kaiser schimpft, so sollte man bedenken, dass alle Welt ihn früher anhimmelte. Warum haben diese Tröpfe denn nicht früher ihr Schandmaul aufgerissen? Jetzt, nachdem der Mann gefallen ist, sollte man ihn in Ruhe lassen. Es ist eine recht hässliche Sache. Ich selber denke auch, dass es nicht convenieren kann, den Kaiser wieder ans Ruder zu bringen, aber man sollte doch seinen Frieden mit ihm ma­chen und nicht die Verbannung aufrecht zu erhalten. Das er­zeugt böses Blut. Ich kann mich jedenfalls nicht mit einer Republik befreunden, die auf Lügen aufgebaut ist. Alle Welt hat eingesehen, dass der Kaiser geradesowenig und geradeso­viel Schuld hatte am Krieg, wie andere auch und die November­tage 1918 enthalten viele Hundsgemeinheit. Siehe das Prinz­chen Max von Baden, dieser armselige Herr. Na, lassen wir den Kram beiseite, meinen Standpunkt sehe ich nur immer mehr be­festigt durch das, was man sieht in der Welt. Der ganze Kram geht zum Deibel mit dem Parlamentarismus und den Volksfrei­heiten.

Mein Ältester ging wieder von seinem Urlaub in die Marine zu­rück und er schrieb mir, er müsse wohl nach China oder Nica­ragua. Aber ich habe seit 2 Monaten keine Nachrichten mehr von ihm.

Ein Billet kostet Newyork-Laredo-Mexico etwa 110 Dollars. Dazu kommt Pullman. Billiger reist man mit der Ward-Line ab Newyork via Veracruz. Da Du nach Arkansas musst, conveniert es Dir, die Herreise über Newyork per Bahn über Laredo zu ma­chen und die Heimreise über Veracruz direkt nach Europa. Je nach den Ansprüchen, die man macht, kann man billiger oder teurer reisen. Das Mittel-Europäische Reisebureau oder Hapag kann Dir die näheren Preise angeben. Es wäre sehr schön, Dich mal hier zu sehen, denn es ist ein interessantes Land und mal ganz was Anderes. Mich zieht es nicht nach Deutschland, denn ich kenne vieles und heute kann es mir nicht imponieren mit seinem Parteigezänke und alle dem Quatsch, der verzapft wird. Man sollte mal die Politik 10 Jahre ausschalten in der ganzen Welt und die Hauptschweinigel bei Wasser und Brot einige Jahre gefangen setzen, damit ihnen die Hetzerei vergeht.

Wegen der mexik. Papiere kann ich Dir nichts Bestimmtes sa­gen, denn ich bekümmere mich nicht darum. Hier arbeitet fast Niemand darin und Niemand kauft heute solches Zeug. Drüben wird viel mehr darin gemacht. Ich habe eine hiesige Firma ge­beten, durch ihre Frankfurter Verbindung sich mit Dir ins Be­nehmen zu setzen, aber die Leute haben kein Interesse daran und wenn sie es tun, dann nur aus Gefälligkeit. Ich würde Dir abraten, Dich sehr damit zu befassen, denn die Lage ist zu unklar. Es haben schon Viele ihre Finger daran verbrannt. Fast einfacher ist es, rouge et noir zu spielen. Da weiss man gleich Bescheid und braucht sich nicht lange den Kopf zu zer­brechen.

So, nun habe ich für heute eine Menge zusammengetippt. Lasse bald und viel von Dir hören: Du hast jetzt mehr Zeit wie ich!

Mit herzlichen Grüssen bin ich stets
Dein alter Freund
C. Reichert

35

den 8. 2. 1924

Lieber Freund Karl!

Dein Brief vom 18. Januar, es ist der Tag der Reichsgründung, erreichte mich gestern Abend, und da ich gerade ein Viertel­stündchen Zeit habe und in den nächsten Tagen doch nicht dazu komme, möchte ich ihn gleich beantworten. Die Angelegenheit mit Deinem Bruder betrachte ich als erledigt und bitte, Dich dar­über nicht weiter aufzuregen, denn ich bin ja nicht weiter al­teriert und wollte mich nur Dir gegenüber rechtfertigen. Die Hauptsache ist ja mein gutes Gewissen und meine Bereitwillig­keit, Dir gegenüber jederzeit gefällig zu sein, und wenn Du mich für die Folge statt zu „bitten“ zu irgend etwas „aufforderst“, geschieht es jedesmal mit Vergnügen, denn es ist doch selbstverständlich, dass man sich gegensei­tig gefällig ist, wo man nur kann.

