Mexico, 5. April 1929
Mein lieber Fröhlich!
Ich schrieb Dir am 24. Dezember und habe inzwischen von Dir eine Neujahrskarte erhalten, für die ich noch bestens danke. Ich vermute, dass Du viel zu tun hast, weil ich noch keine Antwort erhalten habe.
Die Ansicht aus der Eisenbahnstrasse zeigt den Aufschwung, den das alte, liebe K’lautern mitgemacht hat. Da das Firmenschild Pallmann vorne sichtbar ist, so habe ich (mich) natürlich schnell ausgekannt, auch daran, dass es sonst wenige krumme Strassen in Lautern gibt, ausser dem unteren Teil der Eisenbahnstrasse.
Von Crusius habe ich nun endlich einige Preislisten erhalten und ich habe bei ihm einige pfälzische Novellen bestellt. Ich bin mit Pfalzliteratur gut versehen, denn ich hatte letzthin Gelegenheit, aus zweiter Hand Einiges zu kaufen. Auch erhielt ich einige Bücher als Geschenk von alten Bekannten.
Deine Karte trägt noch die alte Adresse Rue la Monterilla 1. Die Postadresse ist einfach CR Apartado 146. Apartado heisst Postschliessfach. Unser Strassen-Name ist schon vor 20 Jahren umgeändert worden. Die alte Strasse Monterilla heisst jetzt „Cinco de Febrero“ und unsere Hausnummer ist 3. Der andere Eingang ist 16 de Septembre 83. Beide Strassennamen sind hohe Gedenktage der Mexikaner. Es genügt also in jedem Fall mein Name und Apartado 146.
Anbei sende ich Dir einige Luftpostmarken und eine holländische 2 1/2 Guldemarke, die vielleicht im Album des jungen Fröhlich noch fehlt.
Aus den Zeitungen wirst Du ersehen haben, dass die Zustände hierzulande wieder normal sind. Es sieht nicht so aus, als ob man hier jemals ohne Revolution leben könnte. Früher hatte man wenigstens immer einen Ruf, der als Vorwand diente, um zu räubern. Diese neueste Unternehmung hat nicht einmal das für nötig gehalten. Früher ging es um Demokratie, Nicht-Wiederwahl des Präsidenten, Wirklichkeit der Volkswahl etc., alles sehr schöne Sachen, wenn man sie nämlich hat. Wir haben sie aber nicht im allerferntesten. Diese neue Schweinerei wird dem Land eine Menge Geld kosten und sie wird der Steuerschraube, über deren langsame Drehung sich hier nie Jemand beschwert hat, neuen Impuls verleihen. Namentlich die Eisenbahnen der Nordwest-Staaten haben enorm gelitten und sind vielfach zerstört. Um ihren Rückzug zu decken, haben die Rebellen viele Brücken zerstört und die Schienen aufgerollt, auch ein Zeichen des Fortschritts. Früher wurden die Schienen abgeschraubt und weggeschleppt, aber man hatte sie bald wieder und konnte sie benutzen. Jetzt spannt man eine Lokomotive vor und rollt sie so unter Feuer zusammen, dass man nichts mehr damit machen kann. Man sollte diese ganzen Kerle fassen und Jahrelang arbeiten lassen, um wieder einigermassen gutzumachen. Das wäre eine bessere, gerechtere Reparationsarbeit, wie bei Deutschland.
Nun will ich Dir noch zu Deinem Geburtstag alles Gute wünschen und hoffe, dass Dich meine Zeilen im Verein mit Deinen Lieben gesund antrafen. Herzliche Grüsse von
Deinem alten Freund
C. Reichert