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México, 26. November 1915

Mein lieber Fröhlich!

Ich empfing jetzt mit der kleinen Verspätung Deine l. Zeilen vom 9. Juni (5 Monate spielen bei uns hier jetzt gar keine Rolle) und brachten mir dieselben des Interessanten vieles. Hu­ber scheint nach drüben allen möglichen Quatsch geschrieben zu haben. Bei der Contributionsgeschichte war die Sache so, dass man allen Geschäften eine Extracontribution zur Linde­rung der Not aufbrummen wollte. Diese Not kommt daher, dass wir hier Mo­nate lang ohne Eisenbahnverbindung waren und keine Lebensmittel hereinkommen konnten. Nachher, als einige kurze Strecken aufge­macht wurden, haben die Offiziere das Geschäft an sich genommen und sonstige Waren nicht befördern lassen. Mais kostete z.B. in Queréatro 18 $ der Sack und hier ca 100 km entfernt, war unter 200 $ Sack nichts zu bekommen. Ferner will das edle niedrige Volk dank der demagogischen Umtriebe nichts mehr tun. Seine Miete zu zahlen, wird glatt als Verrat an der Volkssache er­klärt. Und nun sollen wir noch ungeheure Steuern zahlen, damit der Krapuelei noch mehr geschmeichelt wird und sie gar nichts mehr zu tun brauchen? Trotz alledem haben wir Ausländer hier grosse Beträge gezeichnet, dummer­weise, denn es hat nur den Zweck, den Pöbel noch fauler zu machen. Alles schreit nach Un­terstützung, aber wenn man ihnen was zu arbeiten geben will, dann gehen sie weg. Wir fremden Kolonien sind damals zusammen­getreten und haben beschlossen, Front gegen diese Übergriffe zu machen und durch 3wöchentliches Schliessen haben wir es er­reicht, dass die fa­mose Steuer abgeschafft wurde. Das war al­lerdings schon nach 3 Tagen erreicht gewesen, aber da wir gar kein Interesse am öffnen hatten, so wollte die Mehrzahl noch andere Dinge durchdrücken, die mit der Steuer gar nichts zu tun hatten. Ich persönlich war dagegen, denn nachdem wir die Haupt­sache erreicht hatten, sollte man dem damaligen Machthaber nicht so vor den Kopf stossen, ich wurde aber überstimmt.

Glücklicherweise wurde der Mann abberufen, sonst glaube ich, dass wir in anderer Weise hätten doch daran glauben müssen. Die Verhältnisse heute haben sich etwas gebessert, und ich habe die Meinung, dass der Chef Carranza wohl der Mann ist, der uns wenigstens einigermassen wieder eine gewisse Ordnung geben kann, vorausge­setzt, dass der scheinheilige Professor in Washingtonii nicht wieder seine alte Politik anfängt, immer wieder neue Aufwieg­ler gegen die Regierungspartei zu unter­stützen. Das arme Land, dem infolge meines langen Aufenthalts hier meine ganze Sympathie gehört, kommt sonst ganz auf den Hund. Leider hat die Mo­ral der Revolutionäre schon sehr ge­litten, aber wenn eine starke Hand wieder ans Ruder kommt – und Carranza hat diese Hand – dann ist zu hoffen, dass es einmal wieder besser wird.

Seit März haben wir nur bei den Tagen der verschiedenen Regie­rungswechsel, so weit dabei in den Strassen geschossen wurde, geschlossen gehabt. Seit 1 Jahr haben wir 8 mal ge­wechselt, wo­bei die einrückende Partei das Papiergeld, womit die vorige die Stadt überschwemmt hatte, anullierte. Du kannst Dir einen Be­griff machen, was das für ein angenehmes Arbeiten ist. Wir ha­ben ein Sammelsurium von Papiergeld, das eine Wissenschaft für sich vorstellt. Lese mal über die franz. Assignaten der Revolu­tion von 1789 nach und dann nehme als Vergleich die Fortschritte, welche auf allen Gebieten menschlichen Wissens ge­macht wurden. Mit dem gleichen Masstab vergrössere die Assigna­tenwirtschaft und dann hast Du noch lange keinen Begriff von dem unglaublichen Kuddelmuddel.

Durch den Kursrückgang von 2.08 auf ca 0,30 per Peso sind wir in unseren Interessen natürlich schwer geschädigt und meine Zu­kunftspläne sind ins Wasser gefallen. An ein Sichzurückzie­hen ist vorerst nicht mehr zu denken. Was will man aber ma­chen? Auch „Durchhalten“, wie drüben. Nur seid Ihr besser dran, denn Ihr wisst dorten, für was Ihr Euch in geringem Grad quält, wäh­rend wir hier machtlos und wehrlos zusehen müssen, wie nach und nach alles zu Grunde gerichtet wird.

Huber ist seit einem Monat nach New York abgereist und schrieb mir, dass er Stellung in einer Versicherungsgesell­schaft gefun­den habe. Er hatte México satt. Bassler geht es fortgesetzt gut. Er war so vorsichtig, Junggeselle zu bleiben und verdient gut, sodass ich denke, dass er sich schon ein nettes Kapitäl­chen gemacht hat. Gesundheitlich geht es mir und meiner Familie sonst erträglich, nur ich muss daran den­ken, mal wieder auszu­spannen, denn ich kam seit März 1914 nicht aus der Stadt her­aus. Man kann aber ohne Lebensgefahr kaum raus und da mein So­cius Graue ausgetreten ist, um sich der Verwaltung seines Land­besitzes zu widmen, so darf ich nicht weg. Wir sind eben daran, einen neuen Contract zu ma­chen, wonach einer der Prokuristen als Socius eintritt. Dann wäre ich etwas freier, aber man hat wenig Neigung, irgendwo­hin zu reisen, ohne dass man weiss, ob nicht mittlerweile die Bahn in die Luft gesprengt wird, was ei­nem selber auch pas­sieren kann.

Mein Schulfreund Korn hat es schon weit gebracht, er war aber auch ein hochintelligenter Mensch.

Der mir mitgeteilte Witz über die Deutschen Diplomaten hat hier circuliert und Anklang gefunden. Mittlerweile haben sie sich etwas durch die bulgarische Sache rehabilitiert. Hof­fentlich wird da später eine Besserung eintreten, wir müssen auch darun­ter Leute haben, die gerissen genug sind, sich nicht die besten Bissen vor der Nase wegfischen zu lassen. Dafür schlagen sich aber unsere Jungens (und auch die Alten) grossartig. Es ist enorm, was da geleistet wird. Wir sind ganz stolz geworden, ob­wohl Du Dir gar nicht vorstellen kannst, wie unglaublich in den Zeitungen gelogen wird. Das ist auch ein Feld, wo wir in der Welt mehr Einfluss haben müssen. Wir sind da viel zu zurückhal­tend und scrupelös.

Was macht O & C? Wie geht es Euch Allen?

Lass bald mal wieder von Dir hören und sei herzlichst ge­grüsst von

Deinem alten Freund!

Dir Bekannt.

Viele Grüsse an die Herren Ottmann. Meine Neujahrswünsche, welche inzwischen abgegangen sind, sind hoffentlich angekom­men.

[i] Krapule (franz. crapule): ,Gesindel’ [ii] Woodrow Wilson, 28. Präsident der USA (1913–1921), zuvor, seit 1890, Professor an der Princeton University.

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