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Mexico, 19. März 1928

Mein lieber Adolf !

Ich schrieb Dir unterm 17. Jan. und erhielt inzwischen das Circular wegen der Etablierung des Einkaufscontors. Ich wün­sche herzlich, dass dieses Unternehmen ein voller Erfolg werde & Dir Befriedigung bringt. Letzteres ist für Menschen, wie wir, auch nötig. Wenigstens geht es mir so. Ich lasse manchmal eine gute Gelegenheit vorbei, nur, weil mir die Sa­che unsympathisch (ist). Manchmal ist das allerdings mögli­cherweise ein geschäftlicher Instinkt, dass die betr. Sache nicht klappt.

Es wird mich interessieren, gelegentlich von Dir Näheres über das Funktionieren des Contors zu hören. Gibt es eigentlich ähnliche Zusammenschlüsse auch in der Manufacturwarenbranche?

Durch Vermittlung des Püm’schen Verlags, Berlin, liess ich Dir ein Buch, Löhndorff, „Bestie von Mexico“, zugehen, dessen Lektüre Dir einige spannende Stunden verschaffen wird. Der Mann beschreibt sehr gut & vor allen Dingen wahrheitsgetreu. Es waren das tolle Zeiten & man denkt, das seien Übertreibun­gen. Aber man darf die Erzählungen ruhig als absolut inner­halb der Möglichkeiten ansehen. Der Mann muß Vieles mitge­macht haben, sonst könnte er derartige Details nicht wissen.

Wir haben dieses Jahr einen schönen Record gemacht, sowohl was Umsatz, als auch was Netto-Gewinn betrifft. Infolgedessen habe ich einen langjährigen Wunsch ausgeführt & mir einen Landsitz erworben. Es ist das die Besitzung Xalpamila, in ei­nem Vorort von Mexico gelegen, mit dem Auto in 25 Minuten zu erreichen. Es war ein Stück eines Klostergartens & enthielt eine kleine Kapelle, welche der frühere englische Gesandte hier in eine Art englisches Landschlösschens umbauen liess, unter Benutzung der beiden kleinen Kuppeln & einer Unmenge alter spanischer Kacheln, die sehr wertvoll sind. Eine 1 Ki­lometer lange, hohe Mauer umschliesst das 2 1/2 Hectar grosse Grundstück, das mehr ein botanischer Garten als sonst was ist. Trotz der Höhe Mexicos hat der Mann 8 herrliche Palmen angepflanzt, Hunderte von Obst-Bäumen, 700 Rosen & eine Menge Ziersträucher & alte Bäume, die dem Ganzen einen schönen Ein­druck verleihen. Das Haus enthält Halle, Wohnzimmer, Esszim­mer, Schreibzimmer, 4 Schlafzimmer, eine Diele, 2 Terrassen, Küche & ein kleiner Wintergarten, 2 Badezimmer etc. Das Ge­sinde, Auto & sonstige Räume (sind) im Nebenhaus. Ferner ist noch ein 3 stöckiger Aussichtsturm auf einer kleinen Anhöhe, eine Grotte, die als Lokal zum Tanzen gedacht ist (unterirdisch), sowie ein grosses Gewächs (Glas-) Haus & ein Kuhstall für 25 Kühe. Kaninchen, Tauben, Bienen etc. habe ich mitübernommen.

Ich bin nun dabei, noch Rasenflächen & ein Schwimmbassin ein­zurichten & gehe über Sonntag hinaus. Statt der Reisen nach Cuernavaca will ich nun vorerst jede 5. Woche da wohnen & komme während dieser Woche auf 2 Stunden täglich ins Ge­schäft. In einigen Jahren will ich dann ganz hinausziehen & nur vormittags arbeiten. Jetzt geht das noch nicht. Also Dein Logis ist fertig, nun mache Dich auf zu einem kleinen Mexico-Bummel, der Dir für die kommenden Jahre immer eine schöne Er­innerung bleiben würde.

Sonst geht es uns Gottlob gut, was ich auch von Dir & Deiner Familie hoffe.

Für heute bin ich mit herzlichen Grüssen stets

Dein alter Freund
Reichert

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Mexico, 17. Januar 1928

Mein lieber Adolf !

