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Kaiserslautern, den 4. April 1927

Mein lieber Freund Fröhlich!

Dein lieber Brief vom 11. ds. Mts. kam dieser Tage in meinen Besitz, als ich krank im Bett lag und zwar an einer starken vernachlässigten Grippe, die zu einer schweren Bronchitis führte. Ich bin noch nicht ganz herge­stellt und darf tagsüber nur einige Stunden ausser Bett zubringen. Ich hoffe jedoch, dass mit Beginn des warmem Frühjahrswetters die Sache bald wieder behoben wird. Die Erkältung hatte ich schon seit An­fang des Jah­res, aber sie niemals richtig ausgeheilt, weil man sich keine Zeit dazu nimmt.

Zu Deinem 32jährigen Mexico-Dienstjubiläum gratuliere ich Dir herzlichst. Es ist in der Tat eine lange Zeit, ein Menschen­alter, welches Du im frem­den Lande zugebracht hast. Du kannst jedoch die Befriedigung für Dich bu­chen, das erreicht zu ha­ben, was Du Dir als Ziel stecktest und für Deine Kinder hast Du nunmehr das Bett gemacht. Wenn ich mein Schicksal dagegen vergleiche, dann müsste ich mich allerdings darüber aufregen, aber das ist mir nicht gegeben, denn in einer Art bin ich froh, dass ich von Ottmann-Thomas weg bin, denn ich hätte mich zu Tode geär­gert. Wenn auch bei den alten Herren Ott­mann, namentlich in den letzten Jahren, viel auszusetzen war, was mir nicht gefiel, wovon Du keine Ahnung hast und das ich Dir auch nicht schreiben möchte, so war es doch immerhin er­träglich, weil man sich sagte, die alten Herren wissen in ih­rer nervösen Krankheit nicht, was sie tun und sind nicht voll verantwortlich. … Ich bin mit 140–150 000.- MK. abgefunden worden. Davon ist ein Teil so­fort zahlbar, der grössere Teil in Jahresraten. Ich hätte zwar ruhig Teilhaber bleiben können, aber die Umfirmierung der Firma Ottmann-Thomas passte mir nicht in den Kram und hätte eine spätere Liquidation der Firma Ottmann & Co., die mir zustand, illusorisch gemacht. Die Sache kam vor das Landgericht Mannheim, das im Vortrag als zuständig erklärt war und habe ich dort den Vergleich ge­schlossen. Wäre derselbe nicht zustande ge­kommen, dann hätte es einen jahrelangen Prozess  gegeben. Vorerst lebe ich ein­mal als Rentner und da ich mich schon früher verpflichtet habe, innerhalb drei Jahren kein Konkurrenzgeschäft anzufan­gen und mich an kei­nem solchen zu beteiligen (in Mannheim, d.h. ausserhalb der Pfalz wäre mir dies sofort erlaubt und sind mir schon Anerbieten gemacht worden), will ich vorerst einmal langsam tun, um meine ziemlich heruntergekommenen Ner­ven in Ordnung zu bringen. Du hast recht, wenn Du für die neue Firma Dein Desinteresse erklärst.

Das Ansehen, welches ich für die Firma geschaffen habe, schwindet sicher­lich bald dahin und hat schon Not gelitten. In die Handelskammer bin ich trotzdem wieder gewählt worden. Auch meine übrigen Ehrenämter (Vorstandsmitglied des Nah­rungsmittelgrosshandels in der Pfalz, in Bayern und in Ber­lin, ferner Mitglied des Landeseisenbahnrates für Bayern und München etc.) behalte ich infolge Neuwahl bei.

Deine Neujahrswünsche, die ich mittels der reizenden Karte mit dem Bilde Deines lieben Enkels Veerkamp erhielt, habe ich s. Zt. erwidert und Dir ebenfalls gratuliert. Hoffentlich ist mein Brief angekommen.

Bezüglich Deiner Anregung zu einer Amerikafahrt, so schwebt mir diese Idee schon selbst einige Monate im Kopf herum, doch ist es mir in den nächsten Monaten nicht möglich, eine solche auszuführen. Ich will einmal ruhig den Sommer vorübergehen lassen und dann mit meinem Bruder in Arkan­sas in Verbindung treten, um zu hören, was dieser meint. Vorerst bitte ich Dich, Dich damit zu trösten, dass aufgeschoben nicht aufgeho­ben ist. Ich muss hier noch Verschiedenes abwarten, und dann ist auch mein augen­blicklicher Gesundheitszustand nicht der­art, dass ich eine solche Reise unternehmen kann. Dass ich während meines evtl. dortigen Aufenthaltes Dein Gast sein darf, dafür danke ich Dir verbindlichst und wenn ich mich entschliesse, die Reise zu machen, können wir ja vorher noch die Route festlegen.

