41

 

Mexico, 11. Septbr. 1925

Mein lieber Fröhlich!

Lang ist es schon wieder her, dass ich Deine l. Zeilen vom 1. Mai in dem Fach für unerledigte Correspondenzen privater Na­tur liegen habe. Der Grund liegt darin, dass wir sehr viel zu tun haben, was ja schliesslich ein angenehmer Grund ist, denn Ar­beit ist doch der grösste Genuss im Leben. Ich erinnere mich noch oft daran, wie wir uns gegenseitig die „scheene Ar­weete“ wegnahmen, d.h. Du als mein Chef hast sie mir nicht gegeben und warst nur etwas liberaler, wenn Du selber zu viel zu tun hat­test. Im März/April hatte unser neues Oberhaupt in Religionssa­chen eine sehr gefährliche Massregel ergriffen und dann kam die Controverse mit den USA dazu, um wieder einmal eine recht unan­genehme Lage zu schaffen, die natürlich auf das Geschäft direkt lähmend wirkte. Dazu kamen noch Gerüchte über die Gründung einer Notenbank, die sich inzwischen zur Tatsache verdichtet ha­ben. Das Volk hat mit Papiergeld fast so viel zu leiden gehabt, wie Deutschland, in mancher Hinsicht noch mehr, denn jede Revo­lutionspartei hatte ihre Pa­pierwische, die wertlos waren, wenn eine andere Bande ein­rückte. Calles, der jetzige Präsident, scheint aber die be­sten Absichten zu haben und man bringt ihm allgemein Zutrauen entgegen. Das Geschäft hat sich daher ziem­lich gebessert. Im März/April fingen also die meisten Häuser an, zurückzuhalten und abzuwarten, während JA & CS mal wieder anders dachten. Und damit haben wir einen sehr netten Fischzug getan, wie im Vorjahr, als wir bei der Silbersanierung mitmach­ten, wo auch alle Welt unkte und den Mut verlor. August war für uns ein Recordmonat, und unsere Bilanz vom vergangenen Jahr war auch ein Record. Aber bei einem solchen Betrieb sich für län­gere Zeit los zu machen, ist ganz undenkbar. Das Maximum der Ge­fühle sind meine öfteren Ausspannungen hier in der Nähe: dar­auf halte ich allerdings strikt, sonst könnte ich es nicht schaffen. Ich gehe jetzt alle 2 Monate für eine Woche nach Cu­ernavaca, einem wunderbar gelegenen Landstädtchen in den Sub-Tropen. Es hat eine deutsche Familie (der Vater war ein Herr v. Ried, Kammerherr in Sachsen-Meiningen) eine Pension da aufge­macht, die ich financiert habe und wo es sich gut wohnt. Einfa­che Wohnung, ruhig, sauber und gutes, einfaches Essen. Das Ge­höft liegt vor der Stadt, sodass man richtiges Landleben hat. Die Leute hatten ihren Besitz drüben verkauft und ihr Geld in ein Siedlungsunternehmen gesteckt, das glatt verkrachte, sodass sie vis-à-vis de rien stehen. Ich habe ih­nen geholfen, die Farm zu kaufen und nun machen sie ihr Leben mit der Pension. Ich hoffe, nächstes Jahr nach drüben zu kom­men und dann will ich mir in der Pension einige Zimmer besser herrichten lassen und dann jeden Monat auf eine Woche da zu­bringen, dolce far niente. Zum Rentner scheine ich nicht ge­boren zu sein, also muss man es so versuchen, seine Kräfte einigermassen frisch zu erhalten.

Neulich kam mit einer Reisegesellschaft ein Herr Münch, des­sen Vater das Waldschlösschen gehörte. Er selber hat eine Fa­brik in Neustadt a/H und wollte hier Metallsiebe verkaufen. Wir, besser gesagt ich, schwelgte in Erinnerungen an unser liebes Lautern.

Wernz ist bei der Canadian Bank of Commerce angestellt und macht sich gut. Es scheint eine Ausnahme der hier schon sehr berüchtigten Nachkriegsdeutschen zu sein. Hoffentlich bleibt er so.

Von der Rhein. Creditbank bekam ich ein Circular wegen der Auf­wertung von Staatspapieren. Du hast s. Zt. da 700 Mk für mich hinterlegt. Ich habe der Bank geschrieben, sie möge den kleinen Betrag für irgend einen wohltätigen Zweck verwenden.

Ludwig Gelbert schrieb mir vor kurzem aus Zürich und sagte mir darin, wie sehr sich O & C unter Deiner Leitung herausge­macht habe. Das scheint mir nach dem, wie ich taxiere, kein Wunder. Es würde mich sehr interessieren, wenn Du mir mal ge­legentlich etwas über O & C sagen möchtest. Du siehst, Dein Ruhm ist schon ins Aztekenland gedrungen und Du brauchst nicht hinterm Berg zu halten. Mich interessiert Alles riesig, was ich von dorten höre, speciell O & C und was Ihr jetzt treibt. Also diktiere mal eine kleine Epistel darüber.