Für Deine Bemühungen betreff St. Francisco-Adressen danke ich Dir verbindlichst. Antworten der betreffenden Firmen sind bis jetzt noch nicht da.

Sehr leid tut es mir, aus Deinem Brief zu ersehen, dass Ihr jetzt auch schlechte Zeiten durchmachen müsst. Aber ich hoffe gerne mit Dir, dass die Revolution nach Ankunft dieses Brie­fes beendet ist, denn die Zeitungsnachrichten lassen erken­nen, dass durch das Eingreifen Amerikas die Ruhe doch wieder hergestellt werden wird. Im übrigen ist es ja leider Tatsa­che, dass die ganze Welt in politischer und zum Teil auch wirtschaftlicher Beziehung auf den Kopf gestellt ist. Was wir hier augenblick­lich erleben, schreit zum Himmel und es ist nur sehr gefähr­lich, alles brieflich so zu schildern, wie man es auf dem Her­zen hat. Eine unbefugte Zensur kann grosse Un­annehmlichkeiten bringen (Gefängnis und Ausweisung).

Erfreut war ich gestern ausserordentlich, in den „Hamburger Nachrichten“ zu lesen, dass sich die Deutschen, speziell die Rheinländer und Pfälzer, in Mexiko in einer Eingabe an den amerikanischen Präsidenten gewendet haben, um bezüglich des Rhein­landes und der Pfalz Hilfe von Amerika zu erflehen. Es freut mich dies umsomehr, als ich wohl vermuten darf, dass Du an der Sache nicht ganz unbeteiligt bist. Nach den neuesten Nachrich­ten, die heute die Zeitungen bringen, scheint England doch stark zu bleiben, nachdem der engl. Generalkonsul Clive sein Material in der Pfalz selbst gesammelt hat. Unser Volk ist augenblicklich in tiefster Not und an der ganzen Tragödie ist das Traurigste, dass die Mehrzahl der Deutschen, die in ihrem Un­tertanenverstand kein politisches Verständnis haben, die Motive dieser Tragödie nicht erkennen wollen, weil sie tatsächlich zu feige dazu sind. So wird weiter gewurstelt und alle Arbeit hilft nichts, solange die Parteien und Parteien­grüppchen wie Kegel- und Kartengesellschaften für sich egoistische Politik treiben. Es ist notwendig, dass die ganze Welt etwas ethischer denken lernt im Sinne jenes Christentums, das Jesus gelehrt hat und nicht derjenigen Religion, die in diesem Weltkriege so furchtbar Fiasko gemacht hat. Der liebe alte Gott war bei jedem unserer Feinde sowohl wie bei uns selbst der erste Bundes- und Kampfgenosse. Er sollte Eng­land strafen, Frankreich vernichten und uns den Frieden brin­gen und alles ist umgekehrt gegangen. Man hat sogar von Sei­ten christlicher Pfarrer den Krieg und den Mord verherrlicht, und der Krieg ist doch nichts weiter wie ein grosses Morden, ein Morden, wie es die grössten Bestien nicht besser voll­bringen können. Ich habe für mich, der ich immer ge­recht und wahrlich christlich trotz meiner jüdischen Abstammung dachte und handelte, das Gefühl, dass es mit unserer Jugend, soweit sie nicht in das nationalsozialistische Fahrwasser kommt, doch besser wird.

