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Brief an Ottmann

MEXICO, 18. September 1919

Mein verehrter Herr Ottmann!

Lange ist es her, dass ich keine direkte Correspondenz mehr von Ihnen hatte und auch heute sträubt man sich fast, zu schreiben, da man doch nicht weiss, ob die Briefe ankommen und man durch all das furchtbare Unglück, was über uns hereingebrochen ist, fast alle Freude verloren hat.

Ich hörte auf Umwegen durch meine Mutter von dem Ableben Ihres Sohnes und meines alten Freundes Ludwig und nehme an, dass meine Bitte an meine Mutter, Ihnen und der geschätzten Frau Ottmann mein herzlichstes Beileid auszudrücken, angekommen und erfüllt worden ist. Ich möchte hiermit wiederholen, wie sehr es mir leid tat, nach der Nachricht des Herrn Carl Ottmann auch noch diese Trauerbotschaft zu erhalten. Ich hoffe nur, dass Sie und Frau Ottmann diese Zeiten so gut als es überhaupt möglich, überstanden haben. Ich habe oft an Sie Alle gedacht: Sie wissen, dass ich Ihnen in alle den Jahren (es werden nächstens 25, seit ich bei Ihnen austrat) eine treue Dankbarkeit und Anhänglichkeit bewahrt habe. Ob ich noch einmal Gelegenheit habe, Ihnen das mündlich zu versichern, möchte ich nach Lage der Dinge bezweifeln, denn es verlangt mich nicht mehr, ein Land zu sehen, das sich in solcher Verfassung befindet. Wir haben hier 10 Jahre Revolution mitgemacht und sind damit noch lange nicht fertig, aber das geht doch nicht so tief, wie wenn es zu Hause passiert. Auch ist meine Lage stark verändert, denn wir haben durch unsere Anlagen in Mark schwere Schläge bekommen. Da heisst es, sein Kreuz wieder aufpacken und weiterarbeiten und den schönen Träumen von Ausruhen Valet sagen.

Inzwischen habe ich auch meinen Socius Reith verloren, der im Februar starb, nachdem ich ihn zum Socius gemacht, um mich zu entlasten und einen Nachfolger zu haben. Wahrscheinlich wird nun Herr F. Albert wieder herauskommen, und wir müssen sehen, wie wir uns arrangieren. Wir müssen angesichts der veränderten Verhältnisse eine Newyork-Niederlassung haben und einer von uns wird dahin gehen, während der Andere hier in México bleibt. Ob Herr F. Albert die hiesige Leitung, die ungleich schwieriger ist, acceptiert, bleibt abzuwarten, ich für mein Teil möchte sie gerne los sein, denn es ist reichlich viel geworden, wegen der Vielfältigkeit unserer Unternehmungen, denn die letzten Jahre haben uns gezwungen, uns wieder mehr dem Bankgeschäft zu­zuwenden, neben einem landwirtschaftlichen Betrieb, der aufgenommen werden muss, sobald die Zustände es erlauben und unserer industriellen Betätigung. Unter diesen Umständen habe ich die Stellung als Vorsitzender des Verwaltungsrats der D. Oberrealschule aufgeben müssen. Das Generalkonsulat bin ich durch den Krieg losgeworden, aber es blieb immer noch zuviel.

Mein Ältester ist auf einer Kaffee-Plantage an der Grenze von Guatemala, mein Töchterchen, die jetzt 18 ist, ist in der Unterprima und beabsichtigt, Medizin zu studieren. Die Zwillinge, bald 17 alt, traten nach Erlangen ihrer Primareife in die Kaufmannschaft, der Eine bei uns, der Andere bei der hiesigen Vertretung der Farbenfabriken Bayer/Elberfeldii. An den Kindern sieht man, dass die Jugend weg ist.

Meine Tante Hedwig ist noch bei mir und gesundheitlich können wir nicht klagen. Ich muss mich wundern, dass ich die letzten 6 Jahre ohne Urlaub ausgehalten, denn es ging manchmal etwas toll her.

Meine Mutter scheint einen schweren Anfall von Rheuma gehabt zu haben und ich habe sie sehr gebeten, doch nach hier zu kommen, aber sie scheint keine Lust dazu zu haben. Dagegen erwarte ich einen Sohn meines Bruders aus Ludwigshafen, der bei uns eintreten soll. Auch ein Sohn des Postassistenten Matias Reichert aus Kltrn, der in Freiburg studierte, will umsatteln und herauskommen.

Geschäftlich sind wir natürlich ausserordentlich schwer mitgenommen worden und Alles ist verändert, sodass wir wieder neu aufbauen müssen. Das wird eine Menge Arbeit geben, aber das wäre auszuhalten.

Wie geht es nun Ihnen? Was macht die Firma? Hoffentlich höre ich bald Näheres von Ihnen, denn O & C ist mir immer noch eine hochinteressante Sache. Ich bin begierig, zu hören, wie Sie die Verhältnisse überstanden haben und was Sie für Pläne haben. Ist Fröhlich noch bei Ihnen? Ich habe von ihm auch schon lange nichts mehr gehört.

