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den 21. April 1923

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Lieber Freund Reichert !

Ich war jetzt beinahe zwei Wochen in München und Nürnberg, wo­selbst ich als Vertreter der pfälzischen Lebensmittel-Großhänd­ler verschiedenen Sitzungen beiwohnen musste. Gestern Abend kehrte ich zurück und fand Deine beiden Briefe vor. In der Zwischenzeit kam auch von Pforzheim die Kette und ich sage Dir meinen aufrichtigen und verbindlichen Dank. Letztere fiel sehr schön aus und wird von mir solange ich lebe in Eh­ren und in gutem Andenken an Dich getragen. Als kleine mini­male Gegenlei­stung schicke ich Dir anliegend einige Aluminium Geldstücke, die bei uns vor einiger Zeit ausgegeben wurden, jetzt aber nicht mehr zu haben sind und als Rarität gelten. Dieselben wer­den in Sammelkreisen sehr gesucht. Ich füge fer­ner ein zweihun­dert-Markstück bei in Aluminium, woran man er­sehen kann, wie arm wir geworden sind. Das Stück wird für Deine Kinder beson­ders Interesse haben, und ich hoffe im Üb­rigen, dass es mir später einmal vergönnt ist, alles wieder gut zu machen und mich weiter erkenntlich zeigen. Was ich bis jetzt für Dich getan habe, geschah gerne, wie ich auch für die Zukunft immer zu Dei­ner Verfügung stehe. Mein Franzl lässt ebenfalls für die Marken vielmals danken.

Wenn Du mich bezüglich eines Hausbaues in Frankenhausen  ge­fragt hättest, dann hätte ich Dir von vornherein schon sagen können, dass dies ein teures Unternehmen gibt, denn man kauft allgemein in Deutschland die Häuser mit einem Multiplikator von 1000 auf den Friedenspreis, eher noch etwas billiger, während beim Bauen in Rücksicht auf die Geldentwertung der Multiplika­tor 5000 bis 6000 und noch mehr ist. Nunmehr lässt sich die Sa­che nicht mehr ändern, aber ärgerlich ist es im­merhin.

Bezüglich Alverdes habe ich nichts mehr gehört und scheint er vorerst zufrieden gestellt zu sein. Ich werde ihm selbstver­ständlich nach Deinen Richtlinien weitere Mittel nicht mehr zur Verfügung stellen und bin selbst interessiert, ob er mir wie versprochen den zuletzt gegebenen Betrag später für Dich wieder übersendet.

Ich freue mich, dass Du im Großen und Ganzen mit Deinem materi­ellen Erfolg zufrieden bist, und wir wären es alle auch ohne we­sentliches Vermögen, wenn wir nur Ruhe und Freiheit hier genie­ßen könnten. Es ist tatsächlich augenblicklich für uns nicht angenehm zum Leben. Aber was uns drückt dürfen wir nicht schreiben, denn es werden hie und da Briefe geöffnet, deshalb muss man sehr vorsichtig sein. Von Kaiserslautern sind ca. 100 Eisenbahner aus allen Chargen, Oberbeamte, Mit­telbeamte, Unter­beamte, mit Kind und Kegel ausgewiesen. Die Leute sind drüben in der Gegend von München, und ich habe ei­nige bei meiner Mün­chener Reise besucht. Es ist ein tiefes Elend und nicht zu ver­stehen, dass das Ausland das alles ru­hig mit ansieht. Dein Va­terhaus steht auch leer, denn der Bahnmeister, der darin wohnte, wurde auch ausgewiesen und so ist es mit hunderten Woh­nungen hier. Vielleicht entschließt Du Dich, nachdem Du Deine Weltreise aufgegeben hast, heuer einmal herüber zu kommen, was ich sehr begrüßen würde. In München habe ich kurz Deinen frühe­ren Schul- und unseren gemeinsamen Freund Herrn Staatsrat Korn beim Kultusministerium gesprochen, und er erzählte mir, dass er mit Dir jetzt auch in brieflicher Verbindung steht, deren In­halt mir jetzt durch Deinen neuen Brief klar geworden ist, worin Du dem hiesigen Gymnasium 1 Million Mark Unterstützung zur Verfügung gestellt hast. Ich habe der Höheren technischen Lehranstalt Deinen Brief weitergegeben. Dieselbe wird sich mit der auch ihr zu­gedachten Stiftung in der Höhe von 1 Million Mark gewiss rie­sig freuen. Es wäre gut, wenn wir viel derartige Deutsche wie Du im Ausland hätten, denn in der Tat gibt es viel zu helfen und die Not ist größer, als irgend jemand glaubt. Un­ser Mit­telstand und Rentnersleute sind vollständig verarmt; viele sterben des Hungers, denn wenn ich Dir sage, dass jetzt 1 Pfund Butter bei uns M 9000.- kostet, 1 Ei M 500.-, 1/2 Liter Milch beinahe M 500.-, 1 Paar Schuhe M 50 000.- bis M 60 000.-, 1 Anzug in einfacher Ausstattung M 300 000.- bis M 400 000.-, 1 besserer Anzug M 800 000.-, dann kannst Du ermessen, wie die Verhältnisse sich gestaltet haben. Ein derartiges Schicksal hat Deutschland nicht verdient. Aber trotzdem hoffe ich, dass, wenn erst einmal die Reparationssumme endgültig festgelegt ist, Deutschland mit allem Fleiß an die Wiederauf­bauung herangeht und in absehbarer Zeit wieder bessere Zeiten sehen wird.

In dieser Erwartung verbleibe ich wie gewöhnlich mit den be­sten Grüßen an Dich und Deine liebe Familie

Dein alter Freund!
A. Fröhlich

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