Lieb wäre es mir natürlich, wenn Du Deine geplante diesjäh­rige Sommer­reise nach Europa ausführen würdest. Dann würde ich mich bestimmt einige Wochen frei machen und mit Dir in der Schweiz oder sonstwo einige schöne Tage zubringen.

Die Mexico-Politik verfolge ich stets mit grösster Aufmerk­samkeit. Es hat jetzt den Anschein, dass hinsichtlich des Kirchenkonfliktes wieder Ruhe herrscht und auch die Affäre mit den U.S.A. in Ordnung kommt. Dass Bass­ler in seinem Ge­schäft nicht prosperiert, tut mir sehr leid. Er ist in der Tat ein braver fleissiger Mensch mit gutem Charakter und es beruhigt mich, von Dir zu hören, dass er evtl. eine Stütze an Dir hat.

Deine Mitteilungen bezüglich Prinz Heinrich und seines Bru­ders Wilhelm II. interessierten mich ausserordentlich. Ich kann mir lebhaft denken, dass dieser Besuch für Dich und alle dortigen Deutschen von grossem In­teresse war und dass Du viel erfahren hast, was gewöhnliche Sterbliche im deutschen Reiche nicht wissen und je erfahren werden. Es ist heute unbe­stritten, dass der Kaiser am Weltkrieg nicht mehr schuld hatte wie die übrigen Regierungschefs auch, wenn er auch manchmal besser geschwiegen als viel geredet hätte. Seine Ratgeber hatten ein gerüttelt Maß an Schuld an dem Nieder­gang, aber die Ereignisse, die zum Unglück Deutschlands führ­ten, lassen sich nicht mehr ändern und es ist jetzt Pflicht eines jeden Deutschen, ob zu Hause oder in der Fremde, mitzu­helfen an dem Wiederaufbau unseres Vaterlandes. Die Lasten, die wir zu tragen haben, sind ausserordentlich, und ich glaube, im Verlauf der Jahre werden die kleinen Parteien und Parteichen verschwinden müssen. Schuld daran sind nur die egoistischen Führer, die im Trüben fischen wollen. Was uns die Zukunft bringen wird, wissen wir nicht und (das) ist gut so. Ich war vor dem Kriege ein ausgesprochener Monarchist und bin heute noch kein überzeugter Republikaner. Aber jedermann, welcher die Verhältnisse in Deutschland miterlebt hat und sich heute nicht persönlich um Politik bekümmert, sagt sich doch, dass in den nächsten Jahren an den bestehenden politi­schen Zu­ständen nichts zu ändern ist, weil sonst der Bürger­krieg unvermeidlich ist. Ich empfehle Dir, einmal das Buch zu lesen: „Wilhelm II.“ von Emil  L u d w i g , Verlag Ernst  R o w o h l t , B e r l i n , Ausgabe 1926, das grosses Aufse­hen erregte. Wenn es dorten nicht zu haben ist, will ich es Dir gerne schicken.

Dass Ottmann verheiratet ist, ist mir neu. Er war voriges Jahr hier, und ich konnte ihn nur kurz sprechen.

Hat sich Dein Ältester bei der amerikanischen Marine auf meh­rere Jahre verpflichtet und ist er Offizier?

Hoffentlich bist Du und Deine Familie gesundheitlich in be­ster Ordnung. Seit Januar hatte ich ausser mir ständig Kranke; meine Kinder und meine Frau waren nacheinander bett­lägrig. Das sind die Sorgen eines Familienva­ters.

Sonst weiss ich für heute nichts besonders Neues. In der Hoffnung, bald wieder von Dir hören, begrüsse ich Dich

in alter Freundschaft
Dein
A. Fröhlich

N. B. Ich bewundere Deine immer noch so jugendliche, energische und dabei überaus schöne Handschrift, die noch nichts davon merken lässt, dass der Schreiber bereits über 50 Jahre alt ist.

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den 8. 2. 1924

Lieber Freund Karl!

Dein Brief vom 18. Januar, es ist der Tag der Reichsgründung, erreichte mich gestern Abend, und da ich gerade ein Viertel­stündchen Zeit habe und in den nächsten Tagen doch nicht dazu komme, möchte ich ihn gleich beantworten. Die Angelegenheit mit Deinem Bruder betrachte ich als erledigt und bitte, Dich dar­über nicht weiter aufzuregen, denn ich bin ja nicht weiter al­teriert und wollte mich nur Dir gegenüber rechtfertigen. Die Hauptsache ist ja mein gutes Gewissen und meine Bereitwillig­keit, Dir gegenüber jederzeit gefällig zu sein, und wenn Du mich für die Folge statt zu „bitten“ zu irgend etwas „aufforderst“, geschieht es jedesmal mit Vergnügen, denn es ist doch selbstverständlich, dass man sich gegensei­tig gefällig ist, wo man nur kann.