Für heute schliesse ich mit der nochmaligen Versicherung meines tiefen Beileids für Ihre Verluste und herzlichen Grüssen und Wünschen für Ihr Wohlbefinden.

Ihr Sie stets verehrender
C. Reichert

Darf ich Sie bitten, auch den Herren Beamten der Firma meine besten Grüsse zu übermitteln?

 

Geschäftshaus der Fa. Ottmann & Co. in der Glockenstraße in Kaiserslautern, wo sich Fröhlich und Reichert kennenlernten. Hinter dem mit x bezeichneten Fenster stand ihr gemeinsamer Arbeitstisch.

 

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México, 8. März 1913

Mein lieber Freund Fröhlich!

Ich erhielt Deine lieben Zeilen vom 17. pti, also am Tage bevor der hiesige Rummel zu Ende ging. Ich erhielt schon einige Zeitungsausschnitte aus Deutschland, worin die unglaublichsten Dinge erzählt werden, was hier Alles passiert sein soll. Es war ja auch schauderhaft und einfach unerhört. Das Regime des Hallunken Madero stank schon zum Himmel und lange konnte es so nicht mehr fortgehen, denn diese Bande hat entsetzlich gewirtschaftet und die Staatsfinanzen auf den Hund gebracht. Man macht sich im Ausland keinen Begriff von der Schweinewirtschaft, die eingerissen war. Es war höchste Zeit, dass es zu Ende ging mit Madero & Co und man hat gründlich fortgeräumt.

Es ging am 9. Febr. früh an. Wir wohnen direct dem Palast gegenüber an der grossen Plaza, woran auch die Kathedrale liegt. Man hatte Nachts Maschinengewehre in die Türme geschafft und schoss darauf los, was das Zeug hielt. Die ersten Schüsse gingen schon in unsere grossen Wasserbehälter, die auf dem flachen Dach sind, 10 Stück, wovon die beiden grössten sofort durchlöchert wurden und ihr Wasser über ein Glasdach ergossen. Sonntags ist fast Niemand im Geschäftshaus, und da ich fürchtete, dass unser Wasservorrat auslaufe (die Wasserleitung ist das erste, was diese Kerle abschneiden), so musste ich aufs Dach, um die intakten Behälter abzustellen. Eine etwas ungemütliche Affaire.

Dann zog sich Felix Diaz, da er den Palast nicht nehmen wollte, nach dem Arsenal zurück, eroberte dies mit leichter Mühe und verschanzte sich in den umliegenden Strassen, bevor Madero wusste, wie ihm geschah. Leider blieben die Truppen dem Kerl treu und so kam es, dass die Entscheidung sich so lange hinzog. Wir waren 12 Tage eingeschlossen, denn da wir direct im Centrum wohnten, glaubte ich meine Wohnung nicht verlassen zu dürfen, obwohl die Vorstädte ganz sicher waren. Meine Familie wollte mich nicht allein lassen, es musste auch schlimm kommen, wenn wir in Gefahr geraten sollten. Die beiden Gebäude sind 5 und 6stöckig und in Gefahr waren nur die oberen Stockwerke.

In den ersten 2 Tagen hatte man etwas Bedenken, oben zu sein, und wir hielten uns im Geschäft auf, dann sahen wir aber, dass es nicht so schlimm war und blieben ruhig oben. Alle 2 Tage holten wir, wenn die Schiesserei etwas aufhörte, die Post und mit 4 jungen Deutschen, die auch im Geschäft wohnten, wurde gearbeitet. Über uns platzten viele Shrapnells, welche auf den Palast geschossen wurden. Aber Du machst Dir kein Bild, 12 Tage und Nächste [sic] diese haarsträubende Schiesserei, besonders der Maschinengewehre. Der Sachschaden ist enorm und geht in die Millionen. Ca 1200 Menschen, darunter viele neugierige Civilisten, kamen um, die Verwundeten nicht gerechnet.

Meine Tante nimmt eine Kollection Fotografien mit, die sie drüben zeigen kann. Da kannst Du einmal sehen, was geleistet wurde. Vor einigen Tagen wurde Madero und der Vicepräsident nach dem Strafgefängnis überführt & und man machte einen Befreiungsversuch, wobei diese beiden Verbrecher an ihrem Vaterland ihre edlen Taten mit dem Leben büssen mussten. Das klingst zwar brutal, aber es ist das Beste, was passieren konnte. Nur so kann es bald Frieden und Ordnung geben. Die neue interimistische Regierung ist gut zusammengestellt, und wir haben die Hoffnung, dass wir jetzt rasch wieder in bessere Bahnen kommen.