Ich erhielt Deine l. Zeilen vom 13. Dezember, deren Inhalt mir manches Interessantes brachte. Es freut mich, zu sehen, dass es Deine Verwunderung erregt, wenn ich mich noch auf meine alten Tage (ich war vor wenigen Tagen 55) in neue Un­ternehmungen einlasse. Ich war eigentlich immer ziemlich un­ternehmungslustig, ohne mich in uferlose Projekte zu verlie­ren und die Vorsicht ausser Acht zu lassen. Letzteres habe ich allerdings immer getan und dabei geriet ich manchmal in Collision mit den jüngeren Herren. Als wir durch die vielen Revolutionen und den Krieg 1919 ziemlich ausgepowert waren, setzten wir uns gleich zusammen und berieten, was wir noch unternehmen könnten. Inzwischen waren neutrale oder alliierte Häuser sehr in die Höhe gekommen und hatten uns alles abge­nommen. Da meinten die ganzen Herren, nun gehörig bestellen und wieder hinein ins Geschäft. Aber womit? Wir hatten unse­ren Grundbesitz, aber verflucht wenig Bargeld. Unsere USA und englischen, sowie französischen Kredite waren weg und von Deutschland war nichts zu bekommen. Wir hatten bei der hiesi­gen Deutschen Bank einen Kredit von 250 000 $. Ich fragte dann an, was man uns geben könne. Die Antwort war absolut ne­gativ, wie es ganz natürlich war. Sie hatten selber nichts. Da kam die Bank of Montreal und bot uns 50 000 $ an und so starteten wir wieder. Es ist leicht gesagt, fix bestellen, aber dann kommen die Riesenzölle & der zu gewährende Kredit auf lange Monate. Nun, wir gingen dann langsam vor, erhielten neue Gelder, liquidierten manches aus der Kriegszeit verblie­bene und in 3 Jahren waren wir wieder so weit, dass wir in unserem Hauptbetrieb wieder oben waren und die Konkurrenz bös zurückblieb. Unsere Associès, die vorher nicht genug heraus­ziehen konnten an Geldern, verdienten so gut, das Niemand mehr Gelder aufnehmen wollte. Ich musste also wieder suchen, was mit den schon vorhandenen und in Bälde zu erwartenden Überschüssen gemacht werden sollte, denn auf die Bank legen kann man das Geld nicht, wenn man es hoch verzinsen soll. Dann muss es arbeiten. Deshalb habe ich mich in die Eisenwa­rengeschichte hineingesteckt. Ich habe noch ein Projekt in petto, eine Wollfabrik für Strickwolle, aber nach dem Ader­lass muss ich mir die Sache noch etwas verkneifen. Ich möchte es gar zu gerne machen. Inzwischen mussten wir die Zucker­plantage übernehmen und fangen jetzt an, zu arbeiten. Klein­bahnen, Ochsen, Motorboote und alle solche Sächelchen müssen herbei, und dafür brauche ich auch Geld. Unser Betriebskapi­tal sind jetzt über 7 Mill. Mark, und ich könnte ganz gut 10 Mill. verbuttern. Da muss ich aber Geduld entwickeln, bis ich es (mir) leisten kann, denn die Hauptsache ist doch ein ge­sunder finanzieller Standpunkt. Lieber weniger verdienen. Und in einem solch unsicheren Land wie Mexico muss man extra vor­sichtig sein.

Übrigens darfst Du Dich nicht über mich wundern, Du steckt Dich ja auch wieder hinein, statt auf Deinen Lorbeeren auszu­ruhen. Ich wünsche Dir übrigens besten Erfolg dazu und glaube sicher, dass er nicht ausbleiben wird, denn Du verstehst Dei­nen Kram. Ich wundere mich immer wieder, wie die Leute bei O & C Dich haben herausekeln können. Es geschieht ihnen recht, wenn sie jetzt merken, dass das unüberlegt und unklug war. Es wird mich sehr interessieren, zu hören, wie sich die Sache weiterentwickelt. Das betr. Rundschreiben ist übrigens noch nicht eingetroffen. Vergiss es nicht, mir zu senden.

Von Vetter Loehmer hatte ich einen Brief, worin er meinte, ob ich mich noch an das deutsche Weihnachtsfest mit Tannenbaum etc. erinnere. Wir feiern es nie anders. Rings um das Thal von Mexico wachsen herrliche Tannen zwischen 3000 und 3500 M Höhe. Wir hatten dieses Jahr ein Prachtexemplar und hatten eine sehr schöne Feier. Es fehlt gegen deutsche Weih­nachten nur der Schnee. Den kann man nur sehen, wenn man von dem fla­chen Dach aus die Vulkane ansieht.

Dem jungen Wernz geht es gut, aber er schreibt wohl wenig nach Hause?

Vom Verschönerungsverein erhielt ich die Anerkennungs-Ur­kunde, die mich sehr freute. Ich habe auch an den Pfälzer Waldverein einen Beitrag gesandt. Soll man eigentlich einen der beiden Vereine vorziehen? Und welchen?

Mit meiner Reiserei wird es wohl wieder Essig, denn ich kann mit gutem Gewissen nicht weg unter den jetzigen Umständen. Ich bin ein schlechter Seefahrer und die 3 Wochen hin und 3 Wochen her sind mit ein Greuel. Wenn es man erst gute Luft­schiffe gäbe! Vielleicht komme ich dann eher ans Reisen. Mir geht es fast so wie unserem Gründer Julius Albert, dem auch das Reisen einen Schrecken verursachte.

