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 o. D. (1927)

Mein lieber Fröhlich!

Endlich komme ich mal dazu, Deine freundlichen Zeilen vom 13. Juni zu beantworten und Dir auch dem Empfang Deiner Karte aus Interlaken anzuzeigen. Hoffentlich hast Du Dich in der Schweiz gut erholt und mit Deinem Filius schöne Tage verlebt. Ich hätte auch nichts dagegen, mal auf einige Zeit vor Anker gelegt zu sein, aber wenn ich mal so weit bin, dass der Kar­ren ziemlich läuft, kommt mir irgend eine Idee und dann gehe ich wieder darauf los und es lässt mich nicht ruhen. Dabei muss ich ehrlich sagen, es ist nicht die Absicht des Gelder­werbs, die mich lockt, es ist direkt ein Sport oder Fimmel, wie Du es nehmen willst. Ich würde mich nicht wohl fühlen, wenn ich dann nicht mit der Idee losgehen könnte.

So war ich vor einem Jahr so weit, dass unsere Finanzen leicht zu „managen“ waren, und ich verlegte das Datum unserer Bilanzen auf den 28. Februar, um im Frühjahr reisen zu kön­nen. Es war meine feste Absicht.

Da traten hier 3 Präsidentschaftskandidaten auf, und das ganze Geschäftsleben fing an zu stagnieren, denn wenn so was kommt, gibt es immer ein Revolutiönchen. (Jetzt ist es ja mal wieder so weit.) Da die meisten Häuser gar nicht darauf vor­bereitet waren und sich zu stark engagiert hatten, kamen Ver­schiedene in böse Schwulitäten, darunter auch 3 grössere deutsche Firmen. Die eine wurde gestürzt, die anderen aber kamen in gerichtliche Liquidation. Eine dieser Firmen aus der Farben, Küchen & Haushaltsartikel etc.-Branche ging sehr gut und nur die Finanzen riess das Haus um. Ich interessierte mich für den Ankauf und bot darauf. Aber man nahm das nicht an, denn der Syndikus glaubte, für die Gläubiger 100 % her­auszubekommen. Das Haus hat ca. 450 000 $. Warenlager, ein Lager an einem Bahnhof und das Geschäftsgebäude in der besten Gegend. Das Objekt ist für die heutige Lage und Geldknappheit so gross, dass schliesslich Niemand darangehen wollte. Ich entschloss mich dann zu einer Offerte, den inzwischen im Wert geminderten Kram zu 1/2 Million Pesos zu nehmen und nach lan­gem Würgen und Drücken, dem ich aber nicht nachgab, hat man uns die Geschichte zugesprochen. Ich bin nun gerade dabei, die Sache neu zu organisieren, denn es ist alles sehr ver­nachlässigt und es bedarf einiger Monate, um einigermassen auf den Punkt zu kommen, wo einem das Geschäft Spass macht. Inzwischen haben wir den Durcheinander politischer Natur, von dem Du sicher durch die Presse gehört hast. Aus begreiflichen Gründen will ich mich darüber nicht auslassen. Die Welt schreitet fort, redet immer mehr von Freiheit und Brüderlich­keit und Demokratie und dabei kommen wir immer weiter weg.

Mein Ältester ist in Nicaragua gewesen, um zu helfen, die Welt in Bezug auf jenen Raubstaat sicherer für die Demokratie und Selbstbestimmung der Völker etc., wie all der Quatsch heisst, zu machen. Nachdem die USA das besorgt haben, nahm die Flotte Richtung nach Guam, Manila und Shanghai, denn die Charlies im Far East wollen auch nicht begreifen, was Demo­kratie ist. Ich will nur hoffen, dass er eines Tages wieder gesund wiederkommt. Er ist sehr unternehmend, schreibt aber in seinem letzten Brief, nun habe er aber bald von der Welt genug gesehen.

Dem jungen Wernz geht es sehr gut. Er besucht mich ab und zu und berichtet mir Gutes über sein Fortkommen. Er ist in einer kanadischen Bank und verdient schon ganz nett.

An den alten Hoffmann erinnere ich mich sehr gut. Er war da­mals Facturist und liess sich da nichts dreinreden. Ich sehe ihn noch vor mir mit seiner Handschrift sogar. Wenn Du ihn siehst, bitte ich ihm einen Gruss auszurichten, ebenso Peter Wolff.

Durch den Besuch eines Vertreters der Pfaffschen Fabrik, Zahn mit Namen, kam ich wieder in Contact mit meinem Vetter Loeh­mer, der Prokurist von Pfaff ist, sich aber bald zurückziehen will. Ich kenne ihn persönlich leider nicht, wohl aber hörte ich viel über ihn. Er war früher immer auf Reisen und muss wohl ein tüchtiger Mann sein.

Dass Oberbahnmeister Walter starb, ist mir schmerzlich. Er war meinem Vater immer ein guter Kollege gewesen. So nach und nach merkt man, dass man alt wird, denn um einen herum bröc­kelt doch manches schon ab.

Sonst geht es uns gut. Mein kleiner Enkel macht jetzt schon viele Sonntagsausflüge mit und läuft ganz niedlich seine 2 Stunden. Dann muss er fahren oder auf seinem Vater reiten.

Für heute muss ich schliessen, wünsche Dir und Deinen Lieben alles Gute und verbleibe mit herzlichen Grüssen stets

Dein alter Freund
C. Reichert

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