Es gibt natürlich in dieser Beziehung sehr viel Arbeit. Nament­lich in der Schule. Dort muss angefangen werden, wenn nicht die ganze Kultur Europas zu Grunde gehen soll. Ich kann Dir nach­fühlen, wenn Du angesichts all dieser Verhältnisse auf einer entlegenen Insel als Einsiedler leben möchtest. Aber das geht einmal nicht. Der einzelne Mensch muss in sich selbst die ver­dammte Pflicht fühlen, mitzuhelfen, das wieder auszu­bauen, was Unglaube, Sittenlosigkeit, Raub- und Geldgier ver­nichtet haben. Im Grossen und Ganzen genommen, war der Welt­krieg weiter nichts als ein Geschäftskrieg für Grossindu­strie und Hochfinanz. Es wurde überall gesündigt. Deutschland wollte allerdings den Krieg im August 1914 nicht, hat aber doch an der Nichtverhinderung desselben ein gerüttelt Maß von Schuld, al­lerdings das Volk nicht, sondern nur der wahnsin­nige Kaiser Wilhelm II. –

Und nun Schluss für heute. Mit den besten Grüssen, auch von meiner Familie, an Dich und die Deinen, verbleibe ich

Dein alter Freund
A. Fröhlich

16

MEXICO, 4. März 1922

Mein lieber Freund Fröhlich!

Ich erhielt heute Deine l. Zeilen vom 13. Februar und es freut mich, aus den darin enthaltenen Angaben zu ersehen, dass es der alten Firma O & C doch nicht ganz so schlecht gehen kann, wenn sie ein Personal von 70 Personen beschäftigen muss und der Monatsumsatz so in die Millionen geht. Drüben ist das Geld immerhin noch etwas wert und nur die aus dem Ausland zu beziehenden Waren erscheinen sehr teuer. In Wirklichkeit ist das auch nur eine Illusion. Wenn man hier allerdings in Mark zum jetzigen Kurs umrechnet, so ist man gerade kein armer Mann, aber das ist auch nur eine Illusion! Wenn die Dinge so weiter gehen, so können wir bald von lauter Illusionen leben.

Ich beglückwünsche Dich auch zur Ernennung als Vorstandsmitglied der Handelskammer recht herzlich. Es freut mich, dass man Deine Tüchtigkeit und Fleiss anerkennt. Du hast es nicht gerade leicht gehabt, in Deiner Lage Dich in die Höhe zu arbeiten und umso befriedigter kannst Du sein, dass Du das aus eigener Kraft geschafft hast. Das hätte man sich früher bei O & C nicht träumen lassen.

Die Nachrichten von drüben lauten ja sehr wenig anmutend, aber der leidige Socialismus ist eine Weltkrankheit geworden und muss sich halt austoben. Auch hier werden die blödesten Sächelchen geleistet, denn sogar die Regierung ist teilweise direct kommunistisch angehaucht. Eine Garantie ist die Nähe der Vereinigten Staaten, die sicher eingreifen, wenn es gar zu toll wird. Wir haben es nicht gerade schön heutzutage, und die mageren Jahre halten sehr lange an. Aber man muss sich damit abfinden und noch zufrieden sein, denn Anderen geht es noch schlechter.

In diesem Gedanken möchte ich Deiner Anregung entsprechen und sende Dir anbei Check über M 10000.– a/ Deutsch-Südamerikanische Bank, Berlin, als Spende für die Oberreal­schule, die Du nach Deinem Gutdünken verwenden kannst. Es soll mich freuen, wenn ich einigen Leutchen etwas helfen konnte.

Oscar Ottmann habe ich in die Agentur der Musikwarenfabrik M. Hohner, Trossingen, hier, lanciert, wo er eine ganz passable Stellung hat. Hoffentlich hält er da aus. Er ist ein braver Kerl, aber etwas unbeständig.

Sonst für heute nichts Neues. Sei vielmals gegrüsst von

Deinem alten Freund!
C. Reichert

8

[Briefkopf  der Deutschen Schule]1

MEXICO, D.F.2 8. Febr. 1915

Mein lieber Fröhlich!

Da Veracruz von der Hauptstadt fast 3 Monate abgeschnitten war, lag die ganze Post unten an der Küste. Jetzt, nachdem Carranza wieder einmal von México City Besitz ergriffen, kam 14 Wagen Post herauf, auch Dein l. Schreiben vom 19. October, das ich sogleich beantworten will: lange genug war es unterwegs.