Wenn Du gelegentlich bei Crusius vorbeikommst, könntest Du ihm mal empfehlen, er möge mir Preisliste senden von Büchern über die Pfalz, Albums etc. sowie Karten.

So, für heute muss ich schliessen. Lasse mal bald wieder von Dir hören und grüsse mir die Herren Loehmer, Wolf, Hertzog, Lieberich. Du selber sei allerbestens gegrüsst von

Deinem alten Freund
C. Reichert

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 o. D. (1927)

Mein lieber Fröhlich!

Endlich komme ich mal dazu, Deine freundlichen Zeilen vom 13. Juni zu beantworten und Dir auch dem Empfang Deiner Karte aus Interlaken anzuzeigen. Hoffentlich hast Du Dich in der Schweiz gut erholt und mit Deinem Filius schöne Tage verlebt. Ich hätte auch nichts dagegen, mal auf einige Zeit vor Anker gelegt zu sein, aber wenn ich mal so weit bin, dass der Kar­ren ziemlich läuft, kommt mir irgend eine Idee und dann gehe ich wieder darauf los und es lässt mich nicht ruhen. Dabei muss ich ehrlich sagen, es ist nicht die Absicht des Gelder­werbs, die mich lockt, es ist direkt ein Sport oder Fimmel, wie Du es nehmen willst. Ich würde mich nicht wohl fühlen, wenn ich dann nicht mit der Idee losgehen könnte.

So war ich vor einem Jahr so weit, dass unsere Finanzen leicht zu „managen“ waren, und ich verlegte das Datum unserer Bilanzen auf den 28. Februar, um im Frühjahr reisen zu kön­nen. Es war meine feste Absicht.

Da traten hier 3 Präsidentschaftskandidaten auf, und das ganze Geschäftsleben fing an zu stagnieren, denn wenn so was kommt, gibt es immer ein Revolutiönchen. (Jetzt ist es ja mal wieder so weit.) Da die meisten Häuser gar nicht darauf vor­bereitet waren und sich zu stark engagiert hatten, kamen Ver­schiedene in böse Schwulitäten, darunter auch 3 grössere deutsche Firmen. Die eine wurde gestürzt, die anderen aber kamen in gerichtliche Liquidation. Eine dieser Firmen aus der Farben, Küchen & Haushaltsartikel etc.-Branche ging sehr gut und nur die Finanzen riess das Haus um. Ich interessierte mich für den Ankauf und bot darauf. Aber man nahm das nicht an, denn der Syndikus glaubte, für die Gläubiger 100 % her­auszubekommen. Das Haus hat ca. 450 000 $. Warenlager, ein Lager an einem Bahnhof und das Geschäftsgebäude in der besten Gegend. Das Objekt ist für die heutige Lage und Geldknappheit so gross, dass schliesslich Niemand darangehen wollte. Ich entschloss mich dann zu einer Offerte, den inzwischen im Wert geminderten Kram zu 1/2 Million Pesos zu nehmen und nach lan­gem Würgen und Drücken, dem ich aber nicht nachgab, hat man uns die Geschichte zugesprochen. Ich bin nun gerade dabei, die Sache neu zu organisieren, denn es ist alles sehr ver­nachlässigt und es bedarf einiger Monate, um einigermassen auf den Punkt zu kommen, wo einem das Geschäft Spass macht. Inzwischen haben wir den Durcheinander politischer Natur, von dem Du sicher durch die Presse gehört hast. Aus begreiflichen Gründen will ich mich darüber nicht auslassen. Die Welt schreitet fort, redet immer mehr von Freiheit und Brüderlich­keit und Demokratie und dabei kommen wir immer weiter weg.

Mein Ältester ist in Nicaragua gewesen, um zu helfen, die Welt in Bezug auf jenen Raubstaat sicherer für die Demokratie und Selbstbestimmung der Völker etc., wie all der Quatsch heisst, zu machen. Nachdem die USA das besorgt haben, nahm die Flotte Richtung nach Guam, Manila und Shanghai, denn die Charlies im Far East wollen auch nicht begreifen, was Demo­kratie ist. Ich will nur hoffen, dass er eines Tages wieder gesund wiederkommt. Er ist sehr unternehmend, schreibt aber in seinem letzten Brief, nun habe er aber bald von der Welt genug gesehen.

Dem jungen Wernz geht es sehr gut. Er besucht mich ab und zu und berichtet mir Gutes über sein Fortkommen. Er ist in einer kanadischen Bank und verdient schon ganz nett.

An den alten Hoffmann erinnere ich mich sehr gut. Er war da­mals Facturist und liess sich da nichts dreinreden. Ich sehe ihn noch vor mir mit seiner Handschrift sogar. Wenn Du ihn siehst, bitte ich ihm einen Gruss auszurichten, ebenso Peter Wolff.