Weihnachten naht wieder heran, und ich möchte fragen, ob es für Euch nicht zu lästig ist, eine Anzahl Postpakete für Ge­schenke herzurichten. Könntest Du mir evtl. eine Preisliste der in Be­tracht kommenden Sachen senden? Ich möchte dann et­was für die Einzelnen zusammenstellen. Wenn es Euch zu gering ist, kannst Du mir vielleicht sagen, an wen ich mich wenden soll. Mit Har­der & de Voss bin ich vor einem Jahr gehörig hineingefallen, was mich sehr wunderte, denn die Firma hat einen guten Ruf.

Wegen der projektierten Festhalle etc. sehe ich Deinen Nach­richten noch entgegen. Ich meine allerdings, wenn drüben al­les so arm ist, wären andere Dinge nötiger, als eine Festhalle. Bei Erwähnung der gestifteten Summen will es mir scheinen, als ob Du meinen Geldbeutel doch bedeutend über­schätzest. Daran kann ich gar nicht denken, aber innerhalb meiner Möglichkeiten wäre ich für eine Stiftung evtl. zu ha­ben, wenn die Geschäfte so weiter gehen, wie heute. Ich habe in den Jahren nach dem Krieg etwa ein Zehntel meines Kapitals an alle möglichen Sachen für Unterstützungen in Deutschland gehängt und ich glaube, damit mehr geleistet zu haben als viele Andere, die besser ab sind wie ich. Aber immerhin, schreibe mir mal gelegentlich, wie die Sache mit dem Alters­heim steht.

Meine Tochter ist vorgestern mit Mann und Kind von dorten wie­der eingetroffen und berichtet von dem übermässigen Luxus, der in Deutschland getrieben wird. Das kann auf die Dauer nicht gut gehen und nimmt alle Welt gegen uns ein. Wir bet­teln in der Welt herum und sind wirklich schlecht ab, das un­terliegt keinem Zweifel, dann darf aber andererseits kein solcher Luxus und Leichtsinn herrschen und man sollte stramm dagegen angehen. Wofür haben wir denn die goldenen Zeiten der herrlichen Demokra­tie, die der Teufel in seinem Zorn erfunden hat. Ich lasse es mir eher gefallen, wenn altverdiente Adlige Ordnung halten, als wenn grüne Lausejungens sich dicke tun und Alles versauen. Doch ich komme da auf ein böses Thema. Politik ist eine Schweinerei und heutzutage wird leider viel zu viel daran gemacht. Jeder Rotzbube fühlt sich berufen und hat das Recht, mitzuquatschen. Ich war früher auch einmal sehr liberal veranlagt, heute neige ich aber mehr zur Knute, wenn ich sehe, was aus der Welt mit dieser sog. Freiheit für entsetzlicher Unfug getrieben wird.

Sonst geht es uns gesundheitlich Gottlob gut, was ich auch von Dir und Deiner Familie hoffe.

Lasse bald wieder von Dir hören und sei herzlich gegrüsst von

Deinem alten Freund!
C. Reichert

40

15Mexico, 15. April 1925

Mein lieber Fröhlich!

Ich empfing Deine l. Zeilen vom 17. Febr. & Postkarte vom 24. März aus Meran, die mich aus der Sorge um Dich befreit hat, klang doch die Liste von Krankheiten, die Du alle durchzumachen hattest, wirklich besorgniserregend. Ich freue mich, dass  Deine gute Natur Dir über alle diese Kalamitäten hin­weggeholfen hat & hoffe, dass Du vollkommen wiederhergestellt in die Heimat zurückgekehrt bist. Mit vorrückendem Alter muss man ja leider der Natur immer Tribut bezahlen & viele Jahre lange Arbeit, wie sie uns Beiden zugemessen war, in Kriegs- & Revolutionszeiten noch dazu, tut das Übrige!

Letzten 11. März waren es 30 Jahre, dass ich hier angekommen war. Einige Tage vorher war ich nach Cuernavaca ausgekniffen, um allen möglichen Geschichten aus dem Weg zu gehen. Da kam ich aber vom Regen in die Traufe, denn an einem Tag kam eine Abord­nung unseres Personals, am nächsten einige meiner nähe­ren Freunde & in der Pension gab es dann auch noch einmal ein Fest, sodass ich dann 3 Tage feiern musste. Da wäre ich lie­ber hier geblieben. Meine Associèes stifteten mir 2 pracht­volle Palmen & einen grossen Perserteppich. Unter den Palmen rauche ich nun abends meine Cigarre.

Ich selbst habe vor, mir als Gratifikation nun dieses Jahr die lange erträumte & ersehnte Weltreise zu gönnen, die 1922 aus verschiedenen Gründen nicht zur Ausführung kam. Ich wollte ei­gentlich warten, bis ich meinen Söhnen Prokura geben könnte, denn ich habe absichtlich diese Lücke zu gunsten mei­ner Jungens offen gelassen. Sie sind mir noch zu jung mit 22 1/2 J., wenn ich auch selbst in diesem Alter schon Prokura bekam. Da aber bei einer längeren Abwesenheit meinerseits die Notwendigkeit vorliegt, für die puren Kassensachen, Monierun­gen etc. jemanden zu haben, der die anderen beiden Associés entlastet & ich sonst nicht reisen könnte, so werde ich wohl beiden Söhnen zusammen mit 2 älteren, höheren Angestellten Collectiv-Prokura geben. Wir haben geschäftlich in den letz­ten Monaten einen gehörigen Ruck aufwärts getan & da kann sich die Maschine einmal etwas verschnaufen. Und diese Pause will ich benutzen. Ich kann dann sehen, wie die einzelnen Herren, wenn ich mal fehle, sich be­währen & danach eine Mass­nahme treffen.