Deine Schilderungen sind interessant, finde ich doch schon bestätigt, was uns nur in den ersten Wochen verschleiert war. Nachdem die ersten drahtlosen Meldungen über New York/Sayville kamen, lebten wir von dem Entsetzen wieder auf, das uns angesichts der ersten Kriegsnachrichten ergriffen hatte. Danach war unser Vaterland schon verloren im Hinblick auf die Macht der Feinde. Ost- & Westpreußen & die Reichslande schon besetzt, die Flotte kalt gestellt etc.! Du kannst Dir denken, wie wir darunter litten, denn wir haben hier noch apart unsere großen Sorgen zu tragen. Groß war daher unsere Freude, als die Siegesnachrichten anläßlich der Operationen Hindenburg & der belgisch/franz. Armeen kamen. Leider währte die allzu große Freude nicht lange & wir sind nun wegen der Langsamkeit der Kämpfe enttäuscht – eben, weil wir zu viel erwartet hatten. Man wird die Angst nicht los, daß wir gegen die Übermacht der Feinde auf die Dauer nicht aufkommen. Diese Bedenken finden ihre Nahrung darin, daß fast Alles gegen uns ist & nur die direkten Briefnachrichten, die Alle enthusiastisch & zuversichtlich klingen, geben uns wieder Mut.

Schade, daß man nicht recht warm wird dabei, denn Ihr drüben sprecht z.B. im September zuversichtlich von dem Fall von Verdun, der vor der Tür stehe & bis heute warten wir mit Schmerzen auf dies Ereignis. Trotz alledem haben wir aber das bestimmte Vertrauen in unser Heer & unsere Marine, daß wir den Riesenkampf mit Ehren bestehen werden, nachdem unsere Diplomatie leider Gottes sich gegenüber der unserer Feinde als unterwertig erwiesen hat. Das ist meine feste Meinung: nachdem seit 10 Jahren gegen uns gehetzt wird, mußten wir auch auf dem Plan sein. Die Zerstückelung der Türkei, die wir als natürliche Bundesgenossen zugaben & der Jammerbundesgenosse Italien, der jeden Tag über Österreich herfallen kann, sind Armutszeugnisse für die Herren Diplomaten! Es wird ja Manches nach dem Krieg an den Tag kommen & ich würde mich freuen, wenn sich herausstellte, daß ich im Irrtum bin.

Wir haben hier bei Kriegsausbruch sofort eine eigene Zeitung gegründet, um gegen die unverschämten Lügereien der Engländer anzugehen: unsere besten Argumente werden aber die Hiebe sein, welche unsere braven Soldaten austeilen! Das ist Realpolitik, die unsere Diplomatie noch nicht richtig gelernt hat. Die veranstaltete Sammlung hat unter den Deutschen ca. 180.000 $ ergeben, ferner ca. 12.000 $ für Tabaksendungen, ebensoviel für einen Bazar, abgesehen von vielen kleinen Konzerten etc., die zusammen auch einige tausend $ ergaben. Unsere jungen Leute haben leider nicht nach drüben kommen können & wurden von New Orleans zurückgeschickt. Ottmann soll in Brest sitzen: hast Du nichts von ihm gehört?

Hier ist ein anarchisches Chaos eingerissen, an dessen Entwicklung resp. Entwirrung man verzweifeln könnte. Der Kurs ist von M 2.08 bis auf ca. 60 Pfg gesunken, wodurch natürlich meine (& vieler Anderer) Hoffnungen auf eine baldige, angenehme Stellung als Rentier ins Wasser gefallen sind. Den Rest gab uns der europ. Krieg, der einen energischen Druck auf die USA ausschließt & es uns nicht ermöglicht, nennenswerte Importe zu machen. Wenn es noch einige Monate so fortgeht, müssen wir wohl zeitweilig schließen, da es sich nicht rentiert, die Gehälter weiter zu zahlen. Es ist ein elendes Gefühl, zu solchen Zeiten an der Spitze eines Hauses zu stehen, wo man mit dem besten Willen gegen die Macht der Verhältnisse nicht ankommt.