Durch den Besuch eines Vertreters der Pfaffschen Fabrik, Zahn mit Namen, kam ich wieder in Contact mit meinem Vetter Loeh­mer, der Prokurist von Pfaff ist, sich aber bald zurückziehen will. Ich kenne ihn persönlich leider nicht, wohl aber hörte ich viel über ihn. Er war früher immer auf Reisen und muss wohl ein tüchtiger Mann sein.

Dass Oberbahnmeister Walter starb, ist mir schmerzlich. Er war meinem Vater immer ein guter Kollege gewesen. So nach und nach merkt man, dass man alt wird, denn um einen herum bröc­kelt doch manches schon ab.

Sonst geht es uns gut. Mein kleiner Enkel macht jetzt schon viele Sonntagsausflüge mit und läuft ganz niedlich seine 2 Stunden. Dann muss er fahren oder auf seinem Vater reiten.

Für heute muss ich schliessen, wünsche Dir und Deinen Lieben alles Gute und verbleibe mit herzlichen Grüssen stets

Dein alter Freund
C. Reichert

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Mexico, 4. Mai 1927

Mein lieber Fröhlich!

Ich erhielt Deine l. Zeilen vom 4. und 12. April und las mit grossem Interesse von der Abwicklung mit der Firma Ottmann. Zuerst sprichst Du von 140ooo Mk und dann nur von 80ooo Mk: ich hoffe, dass man Dir nicht noch Abzüge gemacht hat, was man allerdings nach Allem, was Du mir über die Affaire sagst, erwarten konnte, denn Dankbarkeit findet man bei der nächsten Generation nicht. Das haben schon grosse Leute mitmachen müs­sen. Ich lese gerade den Roman von Strobl über Bismarck, die Trilogie „Runen Gottes“. Da kann man auch so Einiges von men­schlicher Dankbarkeit lesen. Geleistete Dienste werden selten oder nie anerkannt. Ich erinnere mich da an eine Anekdote von dem mexik. Präsidenten Juarez. Der hatte einen Freund, dem er viele Gefälligkeiten getan hatte. Der Kern wandte sich dann gegen ihn. Da meinte er: Es genügt meistens, jemanden einen Dienst erwiesen zu haben, um einen Feind mehr zu haben. Ganz so niederdrückend sind nun meine eigenen Erfahrungen nicht, aber einiges Üble habe ich doch erlebt.

Es ist übrigens eine grosse Anerkennung für Dich, dass Du die Ehrenämter beibehalten hast und das gibt Dir Gelegenheit, Dich gelegentlich mal an einer Sache zu beteiligen, die Dei­ner Begabung entspricht, ohne allzuviel schuften zu müssen. Ich meine, Du solltest da mal an eine Bankstellung denken, um nicht den ganzen Tag angespannt zu sein. Es ist sehr schwierig, sich seinem Alter entsprechend einzustellen. Ich bemühe mich auch innerhalb unseres Betriebs, aber da kommen Zeiten, wie jetzt gerade, wo man mehr arbeiten muss als je. Die Lage ist hier recht brenzlich und ich fürchte, sie wird sich so schnell nicht zum Guten und zur Ordnung wenden. Die Zeitungen haben Censur und als Ausländer tut man besser, seinen Schna­bel zu halten und nichts zu sagen.

Dass unter diesen Umständen an die so lange ersehnte Reise nicht zu denken ist, wirst Du begreifen. Meine Verantwortung ist zu gross & es heisst, das Steuer in der Hand behalten.

Das erwähnte Buch von Ludwig kenne ich und besitze es schon, denn ich liebe es, auch andere Meinungen zu hören. Waldersee und Zedlitz, die hohe Ehren eingeheimst haben und sich dann hinsetzten, um Dinge niederzuschreiben, die man nur im Zusam­menhang verstehen kann, sind in meinen Augen Lumpen. Und Lud­wig macht ein Geschäft daraus, einen Mann mit Dreck zu bewer­fen, dem er sicher hinten hineinkriechen würde, wenn der Krieg anders ausgegangen wäre. Sei die Sache, wie sie wolle, ein anständig denkender Mensch sollte ruhig sein, denn wenn man jetzt über den Kaiser schimpft, so sollte man bedenken, dass alle Welt ihn früher anhimmelte. Warum haben diese Tröpfe denn nicht früher ihr Schandmaul aufgerissen? Jetzt, nachdem der Mann gefallen ist, sollte man ihn in Ruhe lassen. Es ist eine recht hässliche Sache. Ich selber denke auch, dass es nicht convenieren kann, den Kaiser wieder ans Ruder zu bringen, aber man sollte doch seinen Frieden mit ihm ma­chen und nicht die Verbannung aufrecht zu erhalten. Das er­zeugt böses Blut. Ich kann mich jedenfalls nicht mit einer Republik befreunden, die auf Lügen aufgebaut ist. Alle Welt hat eingesehen, dass der Kaiser geradesowenig und geradeso­viel Schuld hatte am Krieg, wie andere auch und die November­tage 1918 enthalten viele Hundsgemeinheit. Siehe das Prinz­chen Max von Baden, dieser armselige Herr. Na, lassen wir den Kram beiseite, meinen Standpunkt sehe ich nur immer mehr be­festigt durch das, was man sieht in der Welt. Der ganze Kram geht zum Deibel mit dem Parlamentarismus und den Volksfrei­heiten.

