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MEXICO, 5. Oktober 1928

Mein lieber Freund Adolf!

Ich schrieb Dir zuletzt am 10. August und erhielt inzwischen eine Karte aus Tegernsee und Deine l. Zeilen vom 23. Aug.

Oft habe ich in diesen Tagen an Lautern gedacht, denn der Vertreter von Pfaff ist augenblicklich hier und hat Schwie­rigkeiten mit dem von ihm bestellten hiesigen Lagerhal­ter, einer Eisenwarenfirma, die in letzter Zeit mit ihren Fi­nanzen etwas Durcheinander geraten ist. Man hat mich nun zum Schied­richter erwählt, wie Du wohl aus Erfahrung weisst, ein Pöst­chen, wo man viel Zeit verliert und es dann schliesslich Kei­nem Recht macht.

Mitte September sandte ich Dir eine Serie von Ansichten aus meinem Gartenhaus, die hoffentlich in Deinen Besitz gelangt sind. Es ist eigentlich zu fein für einen alten Heringskrämer, aber die Geschichte kommt mich nicht teurer, als ein Haus hier in der Stadt, wie es meiner Lage angemessen wäre. Dass ich gerade für einen solchen Besitz Neigung hatte, der heute schwer an den Mann zu bringen ist, ist eben mein Vor­teil dabei. Die Leute wollen sich heute amüsieren und bei der Stadt sein mit Theatern, Restaurants etc., und das liegt mir nun gar nicht. Ich will meine Ruhe haben, wenn ich aus der Tretmühle komme und da draussen ist es herrlich ruhig. Sitzt man oben auf dem Turm mit seiner prachtvollen Fernsicht, dann hört man nichts und sieht desto mehr. Ich wünschte nur, Du könntest das mal ansehen. Die Fotos sind nummeriert. Ich glaube aber, dass ich die Liste vergessen habe einzuschlies­sen und füge noch eine solche bei.

Ferner sende ich Dir eine mexik. Luftpost-Marke auf Couvert und eine Tschechische 5-Kr.-Marke für die Sammlung Deines Fi­lius.

Politisch hat sich unsere Lage nach dem Präsidentenmord fast nicht geändert. Wir haben nun einen provisorischen Präsiden­ten für 14 Monate erwählt, einstimmig, obwohl einige Tage vorher an den Mann noch Niemand gedacht hatte. Er wird sein Amt wohl im Sinne des jetzigen Mannes verwalten, der ihn mit 277 Stimmen in der Kammer gewählt hat. Es war Niemand dage­gen. Demokratie!!

Da Niemand weiss, was kommt, hat Alles Angst, und die Ge­schäfte sind seit August verheerend. Es kriselt überall, was mir selber wenig angenehm ist, denn nach Übernahme des Farb- und Eisenwarengeschäfts (so wie Pallmann etwa) habe ich auch zu knacken. Dazu ist einer der Associés nach Europa und unser neugebackener Prokurist hatte nichts Eiligeres zu tun, als eine Erholungsreise nach den Ver. Staaten anzutreten. Ich glaube, ich hätte die Erholung nötiger gebraucht. Aber man ist nun mal ein gutmütiges Arbeitstier.

Den Herrn v. Schubert erinnere ich noch gut, wenn ich auch wenig mit der Gesandtschaft verkehre. Die Herren wechseln zu oft und so wird man mit ihnen doch nicht „warm“.

Dein letzter Brief hat sich mit dem meinigen gekreuzt. Ich werde nun warten, bis Du auf mein Heutiges schreibst.

Inzwischen sende ich Dir herzliche Grüsse und bin stets

Dein alter Freund und Kampfgenosse
C. Reichert

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