Hier in der Stadt herrscht momentan schon fast Hungersnot & die Zapatistas aus den Gebirgen südlich der Hauptstadt haben die Wasserleitung abgeschnitten, sodaß großer Wassermangel herrscht. Alle Lebensmittel sind infolge mangelnder Zufuhr auf das 3–4 fache gestiegen & da hunderttausende sengend herumziehen, statt zu arbeiten im Feld, so werden die Ernten immer weiter zurückgehen. Die USA schüren fleißig weiter, bis Mexico ihnen wie eine reife Frucht in den Schoß fällt. Da keine Aussicht ist, daß die streitenden Parteien gewissenloser Hallunken sich einigen, so ist es vielleicht die einzige Rettung, unter die Fuchtel der U.S. zu kommen. Ich sage Dir, es herrschen Zustände hier, die Ihr in Euerer Ordnung & bei der grundanständigen Verwaltung für Lügen halten würdet, wenn man sie Euch erzählte. Am Besten wäre es, wenn ein Mann wie Carranza über die Anderen Übermacht erhielte, aber das ist der Jammer, daß Alles aufeinander einhaut & keiner ist stark genug, mit den Andern fertig zu werden.

Die Lieferung nach Germersheim muß sehr interessant gewesen sein & Du hast da eine ordentliche Arbeit auf Dir gehabt. Ich erinnere mich noch recht gut an einige Details, wie vor über 20 Jahren die Verhandlungen bei O & Co stattfanden.

Wie geht es Dir und Deiner Familie? Bitte, schreibe mir bald ausführlich! Bei uns geht es wenigstens gesundheitlich gut.

Grüße mir bitte die Herren J.O., C.O. & L.O. sowie die alten Kollegen & sei Du selbst mit Familie bestens gegrüßt von

Deinem alten Freund!

C. Reichert

 

[i] [Schule der Deutschen Kolonie/(Colegio de la colonia alemana S. A.)/Direccion del consejo administracion:/Apartado 146./Direccion del director:/Calzada de la piedad, 81.] [2] Ab hier handschriftlich.

7

2. Juni 1914

Mein lieber Fröhlich!

Ich komme erst heute zur Beantwortung Deiner l. Zeilen vom 16. Dezember und zwar, wie Du nachher sehen wirst, aus einem sehr egoistischen Grunde. Ich hätte Dir gerne schon früher geschrieben, aber die Zustände sind so deprimierend hier, dass ich abwarten wollte, bis ich bessere Nachrichten geben könnte. Die Geschichte hat sich aber immer mehr zugespitzt und wer weiss, was aus dem Zauber noch wird. Die USA verfolgen da eine grosszügige Politik und werden nicht locker lassen. Ich sehe für die Staaten eine absolute Notwendigkeit darin, die Länder zwischen ihrem Territorium und dem Panamakanal unter ihre Fuchtel zu bringen und das werden sie auch früher oder später erreichen. Für diese Länder, denen man eine scheinbare Unabhängigkeit lässt, ist der Zustand auch tatsächlich der beste, denn diese Leute sind nicht fähig, sich selbst zu regieren. Der weitaus grösste Teil der Bevölkerung sind Indianer, welche weder lesen, noch schreiben können und diese Leute stehen auf der niedersten Stufe der Civilisation, wofür der Beweis die unerhörten Greueltaten sind, welche wir nun schon seit über 3 Jahren mitansehen müssen. Du machst Dir keinen Begriff, was diese traurige Bande Alles sich leistet und wenn es noch lange so weiter geht, so ist das halbe Land eine Ruine. Der geringe Prozentsatz besserer Elemente kümmert sich nur um sich und Alles andere ist ihm egal. Man redet furchtbar viel und schön, begeistert sich für das Vaterland, aber wenn es sich darum handelt, einmal Gewehrgriffe zu üben, dann zieht sich alles gleich zurück. Ich kann Dir sagen, dass ich es sehr bedauert habe, nicht vor einigen Jahren nach drüben gegangen zu sein. Statt schön zu verdienen, sitzt man nun hier und hat mehr Sorgen wie sonst was. Man kann noch froh sein, wenn nicht eines „schönen“ Tages der ganze Kramladen ausgeplündert wird und womöglich das Haus angezündet wird, wie diese edlen Patrioten das an so und so vielen Plätzen getan haben zur grösseren Ehre des Vaterlands. Uns hat die Gesandtschaft schon vor Wochen geraten, nach drüben zu gehen, aber das ist ausgeschlossen. Ich wollte die Familie und die jungen Leute wegschicken, aber sie haben opponiert und wollen aushalten. In dieser Lage sind wir und unsere einzige Hoffnung ist, dass die USA endlich Ernst machen und richtig zu kommandieren anfangen. Sympathisch sind mir die Herrschaften auch nicht, aber ich ziehe sie den hiesigen Ehrenmännern doch 1000 Mal vor.