Mein Ältester ging wieder von seinem Urlaub in die Marine zu­rück und er schrieb mir, er müsse wohl nach China oder Nica­ragua. Aber ich habe seit 2 Monaten keine Nachrichten mehr von ihm.

Ein Billet kostet Newyork-Laredo-Mexico etwa 110 Dollars. Dazu kommt Pullman. Billiger reist man mit der Ward-Line ab Newyork via Veracruz. Da Du nach Arkansas musst, conveniert es Dir, die Herreise über Newyork per Bahn über Laredo zu ma­chen und die Heimreise über Veracruz direkt nach Europa. Je nach den Ansprüchen, die man macht, kann man billiger oder teurer reisen. Das Mittel-Europäische Reisebureau oder Hapag kann Dir die näheren Preise angeben. Es wäre sehr schön, Dich mal hier zu sehen, denn es ist ein interessantes Land und mal ganz was Anderes. Mich zieht es nicht nach Deutschland, denn ich kenne vieles und heute kann es mir nicht imponieren mit seinem Parteigezänke und alle dem Quatsch, der verzapft wird. Man sollte mal die Politik 10 Jahre ausschalten in der ganzen Welt und die Hauptschweinigel bei Wasser und Brot einige Jahre gefangen setzen, damit ihnen die Hetzerei vergeht.

Wegen der mexik. Papiere kann ich Dir nichts Bestimmtes sa­gen, denn ich bekümmere mich nicht darum. Hier arbeitet fast Niemand darin und Niemand kauft heute solches Zeug. Drüben wird viel mehr darin gemacht. Ich habe eine hiesige Firma ge­beten, durch ihre Frankfurter Verbindung sich mit Dir ins Be­nehmen zu setzen, aber die Leute haben kein Interesse daran und wenn sie es tun, dann nur aus Gefälligkeit. Ich würde Dir abraten, Dich sehr damit zu befassen, denn die Lage ist zu unklar. Es haben schon Viele ihre Finger daran verbrannt. Fast einfacher ist es, rouge et noir zu spielen. Da weiss man gleich Bescheid und braucht sich nicht lange den Kopf zu zer­brechen.

So, nun habe ich für heute eine Menge zusammengetippt. Lasse bald und viel von Dir hören: Du hast jetzt mehr Zeit wie ich!

Mit herzlichen Grüssen bin ich stets
Dein alter Freund
C. Reichert

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Mexico, 11. März 1927

Lieber Freund Fröhlich!

Wenn ich das Datum 11. März schreibe, muss ich immer daran denken, dass das der Tag ist, an dem ich in unsere Firma ein­trat, heute vor 32 Jahren. Ein Menschenalter fast! Nach einigen Wochen war ich der Idee, dass es ein schweres Stück Ar­beit sein würde, meinen 3-jährigen Contract auszuhalten & wenn man mir damals gesagt hätte, ich würde es 32 fertig be­kommen, so hätte ich ihn wohl ausgelacht.

Nach dieser kleinen Reminiscenz komme ich endlich zur Beant­wortung Deiner freundlichen Zeilen vom 9. Dezbr. Meine Neu­jahrs-Glückwünsche wirst Du wohl erhalten haben? Ich wartete inzwischen auf die mir versprochene Nachricht, wie Du nun mit O & C auseinander gekommen bist. Hoffentlich einigermassen Deinen grossen Verdiensten um die Firma entsprechend. Ich habe immer noch sehr an meiner Lehrfirma gehangen, muss aber nun doch feststellen, dass Du den Bindestrich darstelltest. Nachdem alle Ottmänner, Schneider & Du abgebröckelt sind, hat mein Interesse wenig mehr übrig.

Es würde mich lebhaft freuen, wenn Du die Zeit des Wartens zu einer Amerika-Fahrt benützen würdest & ich kann Dir nur ra­ten, dann mal nach dem Aztekenland zu kommen, wo Du manches Schöne sehen wirst. Ich würde dann Urlaub nehmen, um mich Dir ganz zu widmen. Selbstverständlich würde der Aufenthalt hier Dir keinerlei Spesen verursachen.

