Mexiko, 4. April 1911
Lieber Fröhlich!
Ich erhielt Deinen l. Brief vom 3. und 22. pti und danke Dir zuerst für Deine Glückwünsche. Wenn ich nur wüsste, wer mir das eingebrockt hat!! Ich wäre Dir für eine Richtigstellung sehr verbunden, denn ich erhielt von allen möglichen Seiten Zuschriften und werde darin so gewissermassen als Schullehrerassistent gefeiert, der seinen Piepmatz sich abgesessen hat. Ich bin in allererster Linie Kaufmann und das will ich bleiben. Mein Metier ändere ich nur in das des Rentiers um und es tut mir leid, dass der Artikel so undeutlich ist. Du selbst kannst meine Stellung der Schule gegenüber nicht verstehen, wie sollen das die anderen ehemaligen Schulkollegen!
Also ich sende Dir anbei eine kurze Notiz, die ich Dich bitte, der „Presse“ mitteilen zu wollen. Wenn schon diese Herren von einem alten Landsmann Notiz nehmen, so sollen sie es wenigstens richtig tun. Sonst denken sie ja wohl in Bayern nicht an die Staatsangehörigen. Die Reichsregierung ist darin entgegenkommender und sucht nationale Bestrebungen im Ausland zu stützen und anzuerkennen. Ich dachte es mir s. Zt., weil bei mir angefragt wurde, ob ich noch bayerischer Untertan sei, das alte Vaterland, d.h. das engere, würde sich meiner erinnern, das war aber ein kleiner Irrtum.
Die Sache liegt so: Unsere Realschule wird durch freiwillige Beiträge seitens der Kolonie, besonders durch die ersten deutschen Geschäftsfirmen gehalten, denn die Schülerbeiträge reichen nicht aus. Auch zahlt die Reichsregierung einen hohen jährlichen Beitrag (momentan M 16000). Den Verwaltungsrat, der dem Reich gegenüber als Behörde figuriert, bilden 5–6 Chefs der ersten Firmen. Ich bin seit 3 Jahren Mitglied des Verwaltungsrats und führe die Geschäfte mit dem Titel „Verwalter“. Gleichzeitig bin ich 2. Vorsitzender des Verwaltungsrats. Es sind natürlich Ehrenämter. Ich übernahm mein Amt, als die Schule in grosser Gefahr war, infolge finanzieller Nöte zu stranden und mit vieler Mühe gelang es mir, sie wieder flott zu machen. Aus diesem Grund verlieh mir die Reichsregierung den Orden. Ein Vergnügen ist die Verwaltung nicht und compliziert ist der Zauber auch, da man sich auch dem technischen Teil natürlich etwas widmen muss. Ich war vor einigen Tagen in der Commission zur Prüfung der Einjährigen,i die 5 Mann hoch bestanden.
Es wäre mir lieb, wenn meine Lauterer Bekannten wüssten, dass ich dieses Ehrenamt verwalte neben meiner Haupttätigkeit als Chef unseres Hauses. Der Name „Calzada de la Piedad“ ist die Strasse, wo sich die Schule befindet.
Also tue mir den Gefallen und berichtige das. Solltest Du der Verbrecher des Artikels sein (was ich mir gar nicht denken kann, denn Du bist ein besserer Kenner der Verhältnisse), so sehe ich es als verdiente Strafe für den Artikel an, nun diese Richtigstellung zu veranlassen. Warst Du es nicht, desto besser, dann tust Du mir wohl den Gefallen, nicht wahr?
Die Verhältnisse hier sind recht eigentümliche, aber man wird aus alle den übertriebenen Nachrichten gar nicht klug. Das bisherige autokratische Regiment erlebt nun seine Früchte und der Brotkorb wird etwas niedriger gehängt. Es ist aber, bis jetzt, lange nicht so schlimm, wie es gemacht wird und eine grosse geschäftliche Schädigung ist noch nicht stark zu merken. Wohl aber wird das kommen, wenn es noch eine Zeit lang so andauert. Und es hat ganz den Anschein.
Für Deine Bemühungen wegen des jungen Mannes nochmals meinen Dank. Ich werde die Cigarretten im Gedächtnis behalten. Deine Lokalnotizen interessieren mich sehr und ich bitte Dich, sie von Zeit zu Zeit fortzusetzen, aber ein wenig ausführlicher.
Für die dem Bürgermeisteramt gegebene Auskunft besten Dank. Sollte sich solche wirklich auf den Orden beziehen?
Bassler geht im Mai für kurze Zeit nach Hause und kommt jedenfalls auch nach Lautringen. Er hat sich in ein ganz warmes Nest gesetzt und wird sicher vorankommen, denn es ist ein gutes Geschäft.
Meine Stiefmutter wird sich Ende ds. Mts. nach hier auf den Weg machen, um bei mir zu bleiben. Es könnte sein, dass sie wegen der Erhebung der Pension nicht weiss, wem da Vollmacht geben. Ich habe ihr gesagt, wenn sie Auskunft brauchte, solle sie sich an die Firma O & C wenden! Wenn Ihr etwas für sie tun könnt, bitte ich Dich darum.
Für heute schliesse ich und bin mit herzlichen Grüssen
Dein alter Freund
C. Reichert
i Die Mittlere Reife, so genannt weil sich mit diesem Schulabschluss der ansonsten dreijährige Wehrdienst auf ein Jahr verkürzte.