Meine Absicht ist, später jeden Monat 8 Tage in Cuernavaca zu verbringen, wo ich mir eine kleine Wohnung einrichten werde, denn das Klima sagt mir sehr zu.

Wenn also nichts dazwischen kommt, will ich im Herbst über Ca­lifornien, Hawai, Japan, Hongkong, Java, Ceylon, Indien, Ägyp­ten nach Italien & Schweiz kommen & dann noch einige Zeit in Deutschland sein. Hoffentlich können wir dann ein paar Tage zu­sammensein & uns viel erzählen. Auf die Reise freue ich mich sehr & wünsche nur, dass sie nicht zu Essig wird: „so mancher hofft und hofft vergebens“!

Der alte Geheimrat Dr. Paasche hatte auch noch alle möglichen Pläne, etwas viel für seine 75 Jahre. In Detroit hat er eine Lungenentzündung bekommen & ist daran gestorben. Es hat mir sehr leid getan, denn er war ein sehr lieber Mann.

Hast Du von Arthur Ottmann nicht mehr gehört? Er muss wohl nach Aufhören des Papier-Schlamassels wieder besser ab sein? Wie geht es bei Euch im Geschäft? Wer vertritt Dich eigent­lich bei Deiner Abwesenheit? Die alten Herren Schneider & He­ger können kaum viel unternehmen?

Meine Tochter ist mit ihrem Mann & dem Kleinen Ende März nach drüben abgereist & sie wollen ihren Wohnsitz bei Veerkamp’s Mutter in Kitzingen aufschlagen.

Bassler geht es gut. Von Rheinberger hatte ich auch Nach­richt. Geht es den alten Pensionären, die wir in der Papier­zeit bedacht haben, nun etwas besser?

Hat man Dir eigentlich damals die Uhrkette gesandt & ist sie nach Wunsch ausgefallen?

Für heute muss ich schliessen & verbleibe mit herzlichen Grüs­sen & guten Wünschen für Deine Gesundheit stets

Dein alter Freund
Reichert

Viele Grüsse an die Herren Schneider & Heger.
Was macht Peter Wolf?

39

México, 16. Januar 1925

Mein lieber Kommerzienrat!

Aus obiger Anrede wirst Du ersehen haben, dass ich Deine Post­karte vom 24. Dezbr. erhalten habe, und ich gratuliere Dir herzlich zu dieser Auszeichnung. Du hast es nicht leicht ge­habt, Dich durchzusetzen, und ich glaube, dass man Dir, auch bei O & C, für das An-die-Spitze-Kommen gar manchen Prü­gel vor die Beine geworfen hat, bis Du das erreicht hattest. Umsomehr freue ich mich für Dich. Hoffentlich kannst Du noch recht lange diese Würde geniessen und bringst es noch einmal zum „Geheimen“.

Es freut mich auch, dass Dir mein kleines Präsent gefallen hat. Es ist eine ganz gut gelungene Zusammenstellung von Sehenswer­tem, und man kann sich eine ungefähre Vorstellung machen, wie es hier aussieht. Was könnte dieses Land sein, wenn die Einwoh­ner auf einer höheren Stufe stünden und nicht immer wieder po­litische Wirren einträten!

Von Deiner Rangerhöhung habe ich auch Bassler sofort in Kennt­nis gesetzt, und er hat sich, gleich mir, sehr darüber gefreut, so, dass er versprach, an Dich zu schreiben.

Mit meinen Reiseplänen kann ich immer noch nicht ins Reine kom­men. Es ist schwer, sich loszureisen, jetzt, wo wir wieder durch Zusammenarbeiten mit der Regierungsbank in der Silber­frage einen kräftigen Schritt nach aufwärts gemacht haben. Ich möchte auch, bevor ich einmal länger abwesend bin, meine Söhne so weit haben, dass sie den anderen Associés etwa als Prokuri­sten an die Hand gehen können, denn sonst wird es die­sen zuviel. Das sehe ich jetzt, wo einer der beiden Herren Bilse drüben zum Einkauf ist und der andere zu seiner Arbeit noch die des Bru­ders am Hals hat. Wird dann einer der beiden krank oder will man ein paar Tage weg, so kommt der verblei­bende kaum mehr durch. Wir erreichen in diesem Bilanzjahr, wenn nichts dazwi­schen kommt, einen Umsatz von 5 Mill. GMk, eine Summe von Ar­beit, wenn man bedenkt, dass fast Alles Kleinigkeiten sind, die nicht sehr ins Geld laufen. Dabei muss ich sagen, dass  ich keine grosse Schneid zur Reise habe, denn trotz meiner vielfa­chen Unterstützungen habe ich, wie Du ja leider an einem Bei­spiel sehen musstest, da sehr schlechte Erfahrungen machen müs­sen. Undank ist der Welt Lohn: wie wahr ist dieses Sprichwort. Und wie soll ich da nun hingehen? Ich habe gar keine Lust dazu und vorerst lasse ich mal den Juli an mich herankommen. Vorher kann ich doch nicht weg, denn ich will bei der Bilanz dabei sein.