Wir haben unser Bilanz-Datum vom 30. Juni auf den 28. Febr. verlegt, um mir Möglichkeit zu einer Sommerreise nach Europa zu geben, aber gleich im ersten Jahr – wir haben am 28. 2. Bi­lanz gemacht – geht es schon nicht, denn die Verhältnisse sind so, dass es schon fast gewissenlos wäre, jetzt das Ge­schäft liegen zu lassen. Nach ein paar guten Jahren geht es jetzt mal wieder normal hier zu & wer weiss, was die nächste Zeit bringt. Man wünschte, es käme einmal zum Arrangement oder zum Krach, aber dieses watchfull waiting ist scheuss­lich.

Du fragst, ob Prinz Heinrich bei mir war. Gewiss, ich war öfters mit ihm zusammen & er verbrachte auch einen Abend in meiner Wohnung. Er war riesig nett & wir haben ihn liebgewon­nen. Nichts von Politik, nur Patriot. Es hat ihm besonders in Cuernavaca gut gefallen, wo er in meinen Räumen wohnte. Er war so entzückt von der herrlichen Gegend, dass sein Reisebe­gleiter, Capitän Götting, hier ein Bild suchen wollte. Ich hatte ein Aquarell-Gemälde, gerade das, was er suchte, in Abendstimmung (die ich Dir hoffentlich mal zeigen kann, in natura), und als ich ihn bat, es von mir anzunehmen, war er ganz „weg“. Consul Rau, der in Veracruz noch mit ihm an Bord war, sagte mir, der Prinz habe das Bild gleich ausgepackt & es in seiner Cabine aufgehängt. Der Chef der Ozean-Linie hat ihm die Reise gestiftet. Die Gespräche mit dem Prinzen haben mir einen tiefen Eindruck gemacht & ich bin mehr als je über­zeugt, dass die Ereignisse vom Nov. 1918 nicht hätten kom­men sollen. Wir waren unter solchen Leuten besser ab, als jetzt mit dem öden Durcheinander & dem Parteiengezänk. Meine eigene Idee, früher auch etwas „rosig“, leicht liberal, haben sich bei dem hier genossenen Anschauungs-„Unterricht“ von de­mokratischen Republiken sehr entfernt. Wir haben hier dieses Jahr auf meine Veranlassung hin auch dem Kaiser zu einem Ge­burts-Tag gratuliert, in Form einer Adresse, die ohne weitere Bemerkungen einfach dem alten Herrn Glück wünschte & ich er­hielt von ihm ein Bild & Brief, sowie seine Bücher.

Ich finde das als ein Gebot der Höflichkeit. Der Mann hatte den besten Willen, war aber schlecht beraten. Und man bedenke die ungeheure Tragik, die in der Sache liegt. Schon jetzt sind alle vernünftigen Menschen einig, dass Deutschland nicht die Schuld hatte. Die Meinungen darüber, was der Kaiser im Nov. 1918 hätte tun müssen, sind sehr geteilt, ob er dann wirklich das Falsche tat, weiss man nicht, denn man weiss nicht, was gekommen wäre, wenn er nicht nach Holland ging. Ich werde jedenfalls mir die Überzeugung, dass er ein viel zu anständiger Mann für die Alliierte-Manager war & dass die Ideen sich noch sehr ändern werden, nicht rauben lassen & sein Bild hat in meinem Haus den Ehrenplatz.

Bassler hat in seinem Geschäft keine Seide gesponnen, denn er war zu gutmütig. Er verpumpte & verlor viel & es scheint, dass er liquidieren will. Ich hätte ihm schon gerne einen guten Posten bei uns gegeben, aber er will lieber frei sein. Wenn er mich braucht, werde ich gerne helfen, denn er ist ein fleissiger Mann.

Ottmann hat sich verheiratet, wie Du wohl weisst & ist noch immer Prokurist in der Firma meines Schwiegersohnes.

Mein Ältester ist wieder nach U.S.A. zurück & sollte nach China oder Nicaragua. Wo er nun hinkommt, weiss ich noch nicht. Er möchte gerne nach China. Meine beiden Anderen sind nach wie vor im Geschäft. Sonst geht es so ziemlich.

Ich erwarte also bald Nachrichten von Dir & sende Dir & den Deinen beste Grüsse, auch von den Meinen, so weit sie Euch kennen.

Stets Dein getreuer
Reichert

Der Brief vom Verschönerungsverein
folgt anbei zurück!

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Mexiko, 28. Juli 1926

Mein lieber Fröhlich!

