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o. D. (1928)

Mein lieber Freund Fröhlich!

Sehr viel Interessantes brachten mir Deine l. Zeilen vom 26. Mai. Es ist mir immer lieb, etwas von Lautern zu hören und das geschieht nur durch Deine Vermittlung, seit meine Verwandten weggezogen sind. Meine Stiefmutter und deren 2 Schwe­stern wohnen in meinem Häuschen in Frankenhausen und es geht ihnen, von den Beschwerden des Alters abgesehen, erträglich.

Dein Freund Reiling hat es ja weit gebracht, aber er war im­mer ein tüchtiger Mensch und hat zur Stange gehalten. Im Aus­land wird in den Geschäften viel häufiger gewechselt, schon weil man sich so schnell wie möglich nach Deutschland zurück­zieht. Viele setzen sich für eigene Rechnung auf oder gehen unter durch Trunk oder dergl. Es mutet einen eigen an, zu le­sen, dass Wolf und Hertzog immer noch bei Eckel angestellt sind. Wir haben bei uns allerdings auch 6, die über 26 Jahre in der Firma tätig sind.

Dass Du mich als „Schlossbesitzer“ titulierst, ist doch etwas sehr stark aufgetragen. Das Haus ist allerdings im Styl eines englischen Landschlösschens gebaut und präsentiert sich ziem­lich vornehm. Auch der Garten wird von manchen Besuchern „Park“ geschimpft, aber die ganze Geschichte kostet mich auch nicht mehr, als wenn ich mir in der Stadt ein bescheidenes Haus gebaut hätte. Bescheiden natürlich im Verhältnis gesagt, denn ich will nicht leugnen, dass man mich für wohlhabend an­sieht und dass das auch stimmt. Gegen Rockefeller oder Morgan bin ich aber trotzdem ein armer Schlucker. So ist alles auf der Welt nur relativ.

Herr Heger, einer der alten Ottmannianer, hat mir Broschüren des Pfälzer Waldvereins geschickt anlässlich der Jubiläums-Festlichkeiten, zu denen Heger ja den Prolog dichtete. Ich dachte gar nicht, dass er so poetisch veranlagt ist. Das Ge­dicht ist wirklich nett gemacht. Gerne werde ich hie und da zu den beiden Vereinen etwas beisteuern.

Die Preislisten der Buchhandlung Crusius sind übrigens nie eingetroffen: vielleicht hat er sie gar nicht geschickt.

Dass O & C eine Garage aufmachten, kann ich gerade nicht als ein sehr gutes Zeichen ansehen. Die jungen Herrschaften haben auch ihre Zeit nicht begriffen und sich bei Zeiten umge­stellt. Das was Du in Scene gesetzt hast, hätten sie ja auch machen können.

Mit Deiner neuen Unternehmung erklärst Du die Unmöglichkeit, jetzt zu reisen. Nun, das musst Du dann auch bei mir gelten lassen. Im Vorjahr bot man uns das Eisengeschäft Sirena an, aber da infolge gerichtlicher Schikanen ein Abschluss nicht zu erzielen war, zog ich unsere Offerte zurück. Ich ging dann an den Ausbau einer anderen Idee, die mich schon lange be­schäftigt, die ich aber der Finanzen wegen nur Schritt für Schritt ausführen kann. Wir haben einen Kundenkreis im En­gros-Geschäft (nach dem Innern des Landes liefern wir NUR an Wiederverkäufer) von etwa 4500. 90 % davon führen ausser Sei­den und Baumwollwaren noch Kleineisen, Küchensachen, Geschen­kartikel, Papierwaren etc. Also man kann da fast Alles krie­gen, was in den kleinen Orten von sehr einfachen Leuten gebraucht wird. Ich möchte nun dahin, den Leuten Alles liefern zu können, was sie verkaufen. Nachdem sich die Sache mit der Sirena zerschlagen zu haben schien, ging ich also auf dem er­wähnten Wege einen Schritt vor und nahm neue Artikel auf. Hier muss man rechnen, dass man von dem Tag an, wo drüben die Ware bezahlt wird bis zu dem Tag, wo sie hier wieder bezahlt wird, ein ganzes Jahr braucht. Ich habe auf diese Weise in die Erweiterung etwa 400 000 $ hineingebuttert. Nachdem ich mich so engagiert hatte, kam der Syndikus der Sirena-Sache, der Prokurist der Deutschen Bank hier ist und meinte, die Sa­che wäre nun so weit. Ich sagte ihm, nun habe ich kein Geld mehr dazu. Warum gingen Sie nicht rascher ins Zeug? Die Bank hat uns dann das Geld (1 Million Mark) zu billigem Satz angeboten, und wir haben das Geschäft dann doch gemacht. Ich hoffe, es aus dem Gewinn der nächsten Jahre bald abdecken zu können.

Unser Geschäft ist dadurch stark erweitert worden und nun kann ich an eine längere Abwesenheit vorerst nicht denken.

Ich sandte Dir schon unser neues Circular, das eigentlich nichts Neues bringt, sondern Alles beim Alten lässt. Mit un­serem Kommerzienrat hatte ich schriftlich einen bösen Tanz, denn er dachte wohl, nun könne er auftrumpfen, weil ich mich in der Sirena-Sache stark engagiert habe. Darauf war ich aber vorbereitet, denn ich hatte von einem Bekannten eine Offerte, das gesamte Guthaben unseres hohen Herrn einzuschiessen und ihn auszuzahlen. F. Albert kam dann hierher und tat so, als ob er kein Wässerchen getrübt hätte und in einigen Minuten war er conform, dass Alles seinen Weg weitergehe. Wie Alles eine gute und eine schlechte Seite hat, so brachte mir der Zwist auch einen Vorteil, denn ich war in meinen Entscheidun­gen an die Einholung seines Einverständnisses gebunden und das habe ich nun geschafft.

Sonst geht es uns gut. Wir haben zwar immer den gewohnten Durcheinander, wählen Präsidenten und murksen sie dann wieder ab, aber das ist so Sitte und man gewöhnt sich daran.

Für heute schliesse ich, hoffe bald wieder von Dir zu hören und sende Dir im Verein mit den Meinen herzlichste Grüsse.

Stets Dein alter Freund
C. Reichert

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