Eben habe ich einen interessanten Besuch in Geheimrat Dr. Paa­sche, dem alten Reichtags-Vicepräsidenten, der mir durch Herrn F. Albert empfohlen wurde und der mit seiner Frau auf einer Aufklärungsreise begriffen ist. Es sind sehr nette Leute.

Sonst ist Alles beim Alten. Hoffentlich findest Du bald Zeit, mir mal wieder etwas von Lautern zu erzählen. Inzwischen ver­bleibe ich mit herzlichen Grüssen an Dich und besten Wünschen für Dein und Deiner Familie Wohlbefinden stets

Dein
C. Reichert

38

México, 27. August 1924

Mein lieber Adolf!

Ich erhielt Deine Postkarte aus Marienbad und Brief vom 6. ds. und freue mich, daraus zu ersehen, dass Dir die Kur gut getan hat. Aus den mir freundl. übersandten Fotos ersehe ich, dass Du wohl aussiehst, wenngleich man bemerken kann, dass die letzten 18 Jahre, die wir uns nicht gesehen haben, auch nicht spurlos vorübergegangen sind. Es ist eine lange Spanne Zeit, und wir müssen uns mal wieder mündlich aussprechen. Hoffentlich kommt mir im nächsten Jahr nichts dazwischen. Ich möchte mich mal ru­hig in den Schwarzwald setzen und dann bie­tet sich Dir hoffent­lich Gelegenheit, einige Zeit dort zu sein, denn nach der Pfalz zu kommen, glaube ich kaum über mich zu bringen. Gerade dieser Umstand hat meine Sehnsucht nach der alten Heimat mächtig ge­dämpft. Wenn ich mir die far­bigen „Landsleute“ vorstelle, nein, das geht nicht.

Ob bei den Verhandlungen de facto Gutes für uns heraus­springt, bezweifle ich immer noch, wenn auch der Franc sich nicht bes­sert. Das könnte man als Zeichen nehmen, dass es den Franzosen nicht günstig gegangen ist. Aber bisher kam das dicke Ende im­mer noch hinten nach und das macht einen vor­sichtig im Freuen.

Von meinem Filius Franz hörte ich von Berlin, privatim sehr kurz, aber geschäftlich desto mehr. Er scheint sich gleich in die Arbeit gestürzt zu haben, was mir eigentlich die liebste Nachricht ist, denn meine Söhne sollen vor Anderen nur das vor­aushaben, dass sie mehr arbeiten sollen, wie die Anderen. Dafür haben sie auch ein besseres Leben und bessere Aussich­ten. Franz bleibt nur kurz in Berlin, denn ich brauche ihn hier nötiger. Berlin hat Personal genug. Wie Franz mir schreibt, glaubt er im Gegenteil, dass ,man mit wenigen Leuten auch auskommen kann. Da in Berlin kein Socius mehr ist, so machen sich die Herren es sehr bequem. Herr Albert sitzt in Hamburg und kommt nur alle paar Monate nach Berlin, auf ganz knappe Zeit. Viel kann er da nicht sehen. Ich habe nun durch Franz eine schärfere Controlle einrichten lassen, um an Hand der monatlichen Reports etwas klarer sehen zu können. Mein Albert ist in Puebla auf Ge­schäftstour und soll nach dieser Tour hier bleiben. Er hat nun Erfahrungen auf Reisen gemacht, hat sehr gut verkauft und da­durch als Bengel von 21 1/2 Jahren unsere ganzen anderen Rei­senden in den Schatten gestellt. Nun kann er nach und nach die Leitung der Propa­ganda- und Reisenden-Abteilung in die Hand nehmen.

Nachdem wir anfangs des Jahres durch die verfluchte Revoluzze­rei schweren Schaden hatten, strengten wir uns sehr an und es war Ende Juni gelungen, schon wieder einen recht niedlichen Ab­schluss zu machen. Wir haben im laufenden Bi­lanzjahr viel Sorge und Ärger gehabt, aber es hat wenigstens gelohnt. Manchmal ist das Geschäft doch interessant. Wir ha­ben gerade wieder eine heikle Lage wegen der übertriebenen Silberprägung, welche eine Art Panik auslöste und das Agio auf Silber (wir haben Goldwäh­rung) bis auf 8 1/2 % getrieben hatte. Die Regierung weiss na­türlich Alles besser, aber der 2. Direktor der Münzkommission kam in seiner Beklemmung zu mir, und wir verabredeten einen Plan, dass der Handel da zu Hilfe kommen konnte. Es ist gelun­gen, das Agio schon auf 3 1/2 % zu bringen & ich denke, dass wir bald die Sache ge­deichselt haben. Die Intervention hat uns selber einen schönen Verdienst abgeworfen, abgesehen von der Reklame, die wir für uns machen konnten.