Ich erhielt Deine frdl. Zeilen vom 10. Juni nebst den Beila­gen wegen der verschiedenen Zahlungen, die ich Herrn Brauer gezeigt habe & anbei zurücksende. Hier wird immer so viel ge­sammelt, daß die meisten Leute recht dickfällig geworden sind. Die Ansprüche sind enorm. Wir haben hier für alle mög­lichen Dinge, die die Deutschen angehen, wie Schule, Hilfs­verein, Krankenkasse, Handelskammer, Reichsverband etc., per­manent zu blechen. Dann ist hier im Land immer etwas los, wo eingegriffen werden muss. Religiöse Schulen haben wir ca. 50 Stück auf unserer Liste. Und dann hat fast jeder Verwandte drüben, die Hilfe haben wollen, wenn sie auch im umgekehrten Fall sich kaum mehr an einen erinnern könnten. Wo aber die Möglichkeit ist, denke ich gerne an meine alte, liebe Heimat.

Aus Deiner Postkarte aus Badenweiler ersehe ich, dass meine Leute bei Dir waren & Dir ein wenig von uns erzählen konnten. Ich hoffe nach ihrer Rückkehr auch über Dich etwas erzählt zu bekommen. Auch das Heft über den Nahrungsmittel-Grosshandel habe ich erhalten mit Deinem Bild als Vorstandsmitglied. Du kannst stolz auf Deine Leistungen & Dein Aufwärtskommen sein, denn Du hast das allen Quertreiberreien zum Trotz geschaffen. Ich wünsche Dir herzlich, dass Du gesund im Kreise der Deinen die Früchte Deiner Anstrengungen bis in ein hohes Alter ge­niessen kannst. Da ich nicht weiß, ob Du die Zeitschrift noch benötigst, habe ich sie Dir lieber zurückgeschickt.

Frl. Klinger ist die Tochter des verstorbenen Postmeisters, der in der Pirmasenser Strasse wohnte. Ich kenne sie von den Tanzstunden her & war mit ihr beim Tanzstundenball Vortänzer. Alte, längst verklungene, aber schöne Zeiten!

Du schreibst mir leider immer so knapp über geschäftliche Dinge, die mich, was O & C betrifft, immer sehr interessie­ren. Was Detailverkauf betrifft, so sind wir hier längst dazu gezwungen worden, ohne jedoch den Engros aufzugeben. Unser Detailgeschäft hält die Sache aufrecht & deckt die Unkosten, wenn mal der Engros durch die ewigen politischen Geschichten von Zeit zu Zeit versagt. Im Innern des Landes machten wir vor 1919 an größeren Plätzen, wo wir nichts mehr am Kunden verkaufen konnten, selber grosse Filialen auf & setzten un­sere besseren Leute hinein, um uns so den Umsatz zu erhalten. Die Revolutionen mit ihren Inflationen zwangen uns schon 1915/16, nach und nach damit abzubauen, weil wir wegen des Krieges nicht mehr nachsortieren konnten. Und jetzt sind die Dinge so, dass mangelndes Vertrauen es uns möglich macht, das Engroß-Geschäft recht gut zu forcieren. Im letzten Jahr haben wir fast 6 Millionen Mark umgesetzt, in unserem Krims-Krams schon allerhand. Unsere Konkurrenz ist ziemlich kalt ge­stellt, nachdem sie im Krieg unter Hilfe der Schwarzen Liste fast alles an sich gerissen hatte.

An Peter Barth, den Stenographie-Lehrer, erinnere ich mich sehr gut, dagegen weiss ich nicht, wo ich Zenker unterbringen soll.

Die Steingutfabrik ist ein deutsches Unternehmen, an dem wir mit Kapital beteiligt sind. Auch bearbeiten unsere 12 Reisen­den im Innern den Verkauf der Fabrik mit. Wir haben also In­teresse an dem Gang der Sache & deshalb liess ich mich breit­schlagen, den Vorsitz zu übernehmen. Daß ich den gleichen Po­sten in der hiesigen Deutschen Handelskammer übernommen habe, schrieb ich Dir, glaube ich, schon. Das mir ebenfalls angebo­tene Konsulat musste ich aber abweisen, denn ich kann nicht so vielerlei besorgen, man fühlt es doch, daß man über die 50 hinaus ist. Ich möchte mich nicht noch mehr binden, als das schon der Fall ist, sonst macht man mich „hin“. In meiner Freizeit zerstreue ich mich mit meinen Briefmarken, die mir viel Spass machen. Von ganz Alt-Deutschland fehlen mir nur noch 2 Braunschweiger, es ist also schon eine Sammlung, die sich sehen lassen kann. Im Ganzen habe ich 32000 verschie­dene, darunter ganz nette Seltenheiten.

Interessant war mir das Festprogramm der 650 Jahr-Feier von unserem alten Lautringen. Da ist doch schon manches Tröpfchen die Lauter hinuntergeflossen. Hoffentlich haben meine Leute in der Pfalz gutes Wetter, damit mein Albert die Vaterstadt seines Alten geniessen kann. Er versprach mir schöne fotogr. Aufnahmen zu machen; mal sehen, ob was daraus wird.