Für das Geschäft ist dies natürlich schlimm, aber was will man machen. Mit dem Millionärspielen wird es auf diese Weise nichts, glaube auch nicht, dass ich so viel Ehrgeiz habe. Ein bisschen weniger tut es auch.

Anbei sende ich Dir einige Marken.i Wenn Du mehr haben willst, sage es nur. Wer sind eigentlich die jungen Leute, welche sich etablieren? Kenne ich sie?

Ich hoffe, bald wieder von Dir zu hören. Grüsse mir bestens die Herren der Firma, ebenso Deine werte Frau und sei herzlichst gegrüsst von

Deinem alten Freund!
C. Reichert

Bassler & Ottmann geht es gut. Ottmann geht jedenfalls im Spätjahr zu Besuch nach Deutschland.

[i] Briefmarken 

Die beiden Gebäude links und rechts der Av. Francisco I. Madero, an der Calle 5 de Febrero, gehörten beide zu Reicherts Firma. Sie liegen an der zentralen Plaza de la Constitucion, rechts der Kathedrale und gegenüber dem damaligen und heutigen Präsidentenpalast.

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Mexico, 21. Januar 1913

Mein lieber Freund Fröhlich!

Ich erhielt Deine liebe Karte aus Florenz, von Deiner Hochzeitsreise und freute mich darüber ganz besonders, denn dass Du bei einer solchen Reise an mich gedacht hast, ist Dir hoch an­zuschlagen.

Ich hoffe, dass Dir als altem Reiseerfahrenen unter so angenehmen Begleitumständen die Italientour recht gut gefallen hat und verfehle nicht, Dir nochmals recht herzlich Glück zu wünschen, Dir und Deiner geschätzten Lebensgefährtin, welche ich bei meiner nächsten Reise kennen zu lernen hoffe. Allerdings weiss ich noch nicht, wann ich mich mal wieder los reissen kann. Vor der Hand wird meine Tante, welche nun über 6 Jahre hier ist, mit meiner kleinen Tochter eine Erholungsreise nach drüben antreten, und zwar Mitte März. Sie wird im Laufe des Sommers auch nach Lautern kommen.

Leider kann ich nicht weg, denn meine Associe ist seit September in Paris und Südfrankreich und wird wohl noch ein paar Monate wegbleiben. Er wollte in Paris unsere Modeeinkäufe besorgen, musste aber gesundheitshalber darauf verzichten und mir telegrafieren, dass ich schleunigst einen der Prokuristen sende. Nun habe ich aber eine andere als die früher übliche Politik, möglichst viel Oberpersonal zu haben, befolgt und schon seit Jahren darauf hingewirkt, die „Gewalt“ mehr zu centralisieren. Aus 3 Teilhabern und 4 Prokuristen sind jetzt 2 und 2 geworden und nun will es der Zufall, dass wir hier oben gerade 1 Chef und 1 Prokuristen haben. Du kannst Dir denken, was da Einem Alles vor die Flinte kommt. Dazu noch bei der gar nicht enden wollenden Revolution.

Die Geschäfte des verflossenen Jahres waren recht zufriedenstellend, wenn auch nicht glänzend, denn man hat gegen Mexico in Europa und den USA ein grosses Misstrauen, was uns, die wir das Vertrauen nicht benötigen, in den Stand setzt, mit unseren Capitalien besser wirtschaften zu können.

Vor einigen Tagen starb die Schwiegermutter meines Socius, der nun ein grosses Kapital (ich taxiere es auf 1 Million) erbt und dann natürlich etwas Besseres zu tun haben wird, als Litzchen zu verkaufen. Dann tritt für mich die Notwendigkeit heran, noch länger hier tätig sein zu müssen. Ich hatte gedacht, mit der jetzigen Contractperiode zurückzutreten, aber es wird schwerlich gehen, denn unsere Kapitalisten drüben werden mich jedenfalls halten. In dem Fall möchte ich aber nächstes Jahr, wenn es irgend geht, eine kurze Europareise machen und es wird mich sehr freuen, einmal wieder das alte Lautringen zu sehen.

Zu Hause geht es uns gut. Meine Mutter fühlt sich wohl, ob sie aber für einige Jahre noch hier bleibt, bezweifle ich, denn ihr fehlt das deutsche Leben. Die Kinder machen gute Fortschritte, und ich könnte ganz zufrieden und glücklich sein, wenn ich nicht manchmal an mein eheliches Pech dächte. Na, es muss jeder Mensch eine Stelle haben, wo ihn der Stiefel drückt.

Was macht O & C ? Ich hoffe bald einen langen Brief von Dir zu erhalten, voll von Neuigkeiten. Grüsse mir vielmals die alten Freunde und Bekannten von der Firma und sei selbst herzlichst gegrüsst von

Deinem alten Freund!
C. Reichert

Der Brief Reicherts vom 21. Januar 1913. Reicherts schrieb fast alle seiner Briefe mit der Maschine und benutze stets Vorder- und Rückseite des Blatts.