Wegen der Weihnachtssendungen möchte ich Dich bitten, Dir auf Deinem Kalender vorzumerken, wenn Du im October liefern kannst. Sonst ist es wohl am einfachsten, ich sende Checks: dann kann sich Jeder kaufen, was er will. Mit meinem Bruder habe ich Pech gehabt. Ich schrieb ihm klipp und klar, er müsse sich bei Dir entschuldigen, was er in seiner Dickköp­figkeit natürlich nicht tat. Nun lasse ich aber meine Finger davon. Ich kann es nicht ändern. Die verzweifelte Notlage, die er mir schilderte, stimmte jedenfalls nicht, denn wenn einer nichts zu essen hat, braucht er kein „wertbeständiges“ Geld. Sein Sohn Adolf, der 2 Jahre bei uns war und sich dann etablierte, hat mir auch viel Durcheinander gemacht. Er verlobte sich mit der Tochter meines verstorbenen Socius Reith und liess die Wittwe ohne mein Wissen für einen Bankkredit gutsagen. In 1 Jahr waren 17000 $ verputzt und er trieb sich eine Zeit lang herum, um mich schliesslich um ein Billet nach Venezuela anzugehen, wo er angeblich eine Stel­lung habe. Er reiste ab, hat aber scheinbar seine Absicht in Kuba geändert und will nun nach der Pfalz. Behalte die Sache für Dich: Du weisst, was Du zu tun hast, wenn er zu Dir kommen sollte. Für mich ist er „erledigt“. Mir tut die arme Frau Reith leid. Ihre Tochter muss nun wieder eine Stellung bei uns antre­ten, denn ausser den 3 Häusern, die Frau R. hat, hat sie keine Einnahmen, nachdem sie den Bankkredit aus ihrem Baargeld zah­len musste. Adolf weiss zwar alle möglichen Erklärungen vorzubrin­gen, aber darin war er immer gross: immer waren die Anderen schuld.

Für heute schliesse ich. Richte bitte den Herren Heger und Schneider viele Grüsse von mir aus und sei selbst herzlich ge­grüsst von

Deinem alten Freund
C. Reichert

37

Mexico, 25. Juni 1924

Mein lieber Fröhlich!

Ich erhielt s. Zt. Deine frdl. Zeilen vom 28. April, die mir leider wenig Erfreuliches berichten. Hoffentlich sind Deine beiden Kranken wieder ganz auf dem Damm. Gesundheit ist das grösste Gut, das man erst schätzen lernt, wenn es mal damit ha­pert. Wir Arbeitstiere wissen davon ein Liedchen zu singen, und ich bin nur froh, dass ich mich seit einiger Zeit dazu gezwun­gen habe, regelmässig auszuspannen, bevor es zu spät ist. Ich kann ja leider immer nur auf ganz kurze Zeit weg, denn mein Po­sten ist so beschaffen, dass die Hauptsache dabei ist, ganz auf dem Laufenden zu sein, um disponieren zu kön­nen. Geht man län­ger weg, so tritt eine recht peinliche Un­sicherheit ein und man braucht lange, bis man wieder Alles nachgelernt hat. Des­halb sträube ich mich auch so sehr dage­gen, lange auszuspannen. Meine letzte grössere Reise liegt schon 18 Jahre zurück. Davon kam ich die Hälfte aus der Stadt nicht hinaus wegen der absolu­ten Unsicherheit, denn man konnte leicht abgeschnitten werden und, was noch schlimmer ist, man wird abgefangen und nur gegen Lösegeld freigegeben. Es ist das eine der Haupteinnahmen der mex. Rebellen. In den letzten Jahren ging ich daher immer auf 8 Tage nach dem ziem­lich nahen Cuernavaca, von wo man leicht zu­rückkommen kann und das ein herrliches, subtropisches Klima hat. Ich gehe jetzt ungefähr alle 2 Monate weg und Sonntags ma­che ich immer grössere Ausflüge in die Umgebung Mexicos, die sehr viel bie­tet. Leider wenig Wald, der nur an einer Seite in grösserer Ausdehnung existiert. Da ist es allerdings wunderbar, und man kann sich ganz in deutsche Wälder versetzt fühlen. Er liegt von ca. 3000 Meter an und hat ganz deutschen Charakter. Na­delhölzer mit Eichen etc. Ich denke aber nächstes Jahr, wo ich meine 30 Jahre im Hause bin, einmal tüchtig auszuspannen, wenn nicht wieder etwas dazwischen kommt.

Vorerst geht mal mein Sohn Franz auf einige Monate auf unser Berliner Contor, um da etwas in die Buchführung einzusprin­gen, denn da klappt nicht Alles so, wie es sollte. Vielleicht müssen wir da Änderungen treffen. Wenn Du zufällig einen jun­gen Men­schen empfehlen kannst, so ähnlich, wie Du es gewesen bist, also jung und strebsam, könnte er vielleicht in Berlin ankom­men. Franz wird Mitte August in Berlin sein, und Du könntest ihm evtl. kurz schreiben, wenn Du etwas Passendes hast. Sicher ist es allerdings noch nicht, ob einer benötigt wird. Die Adresse ist: Potsdamerstr. 13, Berlin W.

Mein anderer Zwilling, Albert, ist „Warenmann“ und reist seit einigen Monaten im Innern. Da mein Töchterchen verheiratet und mein Ältester noch in Hawai ist, ist mein Haus sehr leer gewor­den. Es musste aber einmal sein und diese unangenehme Zeit muss überstanden werden. Der Hawaianer kommt Ende des Jahres zurück, und wenn ich dann meine Reise gemacht habe, werden wir wieder hoffentlich Alle beisammen sein können. Dann sind die beiden Jungens alt genug, um in Stellungen auf­rücken zu können, wo ich es mir dann etwas leichter machen kann. Solange muss ich noch durchhalten.