Und nun wünsche ich Dir, dass Dir die Kur gut bekommen ist & Du mit neuer Wut wieder ins Geschäft gestürzt bist & bin mit herzlichen Grüssen stets

Dein alter Freund
Reichert

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MEXICO, D.F., 8. Mai 1926

Mein lieber Fröhlich!

Ich erhielt Deine l. Zeilen vom 8. April, deren Inhalt mir sehr interessant war. Man hört nur so im Allgemeinen die Kla­gen über die deutschen Verhältnisse, aber ein concreter Fall, wie der Eurige, beweist die Wahrheit der Nachrichten. Wenn schon eine so bedeutende Firma, wie Ottmann & Co zu leiden hat, wie mag es erst den Anderen gehen?

Das elende Fieber der Politik und Unzufriedenheit, das durch die ganze Welt geht, hat überall bösen Schaden gestiftet und gebessert hat es nichts. Hier geht es auch wieder etwas brenz­lich, aber man gewöhnt sich nach und nach daran.

Wir selber können nicht klagen und haben voll zu tun. Aller­dings darf man nicht zu ängstlich sein und muss was riskie­ren. Ich sorge aber immer für Reserven in guten Zeiten und riskiere dann, sodass man immer Aussicht hat, weniger als die Reserven – im schlimmsten Fall – zu verlieren. Damit bin ich bisher immer noch gut gefahren, ausgenommen die Schlappen der ersten Revolu­tion, die mehr Mordbrennerei als sonst etwas war, und dann die Folgen des auch für uns fatalen Weltkriegs.

Herr Heger schrieb mir, Euer Herr Klinger wünsche einige mex. Briefmarken. Gerne sende ich Dir anbei Einiges für ihn. Ist derselbe eigentlich verwandt mit der Familie Klinger, die frü­her in der Nähe des Stadtparks wohnte? Ich correspondiere noch immer mit Frl. Marie Klinger, einer alten Tanzstunden-Bekannt­schaft, die jetzt in Berlin wohnt.

Ich werde mir vormerken, was Du mir durch Herrn Heger lies­sest sagen wegen weiterer Geld-Anliegen und werde mich vorher erkun­digen. Ich schrieb Dir fast immer darüber. Da die Bitte aber von H. Heger kam, wusste ich, dass die Sache in Ordnung war.

Gleich heute möchte ich von Deiner Intervention wieder Ge­brauch machen und umso lieber, als ich weiss, dass Du selber Spass daran hast, etwas Gutes zu tun.

Unter unserem Personal haben eine Anzahl einen Haupttreffer in der Lotterie gemacht. Ein Herr Luis Brauer erinnerte sich dann seiner deutschen Abstammung, wenn er selber auch Mexika­ner ist, und bat mich, aus seinem Gewinn den Betrag von 1000 Mark einer wohltätigen Sache in Deutschland zuzuweisen. Was könnte mir lieber sein, als es der alten Heimat zu geben? Ich bitte Dich also, Dir von u/ Berliner Contor den Betrag kommen zu lassen und ihn einer Waisenanstalt oder dergl. zuzuweisen. Auch der Pfälzer Waldverein ist mir recht. Im Namen von Luis Brauer! Hast Du Zweifel, so warte den Besuch meiner Tante und meines Sohnes Albert ab, die übermorgen nach drüben reisen. Sie werden etwa Mitte Juni von Frankenhausen aus eine Tour über Dresden, Bayern, Schweiz machen und auch Kaiserslautern einen kurzen Be­such abstatten. Leider bin ich so in Anspruch genommen, dass ich hier bleiben muss und warten, bis ich mal leichter abkommen kann. Die Zeiten sind sehr schwierig und durch die Übernahme des Postens als Vorsitzender u/ Deutschen Handelskammer und der Steingutfabrik habe ich zu meinem son­stigen Kram mir noch mehr aufladen müssen, sehr gegen meine Neigung. Die famosen beiden Excursionen von Deutschen nach Mexiko haben ein sehr minimales Resultat ergeben, und die me­xik. Studienexcursion wird auch nur eine Spazierfahrt werden. Die Deutschen Herren kamen hierher in der Annahme, Mexiko zu „entdecken“ und waren sehr erstaunt, als sie den schon ziem­lich regen Handel sahen.

Mit der Deutschen Schule habe ich nichts mehr zu tun. Ich hatte die Sache 11 Jahre und nun sollen sich mal andere amü­sieren.

Meine Verwandten werden Dich dorten also aufsuchen und Dir meine herzlichen Grüsse überbringen und Dir über mich erzäh­len.

Grüsse mir bestens meine alten Bekannten und sei selber herz­lich gegrüsst von

Deinem alten Freund!
C. Reichert

 

Anlage:
Copie Accredit, Contor Berlin.
Marken