Für Deine Bemühungen betreff St. Francisco-Adressen danke ich Dir verbindlichst. Antworten der betreffenden Firmen sind bis jetzt noch nicht da.

Sehr leid tut es mir, aus Deinem Brief zu ersehen, dass Ihr jetzt auch schlechte Zeiten durchmachen müsst. Aber ich hoffe gerne mit Dir, dass die Revolution nach Ankunft dieses Brie­fes beendet ist, denn die Zeitungsnachrichten lassen erken­nen, dass durch das Eingreifen Amerikas die Ruhe doch wieder hergestellt werden wird. Im übrigen ist es ja leider Tatsa­che, dass die ganze Welt in politischer und zum Teil auch wirtschaftlicher Beziehung auf den Kopf gestellt ist. Was wir hier augenblick­lich erleben, schreit zum Himmel und es ist nur sehr gefähr­lich, alles brieflich so zu schildern, wie man es auf dem Her­zen hat. Eine unbefugte Zensur kann grosse Un­annehmlichkeiten bringen (Gefängnis und Ausweisung).

Erfreut war ich gestern ausserordentlich, in den „Hamburger Nachrichten“ zu lesen, dass sich die Deutschen, speziell die Rheinländer und Pfälzer, in Mexiko in einer Eingabe an den amerikanischen Präsidenten gewendet haben, um bezüglich des Rhein­landes und der Pfalz Hilfe von Amerika zu erflehen. Es freut mich dies umsomehr, als ich wohl vermuten darf, dass Du an der Sache nicht ganz unbeteiligt bist. Nach den neuesten Nachrich­ten, die heute die Zeitungen bringen, scheint England doch stark zu bleiben, nachdem der engl. Generalkonsul Clive sein Material in der Pfalz selbst gesammelt hat. Unser Volk ist augenblicklich in tiefster Not und an der ganzen Tragödie ist das Traurigste, dass die Mehrzahl der Deutschen, die in ihrem Un­tertanenverstand kein politisches Verständnis haben, die Motive dieser Tragödie nicht erkennen wollen, weil sie tatsächlich zu feige dazu sind. So wird weiter gewurstelt und alle Arbeit hilft nichts, solange die Parteien und Parteien­grüppchen wie Kegel- und Kartengesellschaften für sich egoistische Politik treiben. Es ist notwendig, dass die ganze Welt etwas ethischer denken lernt im Sinne jenes Christentums, das Jesus gelehrt hat und nicht derjenigen Religion, die in diesem Weltkriege so furchtbar Fiasko gemacht hat. Der liebe alte Gott war bei jedem unserer Feinde sowohl wie bei uns selbst der erste Bundes- und Kampfgenosse. Er sollte Eng­land strafen, Frankreich vernichten und uns den Frieden brin­gen und alles ist umgekehrt gegangen. Man hat sogar von Sei­ten christlicher Pfarrer den Krieg und den Mord verherrlicht, und der Krieg ist doch nichts weiter wie ein grosses Morden, ein Morden, wie es die grössten Bestien nicht besser voll­bringen können. Ich habe für mich, der ich immer ge­recht und wahrlich christlich trotz meiner jüdischen Abstammung dachte und handelte, das Gefühl, dass es mit unserer Jugend, soweit sie nicht in das nationalsozialistische Fahrwasser kommt, doch besser wird.

Es gibt natürlich in dieser Beziehung sehr viel Arbeit. Nament­lich in der Schule. Dort muss angefangen werden, wenn nicht die ganze Kultur Europas zu Grunde gehen soll. Ich kann Dir nach­fühlen, wenn Du angesichts all dieser Verhältnisse auf einer entlegenen Insel als Einsiedler leben möchtest. Aber das geht einmal nicht. Der einzelne Mensch muss in sich selbst die ver­dammte Pflicht fühlen, mitzuhelfen, das wieder auszu­bauen, was Unglaube, Sittenlosigkeit, Raub- und Geldgier ver­nichtet haben. Im Grossen und Ganzen genommen, war der Welt­krieg weiter nichts als ein Geschäftskrieg für Grossindu­strie und Hochfinanz. Es wurde überall gesündigt. Deutschland wollte allerdings den Krieg im August 1914 nicht, hat aber doch an der Nichtverhinderung desselben ein gerüttelt Maß von Schuld, al­lerdings das Volk nicht, sondern nur der wahnsin­nige Kaiser Wilhelm II. –

Und nun Schluss für heute. Mit den besten Grüssen, auch von meiner Familie, an Dich und die Deinen, verbleibe ich

Dein alter Freund
A. Fröhlich