Von Bassler hörte ich, dass er nach drüben will. Er hat wohl eines kleines Kapital gemacht und will wohl dorten etwas anfan­gen damit. Ich glaube aber nicht, dass es ihm dorten ge­fallen wird: Leute, die einmal im Ausland waren, fühlen sich dorten auf die Dauer nicht mehr wohl.

Wegen Ananas hörte ich nochmal von Bubi, dass die Firma Libby, Mc Nail & Libby, Merchants Ex Bldg, San Francisco, Cal. USA, fast Alles in Hawai aufkäuft, und dass man besser mit deren Firma arbeitet. Sonst käuft man teurer als in Hawai direkt.

Anbei einige der neuen 3 cts Marken, die Dir wohl noch feh­len.

Die Verhältnisse drüben scheinen sich ja wieder sehr zu ver­schlechtern. Ich bin durch alle möglichen Zeitungen und Be­richte im Bild, will mich aber aus leicht begreiflichen Grün­den nicht darüber aussprechen. Es ist grässlich, wie wir herunter­gekommen.

Ich möchte noch bei Dir anfragen, ob Ihr nun wieder nach dem unbesetzten Gebiet liefern könnt. Vorige Weihnachten bin ich schwer hineingefallen, denn die Hamburger Firma, die hier Weih­nachtspackete und Liebessendungen anbot und die einen sehr guten Ruf genoss, hat sehr versagt. Auch das ist ein Zeichen unseres Niedergangs: unsere kaufmännische Reellität, die früher sprichwörtlich war, hat sehr gelitten. Solltest Du nicht in der Lage sein, solche Sendungen zu machen, resp. solltet Ihr solch kleine Geschichten nicht machen können, so möchte ich um Auf­gabe einer Firma bitten, an die ich mich wenden kann. Meine zu Beliefernden sitzen in Weiden, Mann­heim, Württemberg, Baden (Offenburg) und Frankenhausen.

Meinem Bruder in Ludwigshafen habe ich sehr klar meine Mei­nung über sein unqualifizierbares Benehmen gesagt und das hat ihn wohl verschnupft, sodass er ausser Betracht bleibt. Wir hatten früher schon wegen der kleinen Erbschaft meines lieben Vaters Schwierigkeiten, die von seiner Frau besorgt wurden. Du kannst Dir denken, was ein Bahnmeister mit 240 M Gehalt und 5 Kindern hinterlassen kann. Trotzdem glaubte „man“, es sei ein grosses Vermögen da und machte an meine Stiefmutter Ansprüche. Ich hatte natürlich verzichtet & schrieb meinem Bruder, wenn die Sache nicht schlank in Ordnung käme, brauche er auf mich nicht mehr zu zählen. Ich glaubte, dadurch einen kräftigen Druck aus­üben zu können, denn ich hatte allerhand für ihn und alle Ver­wandten getan. Aber da täuschte ich mich sehr und consequenter Weise waren wir vier Jahre auseinander, bis sie mich wieder brauchen konnten, um seinen Sohn hier un­terzubringen. Mit die­sem Herrn habe ich jammervolle Erfahrun­gen gemacht. Er verlobte sich mit der Tochter meines verstorbenen Geschäftskollegen Reith, der ein bescheidenes Kapital hinterliess. Dann liess er sie für eine laufende Bankrechnung gut sagen, was mir die Frau leider verschwieg. Und nun hat er in weniger als 1 Jahr in dem von ihm etablierten Transportge­schäft diesen ganzen Betrag ver­buttert, und die arme Frau ist ihr Geld los. Einige hundert Pesos bin ich auch losgeworden, ich hatte mich glückli­cherweise nicht geschäftlich mit ihm eingelassen, und der kleine Pump hat mich vor einem grösseren Verlust bewahrt. Nun kann er sich wie­der eine Stellung su­chen. Für mich ist er erle­digt, und ich müsste mich sehr ir­ren, wenn seinen Eltern die Sache bekannt wird, dass ich nicht die Schuld an der Sache be­komme. Ja, mit Verwandten er­lebt man wenig Gutes.

Für heute schliesse ich meine Epistel und sende Dir herzliche Grüsse und meine besten Wünsche für Deine und Deiner Familie Gesundheit. Grüsse auch bitte Herrn Schneider und Heger von mir.

Stets Dein alter Freund
C. Reichert

36

Mexiko, 5. März 1924

Mein lieber Freund Adolf!

Ich komme heute zur Erledigung Deinen l. Zeilen vom 29. Dez., 28. Jan. und 2./8. Febr. und gebe Dir wunschgemäß den Brief meines Bruders zurück. Meine Ansicht über dessen unglaubliche Briefeschreiberei teilte ich Dir schon mit. Auch ihm schrieb ich klar und deutlich, was ich davon halte, und wenn er die Sa­che mit Dir nicht ordnet und Dir Genugtuung gibt, werden wir mal wieder unsere Beziehungen abgebrochen sehen. Er hat vor langen Jahren, auf Anstiften seiner Frau, schon mal eine Sache gemacht gelegentlich der Hinterlassenschaft meines Va­ters. Jetzt kann die notdürftig zusammengeleimte Geschichte wieder auseinandergehen und wieder wegen meines guten Wil­lens. Nun, der arme Kerl würde sich dabei in sein eigenes Fleisch schnei­den, denn ich habe ihm doch eine Menge zukommen lassen. Wenn er wertbeständige Währung braucht, kann es mit dem Verhungern nicht so nahe sein, wie er mir das schilderte. Dann nimmt man, was man bekommt und kauft sich Lebensmittel. Nochmals bitte ich Dich, die Sache zu entschuldigen.

Anbei sende ich Dir noch eine Ansicht mit der Terrasse meiner Geschäftswohnung, wie schön wäre es, Dich einmal da als lie­ben Besuch zu sehen! Ich fühle Dir nach, welches Verlangen Du hast, mal Deine Brüder wieder zusehen, denn wenn man älter wird, lichten sich die Reihen.

Unserem 76 jährigen Seniorpartner Bilse, der s. Zeit in Lau­tern war und mich von O & C wegfischte, geht es noch schlim­mer. Er kam nach 20 j. Abwesenheit voriges Jahr von Berlin zu Besuch und hat nun keine Lust mehr, nach Berlin zurückzuge­hen, denn die mexik. Sonne hat es ihm angetan. Er hatte einen 80 J. alten Bruder in Kalifornien, den er seit 50 J. nicht gesehen hatte. Er wollte hin, konnte aber Passchwierigkeiten halber nicht und nun erhielt er die Nachricht, dass sein Bru­der gestorben ist.

Der Frank ist in diesen Tagen sehr gewichen, aber hoffent­lich kommt es zu einem Einverständnis, dass auch unser armes Vater­land aufatmen lässt. Frankreich scheint ja angesichts seiner Währungsschwierigkeiten geneigt zu sein, etwas nach­zugeben. Ein starkes Fallen des Franken bringt die Welt immer mehr in Durch­einander und ist daher nicht wünschenswert. Dass Ihr Eure Aus­senstände in Franken habt, würde dann ziemliche Verluste geben, denn für das eingehende Geld könnt Ihr Euch nicht mehr das an Waren kaufen, was Ihr dafür geliefert habt. Solltest Du die Aussenstände nicht schnell genug einziehen können, so würde ich raten, für deren Betrag ein Darlehen in Franc aufzunehmen, um die Dir von den Kunden zurückgezahlten franc später auf jenes Darlehen zu verrechnen. Geht das nicht, so kaufe Grundbesitz oder Sachwerte, wie Uhren, Juwe­len etc., die in ihren Preisen der Frank. Entwertung nicht oder nicht so schnell folgen. Den Kram muß man dann später langsam wieder abstossen. So habe ich es hier gemacht.

Ihr habt also noch mehr gebaut? Das muß ja ein Riesenkasten sein jetzt! Wenn Du einmal eine Ansicht davon übrig hast, würde mich das sehr interessieren. Du weißt, ich erinnere mich oft und gern an meine alte Lehrfirma.

Die Revolution ist im Erlöschen begriffen, obwohl noch ver­schiedene, für uns sehr wichtige Landesteile ganz abgeschlos­sen sind. Von ca 1/3 der ganzen Kunden haben wir seit 3 Monaten keine Silbe gehört. Immerhin stehen wir wieder mit 2/3 in Con­tact. Der Bahnverkehr ist noch sehr gefährdet und alle Sendun­gen müssen mittels hoher Prämien gegen Revolutionsge­fahr extra versichert werden.

In Café arbeiten wir nicht, und ich habe an die uns befreun­dete Café-Export-Firma Guillermo Boesch Sucs, Origaba, ge­schrieben, sie möchten Euch Anstellung machen. Sage mir gele­gentlich, was aus der Sache wird, um Dir dienlich sein zu können. Ananas aus Honolulu zu beziehen, halte ich nicht für praktisch, da der ganze Hawai-Handel über San Francisco geht. Ich schreibe aber meinem Ältesten, der in Pearl Harbour bei Honolulu ist, er solle eine Firma besuchen und Dir Offerte machen lassen.

Hoffentlich ist Dein Söhnchen wieder in Ordnung und der Schen­kelbruch verheilt. Wegen Hans Spener kann ich leider mo­mentan nicht dienen, denn die Revolution hat großen Schaden gebracht und fast alle Firmen haben zu viel Personal. Spener hätte keine Aussicht, eine Stellung zu bekommen, da ohnehin eine große An­zahl Deutscher stellungslos herumläuft. Die Re­gierung müßte auch sparsamer wirtschaften und hat viele Leute entlassen. Spe­ner soll andere Zeiten abwarten und inzwischen Spanisch lernen. Ich werde die Sache im Auge behalten.

Für heute schließe ich mit herzlichen Grüßen und in alter Freundschaft

Dein
C. Reichert

35

den 8. 2. 1924

Lieber Freund Karl!