An  H U B E R  ist nicht viel. Du beurteilst ihn richtig als „fackelig“ und das ist er auch. Er gibt sich viel Mühe, aber ist sehr nervös & zerfahren.

An der Schutzorganisation habe ich mich nur durch eine Geldspende beteiligt, denn ich wohne nicht in jener Zone, unser Geschäft zu verteidigen, ist mir wichtiger, aber wenn die Andern Spass daran haben, so mögen sie es tun. Ottmann hat sich mit einem unserer Prokuristen gezankt und ist einmal wieder ausgetreten. Er ist jetzt bei einem Agenten für amk. Artikel und ganz zufrieden. Bassler geht es sehr gut.

Meiner Familie gleichfalls und ich selbst kann gesundheitlich nicht klagen und mit dem geschäftlichen Kram habe ich mich abgefunden. Es werden auch mal wieder bessere Zeiten kommen. Ende dieses Monats tritt mein Kollege Graue von der Leitung, die er mit mir zusammen ausübte, zurück, bleibt für den Rest seines Contracts (1 Jahr) „zur Disposition“ und wird dann wohl stiller Teilhaber werden. Ich kriege dann etwas mehr Arbeit, aber es ist jetzt so wenig los, dass ich froh bin, noch Einiges dazuzunehmen [sic] zu können. Wie es mit dem nächsten Contract wird, wissen die Götter. Die Herren drüben wünschen, dass ich eine kurze Reise mache, um mit ihnen zu conferieren, aber unter den jetzigen Verhältnissen kann ich meinen Posten nicht verlassen. Dazu ist der Kurs so gefallen, dass ich meine Familie nicht mitnehmen möchte, denn das würde zu teuer kommen und allein gehen und sie jetzt hierlassen, mag ich auch nicht. Ich hätte es  allerdings nötig, auszuspannen, denn ich war seit 8 Jahren nicht mehr drüben, aber was nicht geht, geht nicht.

Wie geht es Dir, Deiner l. Frau und der Kronprinzessin? Schreibe mir auch in dem nächsten Brief etwas über dortiges Wissenswerte. Du weisst, Lautern interessiert mich immer.

Nun komme ich zu meinem Anliegen. Ich möchte gerne für meine Kinder eine Art Sparkasse machen, bezw. das was sie schon haben, in deutschen Papieren ablegen und dann immer weiter dazu kaufen. Ich sende Dir anbei einen Check über M 700,-, den ich der Einfachheit halber an die Order Deiner Firma stellte und bitte Dich, dafür durch ein dortiges Bankhaus, das auch Depositen verwaltet, 4%ige Papiere, Deutsche Reichsanleihe oder Bayr. Anleihe kaufen und diese in einer 1a Bank als Depot zu hinterlegen. Die Zinsen können immer gutgeschrieben werden und werden mit den neuen Rimessen (150–200 M pr. Mt) zum Ankauf weiterer Papiere verwandt. Ich denke, dass die Rhein. Kreditbank solche Geschäfte besorgt, bin aber mit allem einverstanden, was Du darin machst. Damit ich Dich nicht permanent zu piesacken brauche, bitte ich Dich, mich der Bank zu empfehlen und sie anzu­weisen, mir direct Anzeige zu machen. Im Voraus herzlichen Dank für Deine Bemühungen.

Ich bitte Dich, die Herren Jacob, Karl und Ludwig Ottmann herzlichst zu grüssen, ebenso die anderen mir bekannten Herren der Firma und sei selbst mit Deiner l. Frau bestens gegrüsst von

Deinem alten Freund!
C. Reichert