Dein Brief vom 18. Januar, es ist der Tag der Reichsgründung, erreichte mich gestern Abend, und da ich gerade ein Viertel­stündchen Zeit habe und in den nächsten Tagen doch nicht dazu komme, möchte ich ihn gleich beantworten. Die Angelegenheit mit Deinem Bruder betrachte ich als erledigt und bitte, Dich dar­über nicht weiter aufzuregen, denn ich bin ja nicht weiter al­teriert und wollte mich nur Dir gegenüber rechtfertigen. Die Hauptsache ist ja mein gutes Gewissen und meine Bereitwillig­keit, Dir gegenüber jederzeit gefällig zu sein, und wenn Du mich für die Folge statt zu „bitten“ zu irgend etwas „aufforderst“, geschieht es jedesmal mit Vergnügen, denn es ist doch selbstverständlich, dass man sich gegensei­tig gefällig ist, wo man nur kann.

Für Deine Bemühungen betreff St. Francisco-Adressen danke ich Dir verbindlichst. Antworten der betreffenden Firmen sind bis jetzt noch nicht da.

Sehr leid tut es mir, aus Deinem Brief zu ersehen, dass Ihr jetzt auch schlechte Zeiten durchmachen müsst. Aber ich hoffe gerne mit Dir, dass die Revolution nach Ankunft dieses Brie­fes beendet ist, denn die Zeitungsnachrichten lassen erken­nen, dass durch das Eingreifen Amerikas die Ruhe doch wieder hergestellt werden wird. Im übrigen ist es ja leider Tatsa­che, dass die ganze Welt in politischer und zum Teil auch wirtschaftlicher Beziehung auf den Kopf gestellt ist. Was wir hier augenblick­lich erleben, schreit zum Himmel und es ist nur sehr gefähr­lich, alles brieflich so zu schildern, wie man es auf dem Her­zen hat. Eine unbefugte Zensur kann grosse Un­annehmlichkeiten bringen (Gefängnis und Ausweisung).

Erfreut war ich gestern ausserordentlich, in den „Hamburger Nachrichten“ zu lesen, dass sich die Deutschen, speziell die Rheinländer und Pfälzer, in Mexiko in einer Eingabe an den amerikanischen Präsidenten gewendet haben, um bezüglich des Rhein­landes und der Pfalz Hilfe von Amerika zu erflehen. Es freut mich dies umsomehr, als ich wohl vermuten darf, dass Du an der Sache nicht ganz unbeteiligt bist. Nach den neuesten Nachrich­ten, die heute die Zeitungen bringen, scheint England doch stark zu bleiben, nachdem der engl. Generalkonsul Clive sein Material in der Pfalz selbst gesammelt hat. Unser Volk ist augenblicklich in tiefster Not und an der ganzen Tragödie ist das Traurigste, dass die Mehrzahl der Deutschen, die in ihrem Un­tertanenverstand kein politisches Verständnis haben, die Motive dieser Tragödie nicht erkennen wollen, weil sie tatsächlich zu feige dazu sind. So wird weiter gewurstelt und alle Arbeit hilft nichts, solange die Parteien und Parteien­grüppchen wie Kegel- und Kartengesellschaften für sich egoistische Politik treiben. Es ist notwendig, dass die ganze Welt etwas ethischer denken lernt im Sinne jenes Christentums, das Jesus gelehrt hat und nicht derjenigen Religion, die in diesem Weltkriege so furchtbar Fiasko gemacht hat. Der liebe alte Gott war bei jedem unserer Feinde sowohl wie bei uns selbst der erste Bundes- und Kampfgenosse. Er sollte Eng­land strafen, Frankreich vernichten und uns den Frieden brin­gen und alles ist umgekehrt gegangen. Man hat sogar von Sei­ten christlicher Pfarrer den Krieg und den Mord verherrlicht, und der Krieg ist doch nichts weiter wie ein grosses Morden, ein Morden, wie es die grössten Bestien nicht besser voll­bringen können. Ich habe für mich, der ich immer ge­recht und wahrlich christlich trotz meiner jüdischen Abstammung dachte und handelte, das Gefühl, dass es mit unserer Jugend, soweit sie nicht in das nationalsozialistische Fahrwasser kommt, doch besser wird.

Es gibt natürlich in dieser Beziehung sehr viel Arbeit. Nament­lich in der Schule. Dort muss angefangen werden, wenn nicht die ganze Kultur Europas zu Grunde gehen soll. Ich kann Dir nach­fühlen, wenn Du angesichts all dieser Verhältnisse auf einer entlegenen Insel als Einsiedler leben möchtest. Aber das geht einmal nicht. Der einzelne Mensch muss in sich selbst die ver­dammte Pflicht fühlen, mitzuhelfen, das wieder auszu­bauen, was Unglaube, Sittenlosigkeit, Raub- und Geldgier ver­nichtet haben. Im Grossen und Ganzen genommen, war der Welt­krieg weiter nichts als ein Geschäftskrieg für Grossindu­strie und Hochfinanz. Es wurde überall gesündigt. Deutschland wollte allerdings den Krieg im August 1914 nicht, hat aber doch an der Nichtverhinderung desselben ein gerüttelt Maß von Schuld, al­lerdings das Volk nicht, sondern nur der wahnsin­nige Kaiser Wilhelm II. –

Und nun Schluss für heute. Mit den besten Grüssen, auch von meiner Familie, an Dich und die Deinen, verbleibe ich

Dein alter Freund
A